Arbeitsmarkt: Der Slowakei gehen die Fachkräfte aus

(c) APA/HELMUT FOHRINGER
  • Drucken

Schon über 300.000 Slowaken haben ihre Heimat verlassen, um im Ausland zu arbeiten. Das ist kein Einzelfall. In ganz Osteuropa gibt es beispielsweise einen Exodus der Ärzte.

Wien. Die Fahrt von Bratislava nach Wien dauert nur eine Stunde. In der Früh sind die Züge voll von Menschen, die zur Arbeit nach Österreich pendeln. Doch es gibt auch immer mehr Slowaken, die ihrer Heimat für immer den Rücken kehren und nach Westeuropa ziehen. Dem Land gehen langsam die Fachkräfte aus.

Die Business Alliance of Slovakia (PAS) veröffentlichte jüngst eine Studie, wonach bereits über 300.000 Slowaken im Ausland arbeiten. Hinzu kommen 30.000 Studenten, die im Ausland studieren. Einer Umfrage zufolge wollen fast 70 Prozent der im Ausland lebenden Slowaken nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die Zeitung „The Slovak Spectator“ hält das für alarmierend. Auf die Frage, was die Studenten zur Rückkehr bewegen kann, werden zuerst höhere Löhne genannt. Die Business Alliance of Slovakia weist darauf hin, dass viele slowakische Firmen Probleme haben, geeignetes Personal zu finden. Der Weggang der jungen Menschen wirkt sich auch negativ auf das Sozialsystem aus. Die europäische Statistikbehörde Eurostat geht davon aus, dass die Bevölkerung in vielen osteuropäischen Ländern dramatisch schrumpfen wird.

In der Slowakei dürfte es bis zum Jahr 2080 einen Rückgang um mehr als 25 Prozent geben. In Österreich dagegen soll die Einwohnerzahl durch die Migration von 8,4 auf 9,6 Millionen steigen.

Viele wollen einfach nur weg

Ein Beispiel für die enorme Gehaltsschere zwischen Österreich und der Slowakei ist die Gesundheitswirtschaft. In der Slowakei liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt für eine Krankenschwester bei weniger als 700 Euro brutto im Monat. In Österreich dagegen sind es 1930 Euro.

Doch die slowakischen Krankenschwestern geben sich damit nicht zufrieden. Zunächst demonstrierten sie vor dem Parlament. Weil das wenig half, reichten vor Kurzem fast 1000 Pflegekräfte vorübergehend ihre Kündigung ein. Sie werfen der Regierung vor, beim Gesetz über Mindestlöhne im Gesundheitswesen nicht auf ihre Forderungen eingegangen zu sein.

Denn das Gesetz sieht nur einen Mindestlohn von 695 Euro vor. Immer mehr Betroffene sehen sich daher nach Jobs im Ausland um. Eine Möglichkeit ist, in Österreich in der 24-Stunden-Betreuung zu arbeiten. In Österreich gibt es schon über 53.000 Betreuerinnen aus Osteuropa, die sich um alte Menschen kümmern. Davon stammen 56 Prozent aus der Slowakei und 32 Prozent aus Rumänien. Für viele Krankenschwestern ist das ein Sprungbrett, um später einen Job in einem österreichischen Spital zu bekommen.

Die meisten 24-Stunden-Betreuerinnen verfügen aber über keine fundierte Ausbildung. Auch werden die vorgelegten Qualifikationen in Österreich kaum überprüft. „Wir unterstützen die slowakischen Krankenschwestern bei den Protesten“, sagt Josef Zellhofer, der Vorsitzende der ÖGB-Fachgruppe für Gesundheits- und Sozialberufe, zur „Presse“. Er sieht aber auch in Österreich Handlungsbedarf bei der 24-Stunden-Pflege. Zellhofer verlangt einen Mindestlohn und eine Qualitätssicherung.

Ärzteflucht und Systemkollaps

Die Probleme in der Slowakei sind kein Einzelfall. In fast allen osteuropäischen Ländern gibt es einen Exodus der Ärzte. Die Österreichische Ärztekammer sammelte Informationen über die Gesundheitssysteme auf dem Balkan und spricht von einer Region „zwischen Ärzteflucht und Systemkollaps“. So herrschen in rumänischen Krankenhäusern katastrophale Zustände. Das durchschnittliche Gehalt von Spitalsärzten liege dort zwischen 250 und 1500 Euro im Monat. 2014 verließen 2450 rumänische Ärzte das Land. Davon betroffen sind vor allem Krankenhäuser, in denen nur noch halb so viele Mediziner arbeiten wie vorgeschrieben.

In Serbien verdient ein Facharzt monatlich maximal 900 Euro. Im Zuge von Sparmaßnahmen wurde das Einkommen der Ärzte um zehn Prozent gekürzt. In Bulgarien wollen 80 Prozent der Medizinstudenten nach Abschluss ihres Studiums ins Ausland gehen.

Auf einen Blick

In vielen osteuropäischen Ländern herrschen im Gesundheitssektor katastrophale Zustände. Die Österreichische Ärztekammer spricht von „Ärzteflucht und Systemkollaps“. Das Phänomen tritt jedoch nicht nur bei Ärzten auf. Viele Fachkräfte sehen sich nach einem Job im Westen um.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.