VW elektrisiert den Balkan

Produktionslinie für den E-Golf in Dresden: Ähnliche Linien dürften schon bald auf dem Balkan stehen.
Produktionslinie für den E-Golf in Dresden: Ähnliche Linien dürften schon bald auf dem Balkan stehen.(c) REUTERS (Matthias Rietschel)
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VW will über eine Milliarde Euro in ein Mehrwagenwerk in Südosteuropa investieren. Das Wettrennen der Staaten darum hat begonnen. Wer kann was bieten?

Belgrad/Sofia. Aufgeregt vermeldete die serbische „Novosti“ bereits den Vollzug. „Serbien steht vor einem wirtschaftlichen Erdbeben!“, kündigte die regierungsnahe Staatsgazette am Wochenende freudig ihren Lesern an. Mit Volkswagen habe der größte Automobilhersteller der Welt sich trotz harter Konkurrenz zur Ansiedlung seines Großwerks in Serbien entschieden. Die „Performance der serbischen Wirtschaft“, aber auch die freundschaftlichen Beziehungen der heimischen Staatsführung zu „den Kollegen aus Deutschland“ seien das „Zünglein an der Waage zu unserem Nutzen“ gewesen.

Die VW-Pläne für ein neues Mehrmarkenwerk in Südosteuropa verstören den Betriebsrat des Autogiganten – und elektrisieren nicht nur die Presse der potenziellen Standortstaaten auf dem Balkan. Mit den EU-Mitgliedern Bulgarien und Rumänien sowie den EU-Anwärtern Nordmazedonien, Serbien und der Türkei fühlen sich gleich mehrere Länder als Standort für das neue VW-Werk geeignet. Doch mit einer Entscheidung ist wohl erst im Mai zu rechnen.

5000 Arbeitsplätze sollen entstehen

Auf 1,4 Milliarden Euro wird die Höhe der geplanten VW-Investition taxiert. Während die VW-Werke in Emden und Hannover sich künftig auf die Produktion von Elektrofahrzeugen konzentrieren sollen, könnten in dem neuen Werk im Südosten ab 2023 mit einer Kapazität von 300.000 Fahrzeugen im Jahr markenübergreifend VW-, ?koda- und Seat-Modelle gefertigt werden. Rund 5000 Mitarbeiter soll das neue Werk direkt beschäftigen. Tausende weitere neue Arbeitsplätze dürften bei Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen entstehen.

Neben der Verkehrsanbindung und den logistischen Anforderungen an ein mögliches Werksgelände gelten die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte und die Höhe der staatlichen Anreize als wichtigste Faktoren der Standortentscheidung. Auffällig genug scheint Branchenliebling Ungarn bei den VW-Planungen keine Rolle zu spielen: Nicht nur kräftig steigende Löhne, sondern auch der zunehmende Mangel an Arbeitskräften im Donaustaat lassen die Wolfsburger lieber weiter nach Südosten schielen. Einen relativ starken Automobilsektor können dort die Türkei (Ford, Hyundai, Honda), Rumänien (Ford, Dacia) und mit Abstrichen Serbien (Fiat) bei der VW-Hatz ins Feld führen.

Die jeweiligen Vor- und Nachteile

Gegen ein neues VW-Werk in der Türkei spricht das gespannte Verhältnis zwischen der EU und Ankara. Rumänien wiederum machen fehlende Autobahnen, ein etwas höheres Lohnniveau und in manchen Regionen auch der angespannte Arbeitsmarkt zu schaffen. In Boomregionen wie Timişoara (Temeswar) oder Cluj (Klausenburg) dürfte das Personal für einen Großinvestor wie VW nur noch mit Mühe zu finden sei. Strukturschwache Regionen wie das ostrumänische Iaşi verfügen zwar über das Arbeitskräftepotenzial, aber sind schlecht angebunden.

Das leicht favorisierte Bulgarien verfügt mit dem am Sofioter Flughafen gelegenen Gelände des seit 2008 stillgelegten Stahlwerks Kremikowtzi über einen nahezu perfekten Standort für das neue VW-Werk, um das auch die Boomstadt Plowdiw buhlt. Als EU-Mitglied kann Bulgarien zudem mit relativ stabilen Verhältnissen sowie sehr engen Handelsbanden zu Deutschland punkten. Serbien und Außenseiter Nordmazedonien könnten – außer mit noch niedrigeren Lohnkosten – auch mit stärkeren Finanzanreizen locken: Als EU-Anwärter unterliegen sie noch nicht in vollem Umfang den strengen Auflagen für Staatsbeihilfen. Keine Rolle dürfte hingegen Serbiens Freihandelsabkommen mit Russland spielen: Vom zollfreien Export in die Brudernation sind in Kragujevac gefertigte Fiat-Modelle ausgenommen.

Änderung des Blutbildes

Noch gilt das VW-Standortrennen als offen – und lässt alle Beteiligten hoffen. Eine Investition in einer derartigen Größenordnung würde das „Blutbild unserer Wirtschaft ändern“, schwärmt Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vučić. Eine VW-Ansiedlung hätte eine „sehr hilfreiche Signalwirkung“ für den Standort Türkei, sagt Alper Kancer, Präsident des türkischen Branchenverbands Taysad. Die VW-Investition würde „allen ausländischen Investitionen in Bulgarien in eineinhalb Jahren entsprechen“ und das Land in die Top Ten der EU-Automobilnationen befördern, rechnet derweil das bulgarische Wirtschaftsblatt „Kapital“ seinen Lesern vor.

In aller Kürze

Pläne des deutschen Autobauers VW, geschätzt
1,4 Milliarden Euro in den Aufbau eines neuen Mehrmarkenwerks auf dem Balkan zu investieren, elektrisieren die Staaten in der Region. Ihre Hoffnungen, den Zuschlag zu bekommen, sind groß, die Voraussetzungen dafür unterschiedlich. Mit der Entscheidung ist erst zur Jahresmitte zu rechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2019)

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