„Ein größeres Auto? Das steht nicht dafür“

Der Soziologe Meinhard Miegel über die negativen Folgen der Industrialisierung und den Wert eines kaputten Weckers.

Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Welt, in der die Menschen weniger Geld haben als jetzt, sich dafür aber mehr auf andere Werte konzentrieren. Verstehen Sie das Buch als eine Prognose oder als eine Utopie?

Meinhard Miegel: Wir in den wohlhabenden Ländern werden künftig einfach kein Wachstum wie bisher mehr haben. Das ist keine Utopie, sondern eine Prognose, eine Feststellung. Jetzt stellt sich die Frage: Nehmen wir das einfach so hin? Oder versuchen wir, die damit einhergehenden Wohlstandsverluste durch die Revitalisierung immaterieller Aspekte von Wohlstand zu kompensieren?

Sie schreiben, die Menschen müssten sich damit anfreunden, künftig zwei oder drei Jobs zu haben. Der Sozialstaat werde bestenfalls die Existenz sichern, nicht den Lebensstandard. Klingt nicht sehr erfreulich.

Aber darauf läuft es hinaus. Unser Wohlstand steht auf Pfeilern, die wegbrechen. Seit Beginn der Industrialisierung haben wir unsere natürlichen Ressourcen nicht mehr gebraucht, sondern verbraucht. Wir haben fast kostenfrei die Umwelt belastet, wir haben die Gesellschaft verschlissen. Und jetzt haben wir noch jahrzehntelang versucht, die Sache durch neue Schulden anzufeuern. Diese Art von Wohlstand werden wir in Zukunft nicht mehr haben.


Die bisher gültige Gleichung lautet: Wachstum ist gleich Arbeitsplätze ist gleich Sicherung der sozialen Netze ist gleich Wohlstand. Wenn nun das Wachstum wegfällt, kommt das gesamte Gefüge ins Wanken.

Das muss nicht zwangsläufig so sein. Die Industrialisierung hat die Produktivität nach oben getrieben – und zwar seit Beginn des 20. Jahrhunderts etwa um das Zehnfache. Gelungen ist das, indem man natürliche Ressourcen, vor allem Energie, an die Stelle der Arbeit gesetzt hat. Das ist künftig nicht mehr möglich, weil die Ressourcen weniger und viel teurer werden. Menschliche Arbeit wird das kompensieren.

Die Industrialisierung lässt sich nicht rückgängig machen.

Aber sie lässt sich verändern. Den defekten Wecker werden wir nicht mehr unbesehen in den Mülleimer werfen, sondern reparieren lassen. Das Reparieren ist Einsatz menschlicher Arbeit, der Neukauf Einsatz von Ressourcen.

Es liegt in der Natur des Menschen, dass er mehr erreichen will, als er schon hat. Lässt sich das so einfach ausschalten?

Das lässt sich nur sehr mühsam ausschalten. Wobei das mit der Natur so eine Sache ist: In den ersten 50.000 Jahren menschlicher Existenz kannte man Wachstum gar nicht. Das ist ein ganz junges Phänomen. Aber Sie haben recht: Wir haben heute diese Wachstumsprägung, weil wir etwas in der Geschichte Einzigartiges erlebt haben, nämlich die Verfünffachung des Wohlstands innerhalb von rund 50 Jahren. Diese Prägung macht uns jetzt schwer zu schaffen.

Generationen von Eltern haben ihren Kindern gesagt, „ihr sollt es einmal besser haben“. Müssen heutige Eltern den Kindern sagen, dass sie es leider nicht mehr so gut haben werden?

Das tun sie bereits. Laut empirischen Befunden glaubt nur noch ein Drittel der Eltern, dass ihre Kinder es einmal besser haben werden. Ein Drittel hofft, dass sie es gleich gut haben und ein Drittel sagt, „was wir hatten, werdet ihr nicht mehr haben“.

Wie gut gelingt es Ihnen selbst, nach diesen Prinzipien zu leben? Als Buchautor werden Sie doch auch versuchen, mehr zu verkaufen als die anderen.

Ich spende große Teile meines Einkommens und führe seit 20, 25 Jahren ein Leben, das materiell deutlich unter dem liegt, was ich mir leisten könnte. Ich könnte ein größeres Haus haben, ein größeres Auto und aufwendiger auf Urlaub fahren. Das tue ich nicht. Ich sage mir, das steht nicht dafür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2010)

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