Die Angst, den Anschluss an Europas Airbus zu verlieren, sorgte für die Probleme bei Boeings 737 Max. Die Aufsicht schaute bei kritischen Punkten nicht genau hin.
Wien. Eine Woche nach dem Absturz einer 737 Max der Ethiopian Airlines, bei dem auch vier aus Österreich stammende Passagiere ums Leben kamen, wird zunehmend klarer, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Denn wie berichtet, war nur wenige Monate zuvor eine 737 Max der indonesischen Lion-Air unter ähnlichen Umständen abgestürzt. Und wie erste Auswertungen der Flugschreiber am Sonntagabend zeigten, dürfte dasselbe Softwareproblem dafür verantwortlich sein.
Klarer wird aber auch das Bild, warum der traditionsreiche Boeing-Konzern bei seinem wirtschaftlich wichtigsten Modell überhaupt so große technische Probleme hat und wie die 737 Max trotzdem die Zulassung durch die US-Luftfahrtsbehörde FAA erhielt. Sowohl Boeing als auch die FAA machen dabei keine sonderlich gute Figur.
Airbus macht Boeing Druck
Der Ursprung der Probleme liegt im Jahr 2010. Damals verkündete der europäische Flugzeughersteller Airbus, sein Mittelstreckenflugzeug A320 zu überholen und künftig als A320 neo anzubieten. Vor allem modernere Turbinen sollen den Treibstoffverbrauch um gut 20 Prozent senken. Boeing ist zu diesem Zeitpunkt noch unentschlossen, wie die Zukunft der aus den 1960er-Jahren stammenden und in den 1990ern vollständig überholten 737 aussehen soll.
Doch schnell wird klar, dass die ebenfalls auf dem Tisch liegende Neukonstruktion zu lange dauern würde. So ordert American Airlines bereits 2011 über 200 Airbus, um ältere 737 zu ersetzen. Boeing will nun nachziehen, die alte 737 soll ebenfalls mittels moderner spritsparender Turbinen ausgerüstet werden und zur 737 Max werden. Das Problem: Die Triebwerke sind eigentlich zu groß. Damit sie an das Flugzeug passen, müssen sie weiter vorn an die Tragflächen montiert werden. Das führt dazu, dass die Maschine zu stark nach oben ziehen kann, was in der Folge einen Absturz auslösen könnte. Eine neue Software namens MCAS soll das Problem lösen. Sie soll gefährliche Situationen erkennen und die Flugzeugnase automatisch nach unten drücken. Bei den beiden Katastrophen dürfte dieses System nun fehlerhafte Sensordaten erhalten und die Nase beim Steigflug kurz nach dem Start so stark nach unten gedrückt haben, dass die Maschinen abstürzten. Wie berichtet, waren die Piloten zu wenig in die Funktionsweise von MCAS eingeschult, weil Boeing die 737 Max nur als Weiterentwicklung der alten 737 vermarktete.
Aber warum wurde dieses mögliche Problem bei der Zertifizierung nicht erkannt? Die „Seattle Times“ berichtet nun mit Verweis auf FAA-Mitarbeiter, dass Boeing den wirtschaftlichen Druck weitergegeben habe. Das Flugzeug sollte schnell fertig werden, langwierige Prozeduren hätten dabei Jobs gefährdet. Das will sich keine Behörde nachsagen lassen. Hinzu kommt, dass die FAA in vielen Bereichen technologisch auch gar nicht mehr auf einer Höhe mit den Flugzeugherstellern ist. Daher werden seit 2009 diverse Überprüfungen an die Hersteller ausgelagert. Boeing-Mitarbeiter überprüfen also, ob Boeing-Teile sicher sind. MCAS soll ein solcher Bereich gewesen sein, der von Boeing selbst – wenn auch unter Aufsicht der FAA – überprüft wurde.
Justizministerium prüft
Eigentlich sollte das nur in Bereichen geschehen, die „geringes oder mittleres Risiko“ aufweisen. MCAS wurde hierbei also falsch eingestuft. So bezieht das System seine Daten auch nur von einem einzigen Sensor. In sicherheitsrelevanten Bereichen ist es in der Luftfahrt jedoch Standard, dass es drei unabhängige Sensoren gibt, bei denen von zweien die Werte übereinstimmen müssen. Die FAA erklärt, dass die 737 Max nach dem „Standardverfahren“ zertifiziert wurde. Dennoch soll der Vorgang nun vom US-Justizministerium untersucht werden, so das „Wall Street Journal“. Für die USA ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. (jaz)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2019)