Die EU-Wettbewerbshüter verdächtigen die deutschen Autokonzerne, illegale Absprachen bei der Technologie zur Abgasreinigung getroffen zu haben.
Wien/Brüssel/Berlin. Warum lassen sich Verdecke von Cabrios nur bis zu einer bestimmten Fahrgeschwindigkeit öffnen? Nicht in erster Linie wegen des Luftwiderstands, dahinter steckt vielmehr eine heimliche Absprache der Autoindustrie.
„Kein Wettrüsten bei den Geschwindigkeiten“, hielten Vertreter von Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen in einem Protokoll zu Cabrioverdecken fest, von dem das deutsche Magazin „Der Spiegel“ im Juli 2017 berichtete. In der Titelgeschichte „Das Kartell“ schrieb das Magazin von Untersuchungen der EU-Kommission wegen weitreichender Absprachen der Autohersteller, die eben von der Cabriotechnik bis hin zur Abgasreinigung reichten.
Jetzt, fast drei Jahre nach einer Art Selbstanzeige von Volkswagen (am 4. Juli2016) „wegen Beteiligung an mutmaßlichen Kartellverstößen“ kommen die EU-Wettbewerbshüter zu dem Schluss: Die deutschen Autokonzerne haben illegale Absprachen zu Technologien der Abgasreinigung getroffen. Ihnen droht nun eine Strafe in Milliardenhöhe.
„Zulässige Abstimmung“
Konkret sollen sich die Autobauer bei der Einführung von SCR-Katalysatoren (Stichwort: Ad-Blue) für Dieselmotoren und von Feinstaubpartikelfiltern für Benzinmotoren (OPF) unerlaubterweise koordiniert haben. Diese Absprachen seien bei Treffen der Automobilhersteller in den sogenannten 5er-Kreisen (die oben genannten Hersteller; Audi und Porsche gehören zum Volkswagen-Konzern) getroffen worden.
Die Unternehmen hätten den Innovationswettbewerb in Europa bei diesen beiden Abgasreinigungssystemen eingeschränkt und den Verbrauchern somit die Möglichkeit verwehrt, umweltfreundlichere Fahrzeuge zu kaufen – obwohl sie über die entsprechende Technologie verfügten, teilten die Wettbewerbshüter am Freitag weiter mit. Eine Verbindung zum Abgasskandal sieht die Behörde nicht, mögliche Verstöße gegen Umweltvorschriften sind nicht Teil dieses Verfahrens.
Die Autobauer können nun Stellung nehmen. Sollte sich der Verdacht endgültig bestätigen, wäre es ein Verstoß gegen europäisches Kartellrecht. Preisabsprachen oder die Aufteilung von Märkten werden den Herstellern nicht vorgeworfen.
Daimler (Mercedes) erwartet am Ende des Verfahrens jedenfalls keine Bußgeldzahlungen. „Daimler hat frühzeitig und umfassend mit der Europäischen Kommission als Kronzeuge kooperiert und erwartet in dieser Sache deshalb kein Bußgeld“, teilte der Autobauer am Freitag mit. Angeblich lieferte Daimler schon 2014 Hinweise.
Auch Volkswagen hofft auf die Kronzeugenregelung, die im Kartellverfahren den größte Strafnachlass oder gar Straffreiheit garantiert. Man prüfe die Beschwerde, erklärte der weltweit größte Autokonzern am Freitag. Erst nach Auswertung der Untersuchungsakte werde man sich äußern.
Schwieriges Jahr
Von illegalen Absprachen wollen die Hersteller nichts wissen. Nach VW-Einschätzung erkennt die Kommission „grundsätzlich an, dass Kooperationen zwischen Herstellern zu technischen Fragen in der Automobilindustrie weltweit üblich sind“. Die BMW Group sieht wiederum im EU-Verfahren „den Versuch, die zulässige Abstimmung von Industriepositionen zu regulatorischen Rahmenbedingungen mit unerlaubten Kartellabsprachen gleichzusetzen“.
Bei den Gesprächen mit Daimler und VW sei es im Kern um die Verbesserung von Technologien zur Abgasnachbehandlung gegangen. „Anders als Kartellabsprachen zielten diese Gespräche, die industrieweit bekannt waren und keine ,Geheimabsprachen‘ zum Gegenstand hatten, nicht auf die Schädigung von Kunden oder Lieferanten ab“, so BMW.
Die Meldung aus Brüssel kommt in einem insgesamt schwierigen Jahr für die Autoindustrie. In den deutschen Werken dürfte die Produktion heuer um etwa fünf Prozent auf 4,8 Millionen Fahrzeuge sinken, prognostizierte der Verband der Automobilindustrie. Auch Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer stimmt die Autobauer auf Probleme ein: Gewinnwarnungen, Produktionskürzungen und Personalabbau seien programmiert. (rie/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)