Boeing wusste lange vor Absturz von Problemen

Boeing hat das Wissen um das Problem nicht an die US-Flugaufsichtsbehörde FAA weitergegeben.
Boeing hat das Wissen um das Problem nicht an die US-Flugaufsichtsbehörde FAA weitergegeben.APA/AFP/MARK RALSTON
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Schon 2017, mehr als ein Jahr vor dem Absturz der ersten 737 Max, wusste Hersteller Boeing von dem Softwareproblem. Man hielt es damals für nicht bedeutend.

Seattle/Wien. Die Vorgänge rund um die Abstürze von zwei Flugzeugen des Typs Boeing 737 Max werden immer mehr zu einem Kriminalfall. Am vergangenen Wochenende gestand Boeing ein, bereits wenige Monate nach der Auslieferung der ersten 737 Max im Mai 2017 von dem Softwareproblem gewusst zu haben, das vermutlich für den Absturz der beiden Maschinen verantwortlich ist. Damals kam man zur Ansicht, dass das Problem zu keiner Beeinträchtigung der Flugsicherheit führt.

Erst Ende April musste der US-amerikanische Flugzeughersteller nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ eingestehen, dass ein Warnsystem deaktiviert war, das Fehlfunktionen des Stabilisierungssystems MCAS gemeldet hätte. Nun kam das weitere Eingeständnis, dass Boeing-Techniker schon 2017 von dem Softwareproblem bei der Serie 737 Max wussten. Man habe damals festgestellt, dass „die 737 Max Systemsoftware nicht korrekt die Anforderungen des AOA-Disagree-Alarms“ erfüllt, hieß es in einer 29 Zeilen langen Erklärung auf der Webseite des Herstellers.

346 Tote bei Abstürzen

AOA steht für „Angle of Attack“, sprich den Anstellwinkel des Flugzeugs. Der AOA-Disagree-Alarm warnt Piloten, falls die beiden Sensoren des Stabilisierungssystems MCAS widersprüchliche Daten liefern. Diese Warnmeldung war, wie berichtet, in der Mehrheit der 737 Max nicht aktiviert. Der Grund dafür war, dass die Software mit einem Anstellwinkelindikator verknüpft war – und dieser Indikator war eine kostenpflichtige Zusatzfunktion der 737 Max (erst seit dem Absturz der beiden Maschinen ist dieses Feature kostenlos). Laut Informationen der „New York Times“ hatten nur 20 Prozent der Kunden dieses Zusatzfeature bei ihren Maschinen bestellt.

Obwohl man bei Boeing also das Problem kannte, wurden weder Kunden noch die US-Flugaufsichtsbehörde FAA informiert. Man sei der üblichen Vorgangsweise gefolgt und habe intern untersucht, heißt es in der Stellungnahme. Dabei seien die Techniker zum Schluss gekommen, dass der nicht funktionierende Alarm die Flugsicherheit und den Betrieb nicht beeinträchtige. Boeing fügte der Erklärung vom Wochenende aber ausdrücklich hinzu: „Die Führungsebene war in diese Untersuchung nicht involviert und wurde erst nach dem Unfall der Lion Air auf diese Angelegenheit aufmerksam.“

Die 737 Max der Lion Air (Flugnummer: JT610) stürzte am 29. Oktober 2018 über Indonesien ab. Dabei kamen alle 189 Insassen ums Leben. „Ungefähr eine Woche nach dem Lion-Air-Unfall“ habe man sowohl Fluglinien als auch die FAA darauf hingewiesen, dass der AOA-Disagree-Alarm nur funktioniere, wenn der Anstellwinkelindiktator eingebaut ist. Im Dezember 2018 sei eine weitere Untersuchung durchgeführt worden, die ebenfalls ergeben habe, dass das Problem kein Sicherheitsrisiko darstelle. Man habe der FAA dieses Ergebnis mitgeteilt.

Am 10. März 2019 stürzte eine 737 Max der Ethiopian Airlines (Flugnummer: ET302) kurz nach dem Start ab. Dabei kamen alle 149 Passagiere und acht Besatzungsmitglieder ums Leben. Unter den Opfern waren auch drei Ärzte aus Oberösterreich im Alter zwischen 30 und 40 Jahren sowie ein Pfarrer aus Deutschland, der in Villach tätig war. Nach diesem zweiten Absturz erließen viele Länder der Welt ein Start-, Lande- und Überflugverbot für Boeing-Maschinen dieses Typs, nach einigen Tagen des Zögerns folgte auch die FAA mit einem Flugverbot. Seither stehen alle 387 bisher weltweit ausgelieferten 737 Max auf dem Boden. Per Stand Ende Jänner 2019 hatte Boeing 5011 Bestellungen für Maschinen dieses Type.

Derzeit arbeitet der Hersteller an einer Verbesserung des Systems und absolviert Testflüge. Wann diese Tests abgeschlossen und die Verbesserungen von der FAA abgenommen sind – wann also die 737 Max wieder fliegen darf – , ist derzeit nicht bekannt.
Boeing gab die bisherigen Kosten durch die 737-Max-Probleme mit mehr als einer Milliarde Dollar an. Unklar ist, wie stark die künftigen Geschäfte des Herstellers unter dem Debakel leiden. (red./ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2019)

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