Steuerschätzung: Das deutsche 124,3-Milliarden-Euro-Loch

Finanzminister Olaf Scholz.
Finanzminister Olaf Scholz.(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Der deutsche Finanzminister muss mit deutlich weniger Geld ausgekommen als bisher angenommen. „Die fetten Jahre sind vorbei“, sagt er. Und das belastet auch die Große Koalition in Berlin.

Berlin/Kiel. Hoch im Norden der Republik, in Kiel, haben sich Experten des Arbeitskreises Steuerschätzungen über viel Zahlenmaterial gebeugt. Seit Dienstag wurde gerechnet. Das Ergebnis ist ein schwarzes Loch. Der deutsche Gesamtstaat muss dieser Steuerschätzung zufolge bis 2023 mit 124,3 Mrd. Euro Steuereinnahmen weniger auskommen, als noch im Oktober 2018 erwartet worden war. Allein für den Bund wurde die Prognose um 74 Milliarden Euro gesenkt. Hauptgrund: Die Konjunktur hat sich eingetrübt.

Bei näherer Betrachtung verliert die Zahl zwar ein wenig an Dramatik. Denn die Steuereinnahmen werden in absoluten Zahlen keinesfalls weniger, sie steigen sogar auf Rekordniveau, aber sie tun das viel langsamer als angenommen.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat in der Zwischenzeit einen Gutteil der konjunkturbedingten Steuerausfälle in seine Haushaltspläne eingepreist, aber eben nicht in diesem Ausmaß: 2020 fehlen im Etat Berichten zufolge 1,6 Milliarden Euro, in den beiden Folgejahren zwischen zwei und drei Milliarden.

Scholz warnt vor Panikmache

Scholz wiederholte deshalb am Donnerstag sein Mantra: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ Eine Konjunkturkrise sieht er nicht, nur eine „Delle“, die teils auch Brexit und Handelskonflikte geschlagen hätten. Der deutsche Arbeitsmarkt sei aber „sehr robust“. Scholz' Botschaft lautete: Nur keine Panik. An der schwarzen Null im Haushalt, dem Markenzeichen deutscher Regierungspolitik, will der Sozialdemokrat festhalten. Aber: „Es werden sich auch alle ein bisschen anstrengen müssen.“ Ministerien müssten sparen, schon verplante Gelder wieder gestrichen werden.

Die neue Steuerschätzung droht zudem Zwietracht in der Regierung zu säen. Die Koalitionspartner CDU und CSU schwächeln in Umfragen. Beide wollen ihr Profil schärfen. Und beide planen dafür Maßnahmen, die Geld kosten, von dem nun eben weniger als erwartet da ist. Die SPD will eine „Respektrente“ ohne Bedürftigkeitsprüfung, Die CDU drängt auf eine gänzliche Abschaffung des „Soli“, einer Sonderabgabe auf die Einkommenssteuer. Und Wirtschaftsminister Peter Altmaier will gerade wegen der eingetrübten Konjunktur Unternehmen entlasten. Auch die CSU drängt auf ein „Wachstums- und Modernisierungspaket“ für die Wirtschaft.

CDU lädt zu Klausur

Der Geldverteilungskampf in der Koalition droht also mit neuer Härte geführt zu werden. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat wegen der Steuerschätzung und deren Folgen schon vorsorglich zu einer außerordentlichen Parteiklausur im Juni geladen – was schon den Ernst der Lage andeutet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2019)

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