Deutschland: Warnungen trotz Auftragsplus

Die Lage der deutschen Industrie bleibt trotz des größten Auftragszuwachses seit fast zwei Jahren ernüchternd.
Die Lage der deutschen Industrie bleibt trotz des größten Auftragszuwachses seit fast zwei Jahren ernüchternd. (c) APA/AFP/ALFREDO ESTRELLA
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Die deutschen Betriebe sammeln im Juni 2,5 Prozent mehr Aufträge ein. Ökonomen warnen dennoch vor einem Wirtschaftsabschwung im zweiten und dritten Quartal. Steht die Rezession schon vor der Tür?

Berlin. Die Lage der deutschen Industrie bleibt trotz des größten Auftragszuwachses seit fast zwei Jahren ernüchternd. Das Neugeschäft nahm im Juni zwar überraschend deutlich um 2,5 Prozent zu − aber nur dank vieler Großaufträge. Klammert man diese aus, gingen die Bestellungen um 0,4 Prozent zurück, wie das deutsche Statistische Bundesamt mitteilte.

Ökonomen betonten, auch die Stimmung der Industrie habe sich im Juli nochmals verschlechtert. „Damit steigt die Gefahr, dass die Wirtschaft nach dem von uns erwarteten leichten Minus im zweiten Quartal auch im dritten Quartal leicht schrumpfen wird“, sagte Commerzbank-Experte Ralph Solveen. „Eine Rezession kann wohl weiterhin nur durch eine recht ordentliche Binnennachfrage vermieden werden“, sagte Stefan Kipar von der Bayern LB.

Der langjährige Boom der Industrie ist längst vorbei. Grund sind die internationalen Handelskonflikte mit den USA, das Schwächeln der Autobranche und die Unsicherheit rund um den Brexit. Die auf dem Finanzmarkt viel beachteten Markit-Umfragen zum Einkaufsmanagerindex signalisierten jüngst, dass das verarbeitende Gewerbe im Juli so stark einbrach wie zuletzt vor sieben Jahren.

„Die sehr schlechte Stimmung in der Industrie lässt befürchten, dass das Order-Plus im Juni nur eine Atempause in einem anhaltenden Abwärtstrend war“, sagte Solveen. Auch Kipar warnte: „Das ist eine absolut trügerische Zahl.“ Das deutsche Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass der konjunkturelle Wendepunkt in der Industrie noch aussteht.

„Vorzeichen bleiben negativ“

Im zweiten Quartal gingen die Aufträge um 1,0 Prozent zurück, nach minus 4,2 Prozent zu Jahresanfang. Die Großbestellungen treffen nach Kipars Worten ohnehin oft Branchen, die tendenziell ein dickes Polster und damit eine höhere Auslastung hätten. „Aktuell rettet uns der hohe Auftragsbestand − n och“, sagte der Bayern-LB-Fachmann. „Wenn bis zum vierten Quartal kein Schwung in das Neugeschäft kommt, drohen aber womöglich Personalanpassungen wie Kurzarbeit.“ Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) äußerte sich skeptisch. Das Auftragsplus im Juni gebe den Firmen „nur wenig Hoffnung auf eine versöhnliche zweite Jahreshälfte“, sagte DIHK-Außenwirtschaftsexpertin Melanie Vogelbach. „Die Vorzeichen bleiben negativ.“ Denn die Handelskonflikte belasteten die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft.

Die Auslandsaufträge legten im Juni kräftig, um fünf Prozent, zu, dabei stieg die Zahl der Bestellungen aus Ländern außerhalb der Eurozone dank vieler Großaufträge deutlich um 8,6 Prozent. Das Inlandsgeschäft hingegen sank um 1,0 Prozent. (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2019)

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