Schafft Deutschland die Wende?

Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.
Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.(c) imago images / Jürgen Heinrich (Jürgen Heinrich)
  • Drucken

Zum Halbjahr konnte die Bundesrepublik einen Haushaltsüberschuss von 45 Mrd. Euro erzielen. Doch die Wirtschaft lahmt, weshalb über Konjunkturhilfen diskutiert wird.

Wien/Berlin. Aus der Bundesrepublik Deutschland kamen in jüngster Zeit eher triste Nachrichten: „Manager im Stimmungstief“, „Deutsche Industrie bleibt in Rezession“, „Arbeitsmarktbarometer auf tiefstem Stand seit Langem“. Mitten in das Dauerthema Konjunkturabschwung platzte am gestrigen Dienstag dann aber eine – zumindest auf den ersten Blick – erfreuliche Meldung. Deutschland schaffte im ersten Halbjahr einen Überschuss von 45,3 Mrd. Euro. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung ergibt sich daraus ein Plus von 2,7 Prozent (siehe Grafik).

(c) Die Presse

Das Land steuert damit auf den sechsten Haushaltsüberschuss in Folge zu. Während viele andere Länder in den vergangenen Jahren kontinuierlich mehr ausgaben als sie einnahmen, legte sich Österreichs Nachbar einen Finanzpolster zu. Die bisherige wirtschaftliche Entwicklung ermöglichte das. Die Exporte liefen rund, die Beschäftigungsentwicklung war günstig, und die Steuern als wichtigste Einnahmequelle des Staates sprudelten. Gleichzeitig sanken die Finanzierungskosten in der Eurozone. Davon profitierte vor allem Deutschland, denn niemand kann sich auf dem Kapitalmarkt so günstig Geld besorgen.

Rückgang im Quartal

Künftig dürften die Einnahmen des Staates wegen des sich abflachenden Wachstums allerdings schwächer ausfallen. Die für das dritte Quartal erhoffte Erholung der Wirtschaft steht zunehmend infrage. Internationale Handelskonflikte, der Austritt der Briten aus der EU und die damit einhergehende Abkühlung der Weltkonjunktur belasten die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Das wurde im zweiten Quartal bereits deutlich sichtbar. Seit gestern ist offiziell, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Frühjahr um 0,1 Prozent geschrumpft ist. Wiederholt sich dieses Szenario auch im laufenden Vierteljahr, spricht man von einer technischen Rezession. Noch rechnet die Bundesregierung für das Gesamtjahr mit einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent (2018: 1,5 Prozent).

Schrumpft die Wirtschaftsleistung aber auch gegenüber dem Vorjahr, wäre wohl Feuer am Dach. Zuletzt war das 2009 infolge der Finanzkrise der Fall. Damals entwickelten sich die Steuereinnahmen rückläufig, die Ausgaben stiegen an, unter anderem wegen Konjunkturprogrammen und Kurzarbeit. Noch im gleichen Jahr kletterte das Defizit Deutschlands auf 3,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – erstmals seit 2005 verletzte man die Maastricht-Kriterien wieder. Auch 2010 lag die Defizitquote über dem erlaubten Wert, der eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des BIPs vorsieht.

Laufend Überschüsse

Doch seit 2012 schafft es Deutschland kontinuierlich, Überschüsse zu erzielen. In den vergangenen Wochen wurden deshalb die Rufe nach einer Abkehr von der schwarzen Null lauter. Zahlreiche Ökonomen forderten SPD-Finanzminister Olaf Scholz dazu auf, Milliarden in den Kreislauf zu stecken. Damit soll der Abschwung nicht nur kurzfristig abgewendet, sondern auch verabsäumte Investitionen nachgeholt werden.

Nehme man jetzt kein Geld in die Hand, belaste man nicht nur die jetzige Generation, sondern bürde der künftigen auch einen hohen Investitionsbedarf auf, warnte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Auch aus der Industrie kamen zuletzt Appelle an die Bundesregierung. „Deutschland verfügt nach einem wirtschaftlich starken Jahrzehnt mit einem sehr hohen Beschäftigungsstand und solide finanzierten öffentlichen Haushalten über Spielraum – trotz der Schuldenbremse“, so der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Joachim Lang.

Zuletzt hatte Kanzlerin Angela Merkel versichert, die Regierung werde „situationsabhängig“ reagieren. Einem Medienbericht zufolge arbeitet das Finanzministerium bereits an einem 50 Mrd. Euro schweren Konjunkturprogramm, sollte das Land tatsächlich in eine schwere Rezession schlittern. Die Schuldenbremse müsste dann wohl über Bord geworfen werden. Zumindest heuer dürfte deren Spielraum nämlich ausgenutzt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.