Rechtslage: Die Statuten der Europäischen Zentralbank unterscheiden sich von jenen der US-Notenbank Fed in einem wesentlichen Punkt.
Wien. Als die Wirtschaftskrise Anfang September 2008 in den USA auf ihren Höhepunkt zusteuerte, blickte die Finanzwelt gespannt in Richtung des amerikanischen Notenbankchefs. „Rettet Ben Bernanke Lehman Brothers?“, lautete eine immer wieder gestellte Frage. Die Wirtschaftswelt akzeptierte die Tatsache, dass die Federal Reserve eine entscheidende Rolle im Finanzkrimi um das Investmenthaus spielt, praktisch ausnahmslos.
Tatsächlich hat die Fed in ihren Statuten ein Mandat, mit dem sie praktisch alle Interventionen in die Marktwirtschaft rechtfertigen kann: „Maximale Beschäftigung“ lauten die Zauberwörter, auf die sich die US-Notenbank stets beruft – auch, als sie im vergangenen Jahr das umstrittene Programm zum Kauf von US-Staatsanleihen fortsetzte und 600 Milliarden Dollar in den Wirtschaftskreislauf pumpte. Das heizt die Teuerung an – die USA halten bei einer Inflationsrate von 3,6 Prozent. Doch muss sich die Fed eben nicht nur um Preisstabilität kümmern, sondern auch den Arbeitsmarkt stimulieren.
Im Gegensatz dazu benennt die Europäische Zentralbank in ihrem Statut ein primäres Ziel: jenes der Preisstabilität. Auch, was sie unter Preisstabilität verstehen, schreiben die Währungshüter exakt fest: eine Teuerungsrate von „unter, aber nahe zwei Prozent“. Aktuell liegt die Inflation in der Eurozone laut OECD bei 3,1 Prozent. Ihr vorgegebenes Ziel verfehlt die Zentralbank seit mehr als einem Jahr Monat für Monat.
Die EZB beruft sich darauf, dass ein vorübergehendes Abweichen vom Ziel der Preisstabilität möglich ist – abhängig von der jeweiligen Wirtschaftslage. Soll heißen: Um eine Rezession zu bekämpfen, ist es kurzfristig legitim, Geld in die Märkte zu pumpen und die Teuerung mittelfristig zu riskieren.
Die entscheidende Frage wäre, wie lange die EZB das darf. Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. In der Regel sprechen Juristen davon, dass die Teuerung über einen Konjunkturzyklus im Rahmen des Status liegen sollte. Das lässt Spielraum für Interpretationen offen. Klar ist indes: Spätestens, wenn es zu einer Hyperinflation käme, hätte die EZB nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein juristisches Problem.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2011)