Kein großer Bahnhof für den „Neuen“

(c) AP (MICHAEL PROBST)
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In einem halben Jahr startet die neue, private "Westbahn": Alles läuft nach Plan. Sogar die Politik zeigt sich verlässlich: Wie erwartet, werden dem jungen Unternehmen alle erdenklichen Steine in den Weg gelegt.

Frühling 2008. Im Verkehrsministerium schaltet und waltet Werner Faymann – und in den ÖBB ist Großreinemachen angesagt: Etliche Manager, die unter Schwarz-Blau zu den Bundesbahnen gekommen waren, müssen gehen. Darunter Personenverkehrs-Vorstand Stefan Wehinger.

Er nimmt sich eine Auszeit in den USA, um seinen MBA zu machen. Und um nachzudenken. Da kommt ihm ein nachgerade irrer Gedanke: „Ich kann das selber auch.“

„Das“ ist ein privates Bahnunternehmen in Österreich. Wehinger tüftelt an einem Businessplan, weiß aber ganz genau: Alleine „derhebt“ er das Ganze nicht. Er braucht „viel, viel Geld“. Zurück in Österreich, erstellt er gemeinsam mit einem Wirtschaftsprüfer eine Liste von fünf Personen, die er für das Projekt ins Boot holen könnte. Die Kriterien: Vermögend müssen sie sein. Und ausgestattet mit jeder Menge Pioniergeist. Der Bauindustrielle Hans Peter Haselsteiner ist der Erste auf der Liste. Schon beim zweiten Treffen sagt er zu – vorausgesetzt, dass auch Wehinger einen Teil des finanziellen Risikos trägt. Am 16. Oktober 2008 wird die Rail Holding AG mit ihrer operativen Tochter „Westbahn“ gegründet.

In einem halben Jahr, am 11. Dezember, soll die erste Fahrt mit den grün-blauen Doppelstock-Zügen auf der Strecke Wien–Salzburg starten. Und derzeit deutet auch nichts darauf hin, dass dieser Plan nicht eingehalten werden wird. „Jetzt sind wir in der lustigen Phase“, erzählt Wehinger, „wir kommen von der Theorie zur Praxis.“ Will heißen: Es werden geplante Menüs verkostet, es werden an die 200 Mitarbeiter rekrutiert, und es werden die ersten fertigen Züge in Augenschein genommen.

Die hat Wehinger bei einem Schweizer Mittelstandsunternehmen bestellt. Weniger, um Kosten zu sparen (die sieben Züge haben 110 Millionen Euro gekostet) als aus praktikablen Gründen: „Es gibt vier große Player, die Züge herstellen“, sagt Wehinger. „Das sind große Konzerne mit komplexen Strukturen. Da hätten wir gut sechs Jahre auf unsere Bestellung warten müssen.“ Bei den Schweizern ging es schneller – „und ich hätte bei jedem Problem sofort den Chef sprechen können.“

Ja, Stefan Wehinger hat offenbar an alles gedacht. „Alles, was an uns liegt und wir beeinflussen können, haben wir abgehakt“, sagt er denn auch nicht ohne Stolz. Blöd halt, dass er nicht alles beeinflussen kann.

Man muss kein großer Prophet sein, um zu erraten, wo die Probleme des jungen Unternehmens liegen. Und daher überrascht es auch wenig, wenn Wehinger seufzt: „Uns bläst ein rauer, roter Wind entgegen.“

Klar: Die „Westbahn“ ist ein ziemlich ungemütlicher Konkurrent für den behäbigen, maroden Staatsbetrieb ÖBB. Hat das neue Unternehmen doch glatt keinen Genierer, seinen Kunden „eine neue Qualität des Reisens“ anbieten zu wollen. 13 Mal täglich wird die Strecke Wien–Salzburg in zwei Stunden und 57 Minuten gefahren, zum Preis von der ÖBB-Vorteilscard. In den Waggons gibt es Snackbars mit Selbstbedienungsautomaten, jeder Waggon bekommt einen Kundenbegleiter (bei den ÖBB heißen sie Zugbegleiter), und die IT-Infrastruktur soll – so wird versprochen – vom Feinsten sein. In fünf Jahren will Wehinger Gewinne schreiben und bis dahin auch andere Strecken ins Programm nehmen.

Dazu kommen einige für die ÖBB geradezu ruchlose Personalia. Vor wenigen Wochen verließ Erich Forster, jahrelang Leiter des ÖBB-Fernverkehrs und wichtiger Know-how-Träger, die Staatsbahn und verzichtete damit auf Millionenansprüche. Er arbeitet jetzt bei der „Westbahn“. Nicht gering zu schätzen ist auch der Aufsichtsratspräsident der Rail Holding: Das ist Benedikt Weibel,jahrelang Chef der äußerst erfolgreichen Schweizerischen Bundesbahnen.

Kein Wunder, dass bei ÖBB und SPÖ-Verkehrsministerium die Alarmglocken in ohrenbetäubendem Ausmaß schrillen. Erstaunlich nur, mit welcher Dreistigkeit gegen den neuen Konkurrenten vorgegangen wird. Aber Wettbewerb belebt ja die Kreativität.

So werden der „Westbahn“ Daten vorenthalten, mit denen sie ihre Gäste über Anschlussmöglichkeiten informieren möchte. Kinkerlitzchen allerdings im Vergleich zum Ideenreichtum, den man bei den „Gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ hatte: Diese werden prinzipiell für den Personenverkehr gewährt – wenn dessen Leistungen im öffentlichen Interesse stehen, die Kosten aber nicht allein aus Tariferlösen gedeckt werden können. Bislang sind die Verträge zwischen Ministerium und ÖBB jährlich abgeschlossen worden. Beim jüngsten Vertragsabschluss vor wenigen Monaten besann man sich plötzlich der „Effizienz“, wie im Verkehrsministerium beteuert wird: Der Vertrag wurde für zehn Jahre abgeschlossen – und damit ist fix, dass die ÖBB jährlich 578 Millionen Euro für die Erbringung Gemeinwirtschaftlicher Leistungen erhalten werden. Der Vertrag bringt aber noch ein weiteres Novum: Erstmals ist die Westbahnstrecke von solchen Leistungen ausgeschlossen. „Sie ist nicht zuschussbedürftig“, heißt es im Ministerium. Wie das Leben halt so spielt.

In die Kategorie „Zufall“ fällt wohl auch die Tatsache, dass plötzlich die sogenannten Infrastrukturbenützungsentgelte in exorbitantem Ausmaß, wie durch Geisterhand, erhöht wurden: Die Gebühren für Stationshalte (so etwas gibt es tatsächlich) sind im Schnitt um 48 Prozent gestiegen. Interessanterweise betrifft dies aber nur Stationen, die die „Westbahn“ nicht benützen wird. In St. Pölten hingegen macht der Preissprung 78,46 Prozent aus, in Linz 66,33 Prozent.

Bei den Tarifen für die Streckenbenützung gibt es das gleiche Phänomen: Bisher gab es hier jährliche Verteuerungen um 2,5 Prozent. Für nächstes Jahr macht der Preisanstieg 14,4 Prozent aus. „Das kostet uns jährlich 1,1 Millionen mehr“, sagt Wehinger. Das Ministerium will das nicht so eng sehen: Die Verteuerungen beträfen ja auch die ÖBB, betont man dort. Dass die eingehobenen Gebühren in die ÖBB-Infrastruktur AG wandern, sei nur am Rande erwähnt.

Stefan Wehinger kann das jedenfalls alles gar nicht glauben: „Man schützt die ÖBB vor dem liberalisierten Markt und gibt ihnen nicht die Möglichkeit, sich zu verbessern. Man hilft den ÖBB nicht, wenn man sie in Watte packt.“

Wehinger schießt jedenfalls scharf zurück: Er hat die Kanzlei von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer engagiert. Und dessen Partner Rüdiger Schender – einst als Mitarbeiter des Verkehrsministeriums selbst ÖBB-Aufsichtsrat – hat bereits Klage beim Handelsgericht eingebracht. Das wird spannend: Eine Beschwerde beim Bundesvergabeamt wegen der Direktvergabe der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen wurde gerade zugunsten der Staatsbahn abgewiesen.

Dem geneigten Zugreisenden kann's egal sein – Hauptsache, der Wettbewerb belebt das Angebot. Und das ist eindeutig der Fall: Vor einem halben Jahr haben die ÖBB die Strecke Linz–Graz wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt. Hartnäckigen Gerüchten zufolge könnten die ÖBB diese nun wieder bedienen. Erraten: Die Rail Holding hatte sich für die Strecke interessiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2011)

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