Fiat Chrysler: Wie es ohne Marchionne weitergeht

Fiat-Chrysler-Chef Marchionne ist schwer krank und tritt ab. Er übergibt die Firma schuldenfrei, aber mit einer langen Aufgabenliste für die kommenden Jahre.
Fiat-Chrysler-Chef Marchionne ist schwer krank und tritt ab. Er übergibt die Firma schuldenfrei, aber mit einer langen Aufgabenliste für die kommenden Jahre. (c) APA/AFP/MARCO BERTORELLO
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Mike Manley übernimmt bei Fiat Chrysler. Er tritt in große Fußstapfen – und erbt viel Arbeit.

Die Verantwortung, die auf Mike Manleys Schultern liegt, war bereits vor dem Wochenende groß. Der Jeep-Chef soll seine Verkaufszahlen bis 2022 verdoppeln. Sergio Marchionne erwartet von der rentabelsten Marke in seinem Fiat-Chrysler-Imperium Großes. Das machte er Anfang Juni bei der Präsentation seiner Fünf-Jahres-Strategie klar: Die US-Tochter Jeep hatte ihre Verkaufzahlen schließlich unter Manleys Führung bereits von 337.000 Stück 2009 auf 1,4 Millionen Stück 2017 geschraubt. Das Zauberstück sollte er wiederholen.

An der Vorgabe hat sich auch nach dem Wochenende nichts geändert. Aber der 54-jährige Brite wird sie unter anderen Vorzeichen erreichen müssen: Er trat am Samstag mit sofortiger Wirkung in die großen Fußstapfen des Fiat-Chrysler-Chefs. Am Montag leitete er in Turin bereits das erste Treffen der Gruppenchefs. Marchionnes Gesundheitszustand hatte sich infolge einer Operation Anfang Juli so plötzlich und rapide verschlechtert, dass der Aufsichtsrat in einer Krisensitzung noch am Wochenende seinen Nachfolger kürte.

Manley folgt einem Manager, der nicht nur für unkonventionelle Auftritte in schwarzen Pullovern und für seinen fordernden, exzessiven Führungsstil bekannt ist. Er übernimmt auch als erster Nichtitaliener einen Konzern, der ohne Marchionne nicht existieren würde: Der Italo-Kanadier trat vor 14 Jahren bei Fiat in Turin an, als das Unternehmen täglich zwei Mio. Euro Verlust schrieb. Er rettete es, fusionierte ab 2009 mit dem bankrotten US-Konkurrenten Chrysler und schuf den siebtgrößten Autohersteller der Welt.

Marchionne wollte sich eigentlich erst im Frühling 2019 in die Chefetage der Luxusautotochter Ferrari zurückziehen. Dass es jetzt plötzlich anders kam, verunsicherte viele Fiat-Anleger: Die an der Mailänder Börse notierten Titel von Fiat Chrysler Automobiles (FCA), der ehemaligen Sportwagen-Tochter Ferrari und von Exor, der Holding des Fiat-Gründerfamilie Agnielli, gaben am Montagvormittag zwischenzeitlich um bis zu fünf Prozent nach.

Ein Versprechen konnte Marchionne aber noch einlösen. Er wollte die Firma schuldenfrei übergeben – das ist mit Ende Juni gelungen. Auf Manley warten dennoch genug Aufgaben, dafür sorgt das geerbte Strategiepapier: Fiat Chrysler Automobiles (FCA) will bis Ende 2021 keine Dieselautos mehr herstellen. Und man will alle Modelle in Zukunft in elektrischer Ausfertigung anbieten. Dafür sind neun der insgesamt 45 Mrd. Euro bis 2022 veranschlagt. Die Investition soll der Konzern mit zuletzt 111 Mrd. Euro Umsatz dank eines jährlichen Wachstums von sieben Prozent stemmen.

Die Zukunft ist elektrisch – und teuer

Die Elektrifizierung, die Marchionne laut Kritikern ebenso wie den Trend hin zum autonomen Fahren bisher nicht stark genug verfolgt hat, ist nur eine Baustelle. Manley muss in den kommenden Monaten das acht Mrd. Euro schwere Zulieferergeschäft Magneti Marelli abspalten und erfolgreich an die Börse bringen. Er muss zukunftsfähige Lösungen für die schwächelnden Luxusmarken Alfa Romeo und Maserati finden. Zusätzlich zu all dem braucht er eine Strategie, wie sein Autobauer den Handelskrieg zwischen den USA, China und Europa möglichst ohne gröbere Blessuren durchsteht. Auf der einen Seite hat er es mit einer starken italienischen Gewerkschaft zu tun, die jede Verlagerung der fünf Fiat-Werke im Land heftig bekämpft. Auf der anderen Seite steht ein unberechenbarer US-Präsident namens Donald Trump – auch wenn er Marchionne unlängst zu seinem „Liebling“ unter den Autokonzern-Chefs erklärt hat.

Vor allem aber muss Manley die Hoffnungen erfüllen, die sein Vorgänger in die Geländewagensparte mit der US-Marke Jeep und ihrer Schwester Ram setzt. Die beiden sind bis dato hauptsächlich in den USA, dem Land der Truck- und Pick-up-Fahrer, erfolgreich. In fünf Jahren sollen sie zu einer der wichtigsten Säulen im weltweiten Geschäft von Fiat Chrysler geworden sein. Dafür muss der Brite aber schaffen, was ihm als Jeep-Chef bisher nicht richtig gelingen wollte: Er muss im asiatischen Markt, vor allem in China, Fuß fassen.

Namen von asiatischen Autofirmen wie Hyundai und GAC werden auch immer wieder ins Spiel gebracht, wenn es um die langfristige Zukunft von Fiat Chrysler geht: Manley müsse und werde sich einen strategischen Partner aus der Industrie suchen, um im internationalen Wettbewerb zu überleben, heißt es in der Branche.

Fiat Chrysler hält sich aus den Spekulationen großteils heraus. Marchionne forumlierte es bei seinem letzten großen Auftritt im Juni generell: „Die wahre Ziellinie kommt immer erst noch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2018)

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