Der Renault-Chef wollte die Fusion mit Nissan auch gegen den Willen der Japaner durchziehen. Das könnte sich nun ändern.
Wien. Ihm sei die Schuld in die Schuhe geschoben worden. Diese Aussage wird aus dem Umfeld von Renault-Chef Carlos Ghosn zurzeit verbreitet. Wie berichtet war der in Brasilien geborene Franzose mit libanesischen Wurzeln, der neben seiner Vorstandsfunktion bei Renault auch Konzernchef von Mitsubishi und Verwaltungsratschef bei Nissan ist, am Montag in Tokio festgenommen worden. Ihm wird vorgeworfen, zwischen 2011 und 2015 knapp die Hälfte seines Nissan-Gehalts in Höhe von insgesamt 88,8 Mio. Dollar vor den japanischen Finanzbehörden verschleiert zu haben. Zudem soll er auch Firmengelder für private Zwecke veruntreut haben.
Die Aussagen aus dem Umfeld Ghosns klingen angesichts dieser von den japanischen Behörden offiziell erhobenen Vorwürfe wie billige Ausreden. Dennoch scheint die Affäre, die ihren Ursprung in internen Ermittlungen bei Nissan hat, dem japanischen Autohersteller äußerst gelegen zu kommen.
Frankreich fordert Beweise
Für Ghosn war die Festnahme jedenfalls total überraschend. Er landete am Montag in Japan, um sich mit lokalen Politikern zu treffen. Bereits auf dem Flughafen Tokio erwarteten ihn jedoch die Polizei und japanische Medienvertreter, weshalb die Kunde seiner Festnahme sich innerhalb kürzester Zeit rund um die Welt verbreitete.
So auch nach Frankreich, wo am Dienstagabend Renault zwar die operativen Geschäfte vorläufig an Vize-Generaldirektor Thierry Bolloré übertrug, man sich aber anders als bei Nissan vorerst nicht von Ghosn trennen möchte. „Bisher haben wir noch keine Beweise, die die Vorwürfe gegen Carlos Ghosn bekräftigen. Ich unterstütze daher die Aufforderung von Renault, dass Nissan alle vorhandenen Daten mit uns teilt“, erklärte der französische Wirtschaftsminister, Bruno Le Maire. Frankreich ist mit 15 Prozent einer der Hauptaktionäre von Renault, das wiederum 43,4 Prozent an Nissan hält.
Diese Beteiligung könnte auch der Hintergrund für das harte Vorgehen der japanischen Nissan-Manager gegenüber Ghosn sein, so die Vermutung in Frankreich. Denn der Manager, der Ende der 1990er-Jahre zuerst Nissan und später Renault aus der wirtschaftlichen Schieflage gerettet hatte, wollte die beiden Hersteller – unter Einschluss von Mitsubishi – laut „Financial Times“ bereits in den kommenden Monaten zu einem echten Konzern fusionieren.
Die Machtzentrale des neuen franko-japanischen Autokonzerns wäre dabei wohl in Paris gewesen. Außerdem hatte man bei Nissan darüber hinaus auch Angst, dass Renault nach dem Cashpolster in Höhe von knapp elf Milliarden Dollar des inzwischen wirtschaftlich erfolgreicheren Juniorpartners greifen könnte. Der Vorstand von Nissan und vor allem Firmenchef Hiroto Saikawa sollen deshalb bereits angekündigt haben, sich mit allen Mitteln gegen eine Übernahme zu wehren.
Causa wird Thema der Politik
Die mutmaßlichen Verfehlungen Ghosns in der Vergangenheit dürften den Japanern dabei durchaus willkommen sein. Konkret soll er zusammen mit dem ehemaligen Nissan-Personalchef und heutigen Vorstand Greg Kelly ein aktienbasiertes Kompensationsprogramm in Höhe von umgerechnet rund 32 Mio. Euro nicht ordnungsgemäß gemeldet haben. Auch Kelly sitzt inzwischen in Haft.
Hinter vorgehaltener Hand erklärte ein Nissan-Manager gegenüber Journalisten, die Beziehung zwischen Renault und Nissan solle wieder mehr eine „unter Gleichen“ werden. Frankreich pocht darauf, dass die Allianz vorangetrieben wird. Aufgrund der Causa kommt heute, Donnerstag, Japans Wirtschaftsminister, Hiroshige Sekō, nach Paris. (jaz/Reuters)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2018)