Zell/See warb: „Arier bevorzugt!“

Die Gedanken sind frei - Der Februar 1934 bei den Wiener Festwochen
Die Gedanken sind frei - Der Februar 1934 bei den Wiener Festwochen(c) ORF
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Vor dem Ständestaat 1934: Die christlichsoziale Regierung tat sich mit Juden schwer. Offiziell gab es keinen Antisemitismus, unterschwellig sehr wohl, wie Protokolle belegen.

Latenter Antisemitismus im Österreich der Dreißigerjahre – vor dem Anschluss an Hitler-Deutschland: Das hat die Historikerin Gertrude Enderle-Burcel vom Staatsarchiv genauer untersucht. Ihr Forschungsergebnis: Es gab im christlichsozialen Ständestaat keinerlei offiziellen Antisemitismus. Aber gefördert wurden die jüdischen Mitbürger auch nicht. Im Gegenteil: Abseits offizieller Protokolle fand die Forscherin unzählige abfällige Bemerkungen, wie sie für die Zeit typisch waren. Heute würde man das Mainstream nennen.

Die Gegnerschaft zu den Juden hatte drei Quellen: deutschnationale, christlichsoziale und klerikale. Der Austrofaschismus verfolgte offiziell keine klare und eindeutige Linie. Weder Kanzler Engelbert Dollfuß noch sein Nachfolger Kurt Schuschnigg bedienten sich des Antisemitismus in ihren öffentlichen und privaten Äußerungen. Das war man auch dem Ausland schuldig.

Und so ergab sich eine skurrile Situation: Obwohl das offizielle Parteiprogramm der Christlichsozialen noch 1932 die Judengegnerschaft pries, stützten viele Juden die Regierung, allein schon aus Furcht vor dem Hitler-Reich. Das CS-Parteiprogramm sprach vom „zersetzenden revolutionär umstürzlerischen Einfluss der Judenschaft“ – verurteilte aber zugleich den rassistischen Antisemitismus der Nazis.

„So waren schließlich die Juden die einzigen Österreicher, die ihre Parteien nach 1934 behielten“, stellt Enderle-Burcel selbst etwas verblüfft fest. Allen anderen Mitbürgern stand nur noch die Einheitspartei Vaterländische Front offen. „Sie hatten auch das Recht, innerhalb der Kultusgemeinde frei zu wählen und wurden in ständestaatliche Gremien berufen.“ Freilich: Abseits der offiziösen Aussagen war die Ablehnung mehr als deutlich.

Die stenografischen Mitschriften

In den offiziellen Protokollen des Ministerrats fand die Historikerin keinerlei antisemitischen Äußerungen, sehr wohl aber in den ursprünglichen stenografischen Mitschriften. Nach dem Verbot der österreichischen NSDAP im Juni 1933 sagt etwa Heeresminister Carl Vaugoin: „Mir ist sehr unsympathisch, dass die Judenblätter so begeistert über die Regierung schreiben. Wir haben das Interesse, dass der NS uns nicht überrennt, aber man muss den Juden etwas sagen, dass wir es nicht für die Juden tun, wir tun es für die arische österreichische Bevölkerung. Das passt wieder nicht in den Kram der Anleihe und des Fremdenverkehres, man ist den Juden wahllos ausgeliefert. Es war mir viel lieber, als die Juden gegen mich geschimpft haben, aber das kann kein Grund sein, im Kampf gegen die Nazi zu erlahmen.“

Handelsminister Friedrich Stockinger wieder berichtet über den Beschluss des Österr. Skiverbandes, Juden auszuschließen. Er bezeichnet dies als „unmöglich, schädigt den Fremdenverkehr“. Zell am See schreibe auf ein Werbeprospekt „Arier bevorzugt!“ Das sei kontraproduktiv, sagt der Minister: „Mit den Nazis können wir wegen Antisemitismus nicht konkurrieren. Gerade die Leute, die im Winter hereinkommen, sind 60–70 Prozent Juden und haben am meisten Geld. . .“

Vom Juli 1935 bis Oktober 1936 (dann mit den Wehrverbänden aufgelöst) hatte es einen Verein „Jung Vaterland“ gegeben. An dessen Spitze stand Georg Thurn-Valsassina. Vereinsmitglied konnte nur werden, wer u. a. „deutsch-arischer Abstammung“ war. Diese Vereinsmitglieder wurden dann in das Österr. Jungvolk überführt, als Teil der Vaterländischen Front. Für die Juden schlug Kanzler Schuschnigg einen eigenen jüdischen Verband vor.

Coudenhove, „ein japanischer Bastard“

Die überparteiliche Paneuropabewegung wurde zwar von Dollfuß und Schuschnigg aus politischen Gründen für wertvoll gehalten. Aber auch da gab es extreme Vorbehalte: Fürst Starhemberg dazu im Stenogramm: „Ich lehne es persönlich vollkommen ab, halte es für Geschäftshuberei, Juden, Freimaurer dahinter. Was muss ein japanischer Bastard sich in europäische Verhältnisse einmischen?“ Gemeint war damit der Gründer und Präsident der Paneuropaunion, Richard Coudenhove-Kalergi, dessen Mutter ja Japanerin war.

Enderle-Burcel bezieht sich auf die jüngste verdienstvolle Arbeit des Historikers Emmerich Talos, der sich auf die VF-Bestände stürzte, kaum dass sie aus Moskau wieder nach Österreich zurückgekommen waren. 2013 erschien seine Publikation „Das austrofaschistische Herrschaftssystem, Österreich 1933–1938“ (Lit Verlag).

Das Lavieren der österreichischen Regierungen in der Judenfrage zeige sich besonders deutlich in der VF, als es darum ging, wie die neue Ständestaats-Verfassung am 1. Mai 1934 ausschauen sollte. Österreich wird dort als Sammelbecken aller Staatsangehörigen definiert, „die auf dem Boden eines selbstständigen, christlichen, deutschen, berufsständisch gegliederten Bundesstaat Österreich stehen“.

So suchte man sich zwar verbal vom rassistischen Antisemitismus der Nazis abzugrenzen und lehnte physische Gewalt gegen Juden ab, doch waren die Übergänge fließend. Etwa, als es darum ging, die hohe Zahl jüdischer Ärzte und Rechtsanwälte auf den ungefähren Durchschnitt der Gesamtbevölkerung abzusenken.

Die rassistische Komponente war unleugbar vorhanden – das beweist das Exposé einer Führertagung, in dem klar und deutlich bemerkt wird, dass weder der Übertritt zum katholischen Glauben noch die Zugehörigkeit zur Vaterländischen Front Juden die Berechtigung verschaffe, führende Ämter im kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Leben zu erlangen. Und das, „obwohl es viele jüdische Mitbürger gab, die das System unterstützten und die Heimwehren finanzierten“, sagt Enderle-Burcel: „Weil sie es wohl als das kleinere Übel ansahen.“

Gezielte Entlassungen

In den Medien war um diese Zeit schon lange eine Kampagne im Gang, dass die Zahl jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte und Richter reduziert werden müsse. Und das geschah auch in kleinen Schritten. Jungärzte wurden an den öffentlichen Krankenhäusern übergangen; nach dem Februar 1934 erfolgten zahlreiche Entlassungen von Ärzten wegen angeblicher früherer sozialdemokratischer Betätigung – ein klarer Vorwand.

Gertrude Enderle-Burcel hat noch andere Quellen aufgeschlossen: Bis 1933 bestellte der Sozialminister die ärztlichen Anwärter über Antrag des jeweiligen Krankenanstaltsdirektors nach freiem Ermessen. Dies galt auch für Sekundarärzte. An den Wiener Spitälern wurden ab dem 1. Juni 1933 – von einer einzigen Ausnahme abgesehen – keine jüdischen Anwärter und Aspiranten ernannt.

Im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg 1934 wurden dann die Verträge sehr vieler jüdischer Spitalsärzte nicht mehr verlängert. Offiziell, weil sie illegale Sozialdemokraten – und nicht weil sie Juden waren.

Trotzdem war die Sache klar: 56 der 58 entlassenen Ärzte waren jüdischer Abstammung. Sie waren fast alle politisch nicht aktiv gewesen, sondern Parteimitglieder wegen eines Jobs geworden. Nur sieben dieser Kündigungen wurden nach Interventionen rückgängig gemacht. Nichtjüdische Ärzte, die Sozialdemokraten waren, durften hingegen bleiben . . .

In Linz wurden alle im städtischen Dienst stehenden jüdischen Ärzte 1934 entlassen – bei der Ausschreibung für die Neubesetzung dieser Stellen wurde als Voraussetzung die Zugehörigkeit zur „deutschen Nationalität“ gefordert.

Nächsten Samstag:

Kahlschlag bei Advokaten und Richtern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2014)

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