Die Neutralität: Jeder schreibt sich seine eigene Heldenlegende

Julius Raab
Julius Raab(c) APA (ARCHIV STEINER)
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Wer als Erster den Vorschlag gemacht hat, ist umstritten: Julius Raab oder doch Bruno Kreisky?

Ob es nun Raab war oder doch Bruno Kreisky, wie dieser stets – auch in seinen Memoiren – beschrieb, der als Erster den Begriff „Neutralität“ in die Moskauer Verhandlungen gebracht hat, ist heute unerheblich. Jeder schreibt seine eigene Heldenlegende.

Fest steht, dass es der ersehnte Durchbruch war. Österreich konnte noch durchsetzen, dass es sein Neutralitätsgesetz erst nach Ratifizierung des Staatsvertrages aus eigenen Stücken beschließen dürfe, als erstes Gesetz in einem freien und souveränen Parlament.

Dafür versprach Moskau den Abzug seiner Besatzungstruppen, die seit 1945 – mit den Westmächten – das Land beaufsichtigt hatten. Teure Ablöselieferungen (Erdöl, Donauschifffahrt) waren der Kaufpreis für die Freiheit.

Eine Nation saß gebannt vor dem Radioapparat, als Österreichs Delegation am 15. April wieder auf dem Flugplatz von Bad Vöslau landete und der vierschrötige Kanzler Raab – nach einem „Dank an den Herrgott“ – den Landsleuten jubelnd zurufen konnte, dass Österreich frei werde. Tags darauf stürzte man sich auf die Zeitungen, um das Wunderbare nochmals nachzulesen.

Vom 11. bis 13. Mai dauerte dann die letzte Runde der Botschafter der vier Besatzungsmächte in Wien. Und zwar am Sitz der Hochkommissare, am „Stalinplatz 4“, vormals und auch heute wieder Schwarzenbergplatz. Es ist dies das Palais der Österreichischen Industriellenvereinigung. Auch mit den USA und England mussten knifflige Eigentumsfragen der Erdölgesellschaften abgeklärt werden.

Am 14. Mai errichtete die Sowjetunion ihr östliches Militärbündnis als Gegengewicht zu dem bereits bestehenden Nordatlantik-Pakt Nato, den Warschauer Pakt. Weitgehend unbeachtet von den österreichischen Medien, die nur noch in Walzerseligkeit taumelten.

Ein kurzer Schlussakt

Denn am 15. Mai jubelte ein ganzes Land – und die Welt freute sich mit ihm. Der äußerst kurze und gar nicht festliche Akt im Schloss Belvedere, die Unterschrift der fünf Außenminister, machte Österreich nach 17 Jahren Unfreiheit wieder souverän. Als Letzter siegelte Leopold Figl das dicke Konvolut und unterzeichnete mit grüner Tinte. „Österreich ist frei!“ Dieser Jubelruf wurde von den Lautsprechern in den weiten Schlosspark übertragen.

Dort harrte eine vieltausendköpfige Menge. Es dürften etwa 20.000 Menschen gewesen sein, schätzte man. Sie winkten hinauf zu dem Schlossbalkon, wo sich die Außenminister und Österreichs Superstars zeigten, koalitionär vereint. Am glücklichsten wirkte Figl, das war sein Tag. Selbst der sonst so finstere Sowjetmensch Molotow rang sich ein Lächeln ab. Schon am Vorabend gab's Festbeleuchtung in der Stadt, Festgottesdienst, ein Galadiner für die Staatsgäste in Schönbrunn.

Am 7. Juni 1955 ratifizierte der Nationalrat den Staatsvertrag. Fast hätte es eine Panne gegeben: Bei 164 Mandataren stand das Ja von vornherein fest. Nur der 165. war dagegen. Ein „wilder Abgeordneter“ von ganz rechts: Fritz Stüber wollte sich dem „Diktat der Siegermächte“ nicht beugen: Hier werde ein Keil zwischen Deutsche und deutsche Österreicher getrieben. Um aber die Einstimmigkeit zu sichern, verließ Stüber vor der Abstimmung den Saal.

Die Ratifikation

Am 27. Juli trat der Vertrag in Kraft, nachdem die französische Ratifikationsurkunde als letzte in Moskau hinterlegt wurde: Die 90-tägige Frist für den Abzug der Besatzungstruppen begann zu laufen. Noch eine letzte Sitzung des Alliierten Rates am Stalinplatz, dann dessen Auflösung.

Am 26. Oktober 1955 – der letzte Besatzungssoldat war längst außer Landes (übrigens ein Brite in Kärnten) – erklärte der Nationalrat feierlich Österreichs „immerwährend“ Neutralität.

Die Notizen Raabs sind übrigens durch Unachtsamkeit verschwunden. Steiner erzählt, sein Chef habe jeden Abend drei, vier Zeilen in sein Tagebuch geschrieben. „Da waren auch pointierte Einschätzungen von Leuten drinnen. Das ist dann leider verschwunden. Bei der Witwe ist es noch gelegen. Dann hat's offenbar jemand weggeschmissen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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