Die Geschichte eines historischen Fußballtransfers

Reiner Calli Calmund
Reiner Calli Calmund(c) imago/STAR-MEDIA (imago stock&people)
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Vor 25 Jahren bestritten die DDR-Nationalspieler ihr letztes Pflichtspiel – und verloren 0:3 in Wien. In der Folge machte der damalige Leverkusen-Manager Reiner Calmund den ersten Ost-West-Transfer perfekt. Dank einer gefinkelten Aktion.

Wenn man ihn heute sieht, dann fällt es einem fast ein wenig schwer zu glauben, dass dieser Mann einmal aktiv Fußball gespielt hat. Aber er hat tatsächlich im Rhein-Erft-Kreis dem runden Leder nachgejagt. Bis ihn eine schwere Verletzung zur Aufgabe zwang. Also wurde er Jugendtrainer, dann Assistent beim SC Brühl. 1976 erfolgte der Wechsel zu Bayer 04 Leverkusen. Er war Jugendleiter und Stadionsprecher, wurde Vorstandsmitglied, übernahm den Posten des Managers der Profi-Fußballabteilung, wurde letztlich 1999 Geschäftsführer der Fußball GmbH. Die Ära unter Reiner „Calli“ Calmund wurde eine erfolgreiche, Leverkusen Gewinner des Uefa-Cups, man wurde deutscher Pokalsieger – wurde aber auch zum Vize-kusen. Viermal beendete man die Meisterschaft auf Rang zwei, auch ein Champions-League-Finale hat man verloren.

Reiner Calmund macht heute alles und nichts, er war WM-Botschafter 2006, EM-Botschafter 2008 für die Stadt Klagenfurt. In dieser Funktion hat ihn „Die Presse“ damals am Wörthersee getroffen. Er isst und trinkt gern, das sieht man auch. Und er redet viel, der ehemalige Topmanager. Das hat manchmal Nachteile, manchmal aber eben auch seinen Vorteil. Im Gespräch über Österreich, die Euro 2008, Gott und die Welt streiften wir auch das Thema DDR. Schließlich hat Österreich ein ganz wichtiges Qualifikationsspiel Mitte November im Jahr 1989 im Wiener Prater gegen Ostdeutschland gewonnen. Rot-Weiß-Rot triumphierte mit 3:0, diese Toni-Polster-Geschichte ist hinlänglich bekannt. Es war aber das letzte Pflichtspiel der DDR. Und Reiner Calmund hatte an diesem legendären Abend auch seine Finger im Spiel.

„Ich habe mich gefragt“, erzählt Calmund, „wie können wir als Bayer Leverkusen jetzt vom Fall der Mauer profitieren?“ Auch der Fußballmanager hatte in Berlin gefeiert, alsbald aber machte er sich wieder an seine Arbeit. Denn jeder wusste, dass in der DDR guter Fußball gespielt wurde. Spieler aus der DDR konnten nicht in die Bundesliga wechseln, Falko Götz und Dirk Schlegel gelang es, weil sie flüchteten. Sie kamen über Belgrad nach Leverkusen (1983). „Und dann war auf einmal die Grenze offen“, so Calmund. „Und ich wollte zugreifen!“

Ein Plan musste her, geworden ist es eine gefinkelte Aktion. Reiner Calmund akkreditierte Wolfgang Karnath, Leverkusens A-Jugend-Trainer, für das Spiel in Wien. Nicht als offiziellen Beobachter, sondern als Fotografen. So konnte er näher an die Spieler herankommen. Und sogar in den Stadioninnenraum gelangen. Karnrath macht seine Sache perfekt, er spricht Kirsten, Sammer und Thom offen an. Und fuhr sogar mit ins Trainingscamp der DDR, also in die Sportschule Lindabrunn. „Nach dem Mauerfall ging es dann auch in der Mannschaft drunter und drüber.“ Und flugs saß der Leverkusen-Köder anderntags im Mannschaftsflieger nach Berlin.

Danach war Reiner Calmund am Zug. Er hatte Namen, Telefonnummern und Adressen der DDR-Teamspieler. Dann ging alles relativ schnell. Der Leverkusen-Manager machte zunächst den Deal mit Andreas Thom perfekt. Die beiden einigten sich, „12.000 Mark haben damals die Spitzenverdiener bei uns kassiert.“ Jetzt musste man noch mit dem Klub BFC Dynamo auf einen Nenner kommen. Schlussendlich traf man sich bei einer Summe von 2,5 Millionen Mark Ablöse. Der erste Transfer eines DDR-Spielers in die deutsche Bundesliga wurde dann am 16. Dezember 1989 offiziell. Das Debüt für Leverkusen gab Thom am 17. Februar 1990 gegen Homburg. Die Bayer-Elf siegt mit 1:0 – Torschütze war Andreas Thom.

Aber da gab es auch noch Ulf Kirsten und Matthias Sammer. Kirsten (Dynamo Dresden) war auch bei Dortmund im Gespräch, das Rennen aber machte Leverkusen. Um 3,5 Millionen Mark wurde auch dieser Wechsel perfekt. „Nicht billig“, wie Reiner Calmund sagt. „Aber wirklich gute Transfers.“

DDR-Teamchef im Jahr 1989 war Eduard Geyer. Konzentration auf das Duell mit Österreich in Wien? Undenkbar. „Wir konnten das alles gar nicht einordnen. Was sollte das heißen, die Grenzen sind offen? Wie soll das gehen?“ Das Trainingslager hat keiner verlassen, schließlich ging es um die WM-Teilnahme 1990 in Italien. Ein Remis hätte genügt, aber der Mauerfall kam gleichsam dazwischen. „Wir hatten eine starke Mannschaft“, sagt Kirsten. Teamchef Geyer meint: „Die Konzentration begann nachzulassen, jeder hatte mit sich selbst zu tun.“ Es ging um die Karrieren der Spieler, um einen Wechsel in den Westen. Rico Steinmann beschreib das einmal so: „Auf einmal hatten wir die Möglichkeit, in der ganzen Welt zu spielen. Und in der deutschen Bundesliga.“ Der DDR-Teamchef hat einmal eingeworfen: „Man muss auch die Schiedsrichterleistung sehen. Und zwar in einem anderen Licht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Fifa großes Interesse an einer WM gehabt hätte, an der eine Mannschaft teilnimmt, die kein Land mehr ist.“

Ein Team vor der Auflösung. Matthias Sammer hatte mit Leverkusen bereits einen Vorvertrag in der Tasche, das Los aber zog der VfB Stuttgart. Im Frühjahr 1990 absolvierte die DDR noch drei Freundschaftsspiele. Die Brasilianer suchten einen Testgegner für die WM in Italien, also ließen sie die DDR-Auswahl nach Rio kommen. Und diese sollte in der letzten Minute ausgleichen – 3:3. Alle 13 dort eingesetzten Spieler schafften später den Sprung in die Bundesliga. Es folgte noch ein Sieg in Schottland – und in Belgien. Dann fiel der Vorhang. Im letzten DDR-Länderspiel erzielte Matthias Sammer beide Tore, stand zu diesem Zeitpunkt bereits bei Stuttgart unter Vertrag. Später wurde er Trainer, dann ging er zum DFB. Und ist heute Sportdirektor beim großen FC Bayern München. Interview-Wünsche zum Thema DDR erfüllt er übrigens nicht.

Es war der 12. September 1990. Ein ganzer Verband sollte aufhören zu existieren, eine Nationalmannschaft stand vor der Auflösung. Teamchef war immer noch Eduard Geyer. Insgesamt haben 24 Spieler damals abgesagt, gekommen aber ist Matthias Sammer. Als er in die Kabine kam, saßen dort 13 Spieler. Er wollte umkehren, aber er musste bleiben. So konnten in Belgien wenigstens zwei Ersatzspieler auf der Bank sitzen.

Jörg Schwanke beispielsweise sollte sein Debüt feiern. Der 21-Jährige von Energie Cottbus aber hatte keine Teamkarriere vor sich. Denn danach wurde sein Team abgewickelt. „Mir war das damals gar nicht so bewusst“, sagt er heute. „Ich war einfach nur aufgeregt. Aber wenn man darüber nachdenkt: Ein Debüt zum Abschied, das ist total abgefahren.“ Und auf den Tribünen und im Hotel warteten natürlich die Manager und Spielervermittler. „Es gab viele lose Anfragen, man war aufgekratzt“, erinnert sich Schwanke. Denn es gab immer noch genug junge Talente. Zu halbwegs fairen Preisen. So landete der Cottbuser Verteidiger bei Bochum. So wie Dariusz Wosz und Heiko Bonan.

DDR

Letzter Mohikaner. Der aus Greifswald stammende Toni Kroos war bei der WM 2014 in Brasilien der letzte Nationalspieler aus dem Gebiet der ehemaligen DDR.

Rekordspieler.Rekordnationalspieler der DDR-Auswahl ist der Wismarer Joachim Streich (Magdeburg/ Rostock) mit 102 Länderspielen und 55 Toren. Insgesamt setzten die zwölf Auswahltrainer 273 Nationalspieler ein.

Bilanz der DDR-Auswahl: 293 Länderspiele, 138 Siege, 69 Unentschieden, 86 Niederlagen. Tore: 501:345.

Größte Erfolge. Bronze bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 und den Olympischen Spielen in München 1972, 6. Platz bei der Weltmeisterschaft in der BRD 1974, Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976, Silber Olympische Spiele in Moskau 1980.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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