Heute vor... im April: Die britische Kapitulation in Kut-el-Amara

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Mehr als 13.000 Soldaten ergaben sich den Osmanen.

Neue Freie Presse am 30. April 1916

Die in Kut-el-Amara eingeschlossene englische Truppenmacht hat sich dem tapferen türkischen Belagerer ergeben müssen. Mehr als 13.000 Mann kriegsgefangen.

Die Niederlage der Engländer in Kut-el-Amara rührt an die Weltstellung des britischen Reiches. Dort ist der Gefahrenwinkel, auf den Sir Edward Grey fortwährend sein Auge gerichtet hatte und wo jede Verminderung des Ansehens und jedes Zeichen militärischer Schwäche für die anmaßende Politik, die sich über das Recht freier Völker erhebt und die Herrschaft über die Erde will, die bedenklichen Folgen haben können. Dreizehntausend Engländer haben vor den unaussprechlichen Türken, wie Gladstone sie höhnisch nannte, die Waffen strecken müssen, vor einer Armee, deren Vaterland englische Minister an die Verbündeten verschleißen und aus der Reihe der Lebendigen streichen wollen. Zerschmettert beim Eingange in die Dardanellen, zur Kapitulation gezwungen in Babylonien, beschämt von den Mohammedanern, denen es als Todfeind entgegengetreten ist,wird England, das in den letzten Tagen so viele Heimsuchungen erlebt hat, noch mehr fühlen, wie stark dieser Krieg die Wurzeln seiner Macht lockert.

Anmerkung: Seit Dezember 1915 wurde das britisch-indische Expeditionskorps in Kut-el-Amara in Mesopotamien von der türkischen Armee belagert, bevor es am 29. April 1916 kapitulierte.

Die Tragödie des Arsenals

Erschreckende Behauptungen von Ferdinand Steiner, eines ehemaligen Vertrauensmannes der Sozialdemokraten.

Neue Freie Presse am 29. April 1926

Gleich in dem ersten Kapitel sagt er: Das Gerede von einer besonderen Güte der sozialpolitischen Einrichtungen in der Gemeinschaft war seit jeher ein Schwindel, darauf angelegt, der großen Masse Sand in die Augen zu streuen und das System der “Gesellschaft der Freien und Gleichen” zu markieren. Steiner klagt über die ungünstige Entlohnung, über die Kleinlichkeit bei der Urlaubsbemessung, über den Kampf, den Arbeitslose um ihre primitivsten Rechte zu führen hatten. Insbesondere betont er die groteske Gegensätzlichkeit zwischen der Parole: “Nie wieder Krieg” und der Forcierung der Waffenerzeugung in den ersten Jahren der Gemeinwirtschaft. Der sozialisierte Betrieb mußte Mitarbeiter opfern, um die neuen Waffen herstellen zu können, und vom Jahre 1921 bis 1924 werden - das ist Steiners Behauptung - nicht weniger als dreißigtausend Stück Pistolen erzeugt, deren Verkauf an den republikanischen Schutzbund durch den Decknamen eines Käufers Löw verschleiert wurde.

In der Broschüre sind folgende Sätze zu lesen, wobei wir dem Verfasser die volle Verantwortung für die Wahrheit seiner Beschuldigungen überlassen: Es gelang mir, festzustellen, daß in der Zeit vom 12. bis 30. Mai 1919 nicht weniger als vierzig Waggons Granaten und Ersatzgeschosse unter dem Titel “Eisenwaren” mit ordnungsmäßigem Ausfuhrschein das Mittel am Steinfeld verließen und größtenteils an Skoda in Pilsen gingen. Darunter waren auch zwei Waggons Kupfer. Steiner veröffentlicht die einzelnen Daten dieser Sendungen mit Anführung der Waggonnummern, so daß wirklich die Frage sich aufdrüngt: Wie war es möglich, solche Unterstützungen an Erzfeinde der Proletarier zu geben und dabei doch immer, wie dies so häufig geschehen ist, die Solidarität der Unterdrückten trotz aller Unterschiede der Taktik zu beschwören? Vierzig Waggons mit Granaten für Skoda in Pilsen, wenn das nicht die größte Fälschung ist, eine effektive Lüge, dann bedeutet es tatsächlich eine sehr ernste Inkonsequenz, eine Verleugnung aller tausendfach proklamierten Grundsätze und Glaubensartikel.

Anmerkung: Nach 1918 wurde der militärisch-industrielle Betrieb im Wiener Arsenal mit eigenem Stahlwerk in eine Gemeinwirtschaftliche Anstalt mit dem Namen "Österreichische Werke Arsenal" umgewandelt. Produziert wurden neben Waffen auch Anlagen, Maschinen und Werkzeuge, Fahrrad-Hilfsmotoren und viele weitere Produkte. Die Produktpalette erwies sich als zu groß, der Übergang zur Friedenswirtschaft scheiterte, die Misswirtschaft war beträchtlich: Das Arsenal wurde zu einem der großen Wirtschaftsskandale der Ersten Republik.

“Presse”-Morgenblatt wird konfisziert

Aufgrund eines Artikel über die Audienz von Dr. Lueger beim Kaiser wurde die “Neue Freie Presse” konfisziert.

Neue Freie Presse am 28. April 1896

Das heutige Morgenblatt der “Neuen Freien Presse” wurde auf Anordnung der Staatsanwaltschaft confiscirt. Wie wir verständigt wurden und wie wir in der mit möglichster Beschleunigung veranstalteten zweiten Ausgabe des Morgenblattes bereits mitgetheilt haben, hat den Anlaß zu dieser uns völlig unverständlichen Beschlagnahme ein Artikel über die gestrige Audienz des Dr. Lueger beim Kaiser gegeben. Heute Mittags jedoch haben wir die Mittheilung erhalten, daß die Beschlagnahme wieder aufgehoben wurde, und wir sind daher in der Lage, im Nachfolgenden den confiscirten Artikel neuerlich abzudrucken und zur Kenntnis der Leser zu bringen.

Ein Auszug daraus:

Herr Lueger wird also nicht Bürgermeister von Wien, wenigstens “dermalen” nicht, wie er dem von ihm ausgegebenen Bulletin zufolge in seiner Erwiderung auf die kaiserliche Ansprache in der heutigen Audienz gesagt haben will und wie seine Anhängerschaft mit Nachdruck betont. Aber nicht, weil seiner Wahl abermals die kaiserliche Bestätigung versagt wurde, sondern weil, wie in dem nämlichen Bulletin zu lesen ist, der Monarch selbst an seine Loyalität appellirte und weil er dem directen Wunsche des Kaisers entsprechend freiwillig auf die Wahl verzichtete. (...)

Wir stehen da einem rätselhaften Widerspruch gegenüber, für dessen Lösung uns vorläufig jeder Anhaltspunkt fehlt. Gewiß, auch der Kaiser hat heute wieder erklärt, daß Herr Lueger die Bestätigung nicht ertheilt werden könne. Aber warum? Alle Welt muß fragen: wenn der Mann so ehrenhaft, so begabt, so kaiser- und vaterlandstreu ist, kann das noch gelten, das ihm die Verwaltung der Stadt nicht anvertraut werden könne? Wir übersehen nicht, daß alles Lob, welches der Kaiser Herr Lueger gespendet haben soll, sich nur auf seine Person bezieht, nicht auf seine politische Thätigkeit und noch weniger auf die Partei, die er sich geschaffen und an deren Spitze er steht. (...)

Heißt es dem Kaiser und dem Vaterlande treu dienen, wenn man die eine Reichshälfte zum Kampfe gegen die andere, welche dem Scepter desselben Monarchen unterthan ist, auffordert, wenn man die Gemüther mit der Anklage aufregt, die vom Kaiser in dem andern Theile der Monarchie eingesetzte Regierung überschreite ihre Machtsphäre und maße sich einen ihr nicht gebührenden Einfluß auf unseren Reichstheil an?

Anmerkung: Kaiser Franz Joseph I. sah die Gleichberechtigung aller Bürger unter einem Bürgermeister Lueger nicht gewährleistet. Er verweigerte daher Lueger 1895 zwei Mal die Bestätigung, obwohl der Gemeinderat mit deutlicher Mehrheit für Lueger gestimmt hatte. Der Kaiser blieb auch nach erneuter Auflösung des Rates  bei seiner Ablehnung, als Lueger am 18. April 1896 erneut zum Bürgermeister gewählt wurde. Nach der oben erwähnten Audienz beim Kaiser verzichtete Lueger jedoch auf das Amt, wurde aber Vizebürgermeister. Erst nachdem Lueger am 8. April 1897 erneut zum Bürgermeister gewählt wurde und sogar Papst Leos XIII. bat, Lueger ins Amt zu berufen, gab der Monarch nach: Lueger wurde Bürgermeister von Wien.

Goethe, ein Trunkenbold und Weindieb?

Dem großen deutschen Schriftsteller werden arge Vorwürfe gemacht.

Neue Freie Presse am 27. April 1916

Es hat ja ein bißchen lange gedauert, bis die Franzosen entdeckt haben, daß Goethe auch einmal einen Feldzug in Frankreich mitgemacht und dabei Verdun besucht hat. Aber endlich ist Georges Bille auf diese literarische Entdeckung gekommen und sie hat ihm Veranlassung geboten, in der „Dépeche de Rouen“ seinen Landsleuten Aufklärungen zu geben. Wie Dr. Otto Grauroff im jüngsten Hefte der Zeitschrift für Bücherfreunde mitteilt, hat der geistreiche Bille aus Goetehs „Kampagnen in Frankreich“ diejenigen Stellen herausgeholt, in denen Goethe von französischen Weinen, ihrer Trinkbarkeit und dem Genusse französischer Weine in Verdun und in Balmy erzählt. Was folgert er daraus? Natürlich, daß Goethe ein Weindieb gewesen ist! Hätte er zufällig an irgendeiner Stelle des Buches etwa von der Zeit gesprochen, die er von einer französischen Uhr ablas, so hätte ihn Herr Bille sicher auch schon als „Pendulendieb“ vorgestellt. Uebrigens können diese Weindiebstähle des überschätzen deutschen Schriftstellers niemanden wundernehmen. „Lest doch nur“, so schreibt Edmond Pilon im „Excelsior“, „im 'Faust' die Szene in Auerbachs Keller, dann wißt ihr, daß er auch ein Trunkenbold war.“

Anmerkung: Der Wein hat in Johann Wolfgang von Goethes Leben (1749 - 1832) und seinen Werken eine zentrale Rolle gespielt. Er war damals sehr teuer und wurde auch als Wertanlage gesehen. Schon in seinem ersten literarischen Werk, ein lateinisches Gespräch, das er im Alter von sieben Jahren verfasst hat, begann mit den Worten: „Darf ich mit dir in den Weinkeller gehen? Ich höre, dass die Weine aufgefüllt werden müssen, ein Verfahren, das ich genau kennenlernen möchte.”

Krise zwischen Deutschland und den USA

"Viele Kräfte sind tätig, um das neue Unglück, um den grauenvollen Gedanken eines Krieges zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von der Menschheit abzuhalten."

Neue Freie Presse am 26. April 1916

Wir dürfen von einer Hoffnung sprechen. Die Krise zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist ernst; aber so viele Kräfte sind tätig, um das neue Unglück, um den grauenvollen Gedanken eines Krieges zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von der Menschheit abzuhalten, so stark lehnt das sittliche Gefühl gegen diesen Niedergang aller Brüderlichkeit unter den Völkern sich auf, daß die Wucht der Krise sich schon an diesem Widerständen brechen muß. Wie oft waren seit dem Untergange der Lusitania Gerüchte über die Möglichkeit verbreitet, daß Amerika die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland lösen wolle. Kaum hat jedoch der Präsident in seiner Note dieses Wort ausgesprochen, als es die Seelen und die Herzen abstieß und sich jeder fragte, ob die Amerikaner nicht die gleiche Empfindung haben und ob sie nicht schauern vor dem Eintritte in das dunkle Tor, vor einer Tat, die zur Blutschuld werden kann. Wir glauben nicht, daß es der Wille des amerikanischen Volkes sei, an der Umstellung der deutschen Nation, an dem Versuche, durch den ihr der Platz unter den geschichtlichen Mächten der Erde geraubt werden soll, teilzunehmen. (…)

Präsident Wilson hat den Republikanern gezeigt, daß er, obgleich die Demokraten eine ausgreifende Politik verschworen haben, die Abgneigung gegen die Deutschen als Wahlmittel ebenso vortrefflich zu gebrauchen versteht wie Roosevelt. Das ist geschehen und jetzt kann die ruhigere und nüchterne Diplomatie ihr Werk beginnen und die Vernunft wieder hörbar werden. Amerika kann sich nicht dazu hergeben, eine Politik der Erwürgung von Deutschland durch Feindseligkeiten oder gar durch einen Krieg unmittelbar zu unterstützen und das Schamtüchlein, mit dem es bisher die Einseitigkeit verhüllt hat, zu entfernen. Die Einmischung in Europa könnte dereinst die Einmischung in Amerika nach sich ziehen. Die Diplomatie hat jetzt das Wort. Der Reichskanzler ist ein besonnener Mann, der sich niemals zu einer Nervenpolitik fortreißen läßt. Die Krise ist ernst. Die Spannung ist jedoch ein wenig milder geworden.

Anm.: Am 7. Mai 1915 versenkte ein deutsches U-Boot das US-Passagierschiff "Lusitania". Nach massivem internationalen Protest stellte Deutschland den uneingeschränkten U-Boot-Krieg ein. Dass es ihn am 1. Februar 1917 wiederaufnahm, war einer der Gründe für den Kriegseintritt der USA im April 1917. Im Dezember folgte auch die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn.

Heute vor 120 Jahren: Schulkinder als Demonstranten missbraucht

Die Zeitung vergleicht die Teilnahme von Kindern an der Mai-Feier mit dem Kreuzzug der Kinder Anfang des 13. Jahrhunderts.

Neue Freue Presse am 25. April 1896

Man muß unwillkürlich an eine der unglückseligsten Episoden der mittelalterlichen Geschichte, an den berüchtigten Kreuzzug der Kinder zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts denken, wenn man vernimmt, daß die Parteileitung der Wiener Social-Demokratie allen Ernstes damit umgeht, der diesjährigen Mai-Feier der Arbeiter dadurch eine neue Attraction zu verleihen, daß an dem seit einigen Jahren üblichen Demonstrationszuge in den Prater auch die Schulkinder teilnehmen sollen. Es ist freilich nicht zu befürchten, daß die kleinen Demonstranten in den grünen Praterauen von einem ähnlich traurigen Schicksal werden ereilt werden, wie die fünfzigtausend Knaben, welche damals unter der Führung von Priestern nach Palästina zogen und entweder schon auf dem Wege im Elend umkamen, oder nach Egypten in die Sklaverei verkauft wurden, aber mehr Vernunft als in dem Kinderkreuzzuge ist in dem Vorhaben der social-demokratischen Partei auch nicht zu entdecken.

Die Triebfeder ist in beiden Fällen der blinde Fanatismus, und es zeigt von eben so viel pädagogischer Einsicht, wenn man die zarte Jugend als Mittel für eine politische Demonstration verwendet, als wenn man sie für einen religiösen Wahl mißbraucht.

Die Nachricht ist die Mutter der Zeitung

Hofrat Edmund Weber, das geschäftsführende Vorstandmitglied und Direktor der Amtlichen Nachrichtenstelle spricht über das neuzeitliche Nachrichtenwesen.

Neue Freie Presse am 24. April 1936

Voraussetzungen für das Entstehen der Zeitung war und ist die Neugier des Individuums, der Drang nach Information, nach dem Wissen um die Ereignisse, nach der Benachrichtigung, nach der - Nachricht. So ist eigentlich die Nachricht die Mutter der Zeitung, ihr Lebenselement, ihre Voraussetzung und ihre Konsequenz. (...)

Es ist unzweifelhaft, daß die moderne Zeitung sich andererseits mit der Nachrichtengebung allein nicht erschöpft; die moderne Zeitung vermittelt ihre eigene Meinung (Leitartikel), sie berichtet (Reportage), sie hat literarische Funktionen (Feuilleton), sie beurteilt (Theater, Film usw.), trotzdem aber spielt auch hier immer wieder oder meist das Vorhandensein einer, wenn auch nicht aufscheinenden Nachricht eine besondere Rolle.

Ich möchte, wenn Sie mich jetzt auch einen Utopisten schelten, aus tiefster Überzeugung sagen: Bei der Zeitung wie bei der Nachrichtenstelle ist es so: Es gibt kein Anbot von Sensationen, Hetze und Lüge, sobald die Nachfrage des Lesers danach aufhört!

Drahtloser Scheckverkehr London - New York

Die Verwendungsmöglichkeiten der Bildtelegraphie.

Neue Freie Presse am 23. April 1926

Die Bankers Trust hat einen Scheck angenommen, der mit Hilfe drahtloser Bildtelegraphie von London nach New York gesendet worden war. Der Scheck kam vom Präsidenten der Radio Association und lautete auf 1000 Dollar. Die Auszahlung erfolgte ohne irgendwelche Schwierigkeiten. Es ist dies der erste derartige Fall.

Anmerkung: Die erste telegrafische Bildübertragung erfolgte im Jahr 1904 von München nach Nürnberg und dauerte 44 Minuten. An eine praktische Anwendung war angesichts der mangelnden Qualität aber nicht zu denken. 1907 begannen dann regelmäßige Übertragungen zwischen Paris, Berlin und London. Für großes Aufsehen sorgte dann am 17. März 1908 das erste Fahndungsfoto, das von Paris nach London übermittelt und im Daily Mirror abgedruckt wurde. Tatsächlich wurde der gesuchte, flüchtige Juwelenräuber gefasst.

Einführung der Sommerzeit in Österreich

Die neue Zeitbestimmung sorgt für Probleme: Lässt sich das Problem der Uhrvorrückung durch die Steigerung der Geschwindigkeit der Züge lösen? Und wie reagiert der Magen auf die um eine Stunde verschobene Mittagspause?

Neue Freie Presse am 22. April 1916

Morgen erscheint im Reichsgesetzblatte die diesbezügliche Verordnung des Gesamtministeriums, durch die offiziell der 30. April des Jahres 1916 um 11 Uhr nachts endet und von diesem Augenblicke, also um eine Stunde früher als nach der mitteleuropäischen Zeit, der 1. Mai beginnt. (...) Der allgemein hygienische Wert der Einführung der Sommerzeit und ihre großen ökonomischen Wirkungen durch Ersparnisse an Beleuchtungsmaterial sind so einleuchtend, daß man sich heute, wo in einer Reihe von Staaten der Gedanke der Sommerzeit zur Tat geworden ist, fragt, warum diese Idee nicht schon längst verwirklicht worden ist.

Wir haben, als die ersten Nachrichten über die beabsichtigte Neuerung im Deutschen Reiche eintrafen, darauf hingewiesen, daß die ländliche Bevölkerung, die ja im allgemeinen durch Beruf und Arbeitseinteilung gezwungen ist, sich mehr nach der Natur zu richten als die Städter, in ihrer Art seit jeher eigentlich die Sommerzeit eingeführt hat: im Sommer früher aufstehen, im Winter später mit der Arbeit beginnen, denn auf dem flachen Lande sind die Beleuchtungsmöglichkeiten nicht so einfach um bequem eingerichtet wie in der Stadt, und die Allgewalt der Sonne regelt dort in natürlicher Weise den Gang des Lebens. (...)

Nur auf einem Gebiete ist der Übergang von der bisherigen zur neuen Zeitbestimmung schwieriger: im Eisenbahnwesen, insbesondere mit Rücksicht auf den internationalen Verkehr. (...) Bei Eisenbahnzügen, die am 30. April abends wegfahren und ihr Ziel erst am Morgen des 1. Mai erreichen, muß das Problem der Uhrvorrückung während der Fahrt gelöst werden. Durch Steigerung der Geschwindigkeit des Zuges ist das nicht möglich. Die Züge werden also von 11 Uhr nachts angefangen in allen Stationen mit einstündiger Verspätung ankommen und abfahren, oder aber es wird zu dem Mittel gegriffen werden, für diese Nacht einen eigenen Fahrplan herauszugeben. (...)

Wo man bisher um 1 Uhr zu Mittag aß, weil die Kinder erst um 12 Uhr aus der Schule kamen, der Vater erst um 12 Uhr das Amt, sein Geschäft oder seine Werkstätte verlassen hatte, wird man jetzt um 12 Uhr zu Tische gehen, denn man ist ja auch eine Stunde früher aufgestanden, die Pause zwischen Frühstück und Mittagsmahl ist die alte geblieben und der Magen wird ohne weiteres dem vorgetäuschten Stande des Uhrzeigers folgen.

Grammatikunterricht kann interessant sein

Ein neues Schriftchen von Philosoph, Professor Wilhelm Jerusalem.

Neue Freie Presse am 21. April 1896

„Die Psychologie im Dienste der Grammatik und Interpretation“ von Professor Dr. Wilhelm Jerusalem. Das anregende Schriftchen ist eine erweiterte Bearbeitung des Vortrages, den Professor Jerusalem zuerst in Köln auf der Philologen-Versammlung und dann hier im Vereine „Mittelschule“ gehalten hat. Der Verfasser gibt uns hier die Resultate seiner reichen praktischen Erfahrung als Lehrer und zugleich die Ergebnisse seiner psychologischen Untersuchungen. Wir sehen da, wie namentlich der Unterricht in der Grammatik durch Psychologie vertieft, anregend und interessant werden kann. Der Verfasser zeigt uns aber auch an einer Anzahl meist aus griechischen Dichtern und Schriftstellern gewählten Beispielen, wie die psychologische Betrachtung geeignet ist, richtigeres, lebendigeres und allseitigeres Verständnis der Klassiker zu erzielen. Wir können Jedem, der sich für das Leben und den Geist der Sprache sowie für Sprachunterricht interessiert, das Schriftchen angelegentlich empfehlen. Dasselbe ist im Verlage Alfred Hölder erschienen.

Anmerkung: Der österreichische Pädagoge, Philosoph und Soziologe beschäftigte sich insbesondere mit dem Pragmatismus und entwickelte Zeit seines Lebens reformpädagogische Erziehungs- und Lehrprogramme. Zu seinen Schülern zählte auch der spätere Staatskanzler Karl Renner.

Tödlicher Unfall des Physikers Curie

Überfahren wurde der großartige Entdecker, seine Frau ist verzweifelt vor der verstümmelten Leiche.

Neue Freie Presse am 20. April 1906

Aus Paris erhalten wir die traurige Nachricht, daß der weltberühmte französische Physiker Curie, der Entdecker des Radiums, der erst vor kurzem mit dem Nobel-Preise ausgezeichnet wurde, heute von einem Wagen überfahren und getötet worden ist. In den letzten Tagen sind Hunderte, ja tausende von Menschenleben Elementarkatastrophen auf und unter der Erde zum Opfer gefallen, und fast müßte man befürchten, daß das Mitgefühl sich angesichts der sich häufenden und überstürzenden Hiobsposten abstumpft und daß es erlahmen könnte. Aber dem ist nicht so! Dieses traurige Einzelschicksal des großen Mannes, der auf der Pariser Straße eines so banalen Zufallstodes sterben mußte, wirkt tief erschütternd auf jedes menschliche Gefühl.

Die geistige Entwicklung dieses Mannes, der jahrelang als Laborant sein Leben fristen mußte, sein genialer Fund des Radiums, mit welchem eine Reihe von Welträtseln gelöst werden soll, seine Ehe mit einer hochgebildeten Dame, einer treuen wissenschaftlichen Mitarbeiterin und Mitentdeckerin, die nun verzweifelt vor der verstümmelten Leiche des Lebensgefährten steht – kurz alles, was diesen seltenen Mann ausgezeichnet hat verstärkt jetzt die schmerzlichen Empfindungen, die sein plötzlicher Tod auslöst. Kaum 45 Jahre alt, mußte er infolge eines unglücklichen Zufalles aus dem Leben scheiden, das er um neue Kräfte bereichert hat. In der Geschichte der Wissenschaften wird er als große, eigenartige Persönlichkeit stets eine Rolle spielen, und sein plötzlicher Tod wird als Verlust verzeichnet werden, den nicht bloß Frankreich, den die ganze gebildete Welt erlitten hat.

Anmerkung: Pierre Curie galt als Ausnahmetalent: Er legte bereits mit 16 Jahren das Abitur ab, mit 19 konnte er einen Universitätsabschluss in Physik vorweisen, wurde Lehrer, promovierte und wurde zum Professor ernannt. Am 26. Juli 1895 heiratete er die polnische Physikerin Maria Skłodowska, fortan bekannt als Marie Curie. Das Paar entdeckte 1898 das Radium und das Polonium und wurde 1903 mit dem Physik-Nobelpreis für „ihre gemeinsamen Arbeiten über die von H. Becquerel entdeckten Strahlungsphänomene“ ausgezeichnet. Die zweite Hälfte des Preises ging an Henri Becquerel.

Aussigs Chemiefabrik brennt lichterloh

Der heftige Brand trägt kleine Tropfen von Säure auf die Straßen.

Neue Freie Presse am 19. April 1916

Heute um halb 10 Uhr vormittags brach in der im nordwestlichen Teile der Stadt gelegenen ausgedehnten Fabriksanlage des „Oesterreichischen Vereines für chemische und metallurgische Produktion in der Natriumanlage“ ein verheerendes Feuer aus. In der Natriumanlage war auch der Fabriksbetrieb für Natriumsuperoxyd und Aetzkalischmelze untergebracht. Die in dem Gebäude, das etwa 70 Meter lang und 30 Meter breit ist, beschäftigten Arbeiter vermochten sich rechtzeitig zu retten. Mittags erreichte der Brand seinen Höhepunkt. Um diese Zeit waren die Häuser des nordwestlichen Teiles von Aussig fast ununterbrochen in einen dichten, nebligen weißen beißenden Rauch gehüllt. Um die Mittagsstunde setzten auch stärkere und schwächere Explosionen ein, die oft rasch aufeinander folgten und bis in die späten Nachmittagsstunden anhielten. Die Explosionen, die auf Knallgas zurückzuführen sind, das sich bei der Verbindung des Natriums mit dem durch die Spritzen zugeführten Wasser bildete, verursachten weder Schäden noch Unfälle. Der heftige Brand trug auch des öfteren kleine Tropfen von Säure bis in ziemlich weit entfernte Straßen der Stadt, was die Passanten zu spüren bekamen, Gegen 6 Uhr abends war der Brand lokalisiert.

Die Natriumanlage ist vollständig vernichtet, ihr Betrieb gänzlich eingestellt. Die Entstehungsursache dürfte Selbstentzündung sein. Der Schaden übersteigt eine halbe Million Kronen.


Anmerkung: Aussig liegt im Norden von Böhmen. Nach dem Ende der Donaumonarchie Österreich-Ungarn kam das Chemische Werk Aussig an den neuen Staat, die erste Tschechoslowakei.

Der Kaiser verordnet eine Kriegsgewinnsteuer

Der Zugriff des Staates beim Kriegsgewinn sei gerecht, schreibt die “Presse”.

Neue Freie Presse am 18. April 1916

Kaiserliche Verordnung über die Einführung einer außerordentlichen Steuer vom Wehreinkommen.

Die Steuer zum Kriegsgewinne kommt aus dem allgemeinen Volksempfinden. Der Gedanke, daß Schmerz und Not für Einzelne zur Kriegskonjunktur, zur Gelegenheit werden solle, Reichtümer aufzuhäufen, die Teuerung für sich auszumünzen und aus vielfachem Elend noch Vorteil zu ziehen, ist weiten Schichten der Gesellschaft, die entbehren und dulden, unerträglich. Aber die Liebe und der Haß müssen von der Steuerpolitik ängstlich ferngehalten werden; die Leidenschaft und die Erbitterung dürfen nicht mitsprechen,wo nur die Gerechtigkeit und Nützlichkeit zu entscheiden haben. Der Zugriff des Staates beim Kriegsgewinn ist gerecht. Das Geld für öffentliche Zwecke wird dort genommen,wo das Leistungsvermögen am stärksten ist und wo die Maßregel auch noch die Wirkung hat, einen der ernstesten Schäden des Krieges, die plötzliche Verschiebung in den Vermögen, die Bereicherung der Reichen und die Verarmung der Armen auszugleichen.

Trauer um den Bildhauer Victor Tilgner

Als sein letztes Werk schuf der Wiener Künstler das Mozart-Denkmal.

Neue Freie Presse am 17. April 1896

Mit Victor Tilgner ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart von uns geschieden; er erfreute sich auch eines internationalen Rufes wie nur die allerhervorragendsten Meister, er galt in Berlin, London, in Newyork gerade so wie in Wien. Bei Gelegenheit der Ausstellung in Chicago hatten sich nicht weniger als zweiundvierzig der berühmtesten Plastiker der Gegenwart zusammengefunden, und als sie ihr Urteil über die Schöpfungen Tilgner’s aussprachen, waren sie einstimmig der Meinung, einer der größten Porträtbildhauer aller Zeiten, ohne Zweifel aber der erste unserer Tage sei dieser wunderbare Wiener Meister. (...)

Überblicken wir die Reihe großartiger Werke, welche der Künstler im Laufe des letzten Jahrzehnts geschaffen, erinnern wir und der feurigen Schaffenslust, von welcher Tilgner noch in den letzten Tagen, ja in den letzten Stunden seines Lebens erfüllt war, so ergreift uns der Schmerz, den uns sein jähes Ende bereitet, um so tiefer. Was sahen wir doch Alles in seinem Atelier, einem Zubau des Palais Schwarzenberg, in diesen Jahren entstehen: da reifte das herrliche Werndl-Denkmal, das nun die Hauptzierde der Stadt Steyr bildet, die reizvollste Apotheose der Arbeit, welche die moderne Kunst geschaffen, und der plastisch durchgebildete und in prangender Schönheit erbrachte Beweis, daß die Arbeit, so schweißtreibend sie auch sein mag, kein Fluch, sondern ein Segen ist; da entstanden die reizenden Grabdenkmäler für den Astronomen Oppolzer auf dem Zentral-Friedhofe, für den Grafen O’Sullivan auf dem Friedhofe zu Hietzung; da wurden die anmutigen Brunnen modelliert, welche nun das kaiserliche Schloß in Ischl, den Theaterplatz in Preßburg schmücken; da ist die Geburtsstätte der weiblichen Porträtstatue, welche der Künstler in den letzten Monaten geschaffen, des colossalen Stanbildes von Makart und einer ganzen Reihe von anderen Kunstwerken, deren ein und das andere genügen würde, dem Schöpfer desselben einen großen Namen zu machen, und da endlich ersann er sein Mozart-Denkmal, das nun zu einer so herrlichen Zierde Wiens geworden, und es ist dies, eines seiner Hauptwerke, daß er nicht mehr in voller Freiheit und in vollem Lichte sehen sollte, sein Schmerzenskind gewesen, denn nur nachdem er es vielfach geändert und umgestaltet, erhielt es seine Billigung und wurde von ihm zur Ausführung reif gefunden.

Anm: Das Denkmal für Wolfgang Amadeus Mozart gilt als Hauptwerk Tilgners (25. Oktober 1844 - 16. April 1896). Es wurde ursprünglich am Wiener Albertina-Platz aufgestellt, heute ist es im Burggarten zu finden

Heute vor 100 Jahren: Ein Missgeschick schafft eine Rarität

Ein eigenartiger Zufall lässt auf einer Briefmarke plötzlich einen Kavalleristen salutieren.

Neue Freie Presse am 16. April 1916

Die österreichischen Kriegsbriefmarken weisen in ihrem Markenbilde bekanntlich militärische Motive in sehr gelungener künstlerischer Darstellung auf. So bringt die grüne Fünf-Heller-Kriegsmarke das Bild einer aus fünf Ulanen bestehenden Patrouille, welche eben über einen Abhang herabreitet. Ein einzigartiger Zufall hat nun eine allerdings nicht sehr große Anzahl dieser Kriegsmarken zu einer philatelistischen Rarität gemacht, die ohne Zweifel von den Briefmarkensammlern sehr lebhaft begehrt werden wird. Anläßlich der letzten Druckauflage dieser Marken ist nämlich beim Abfräsen der Druckstöcke ein winziger Metallspan auf einen Druckstock gefallen und auf der Platte auch beim Drucke liegen geblieben. Dadurch hat sich nun beim Drucke das Markenbild einer der hundert Marken, welche ein Bogen enthält, insofern etwas verändert, als der erste führende Reiter der Ulanenpatrouille den rechten Arm scheinbar erhebt, um zu salutieren. Dieser Druckfehler wurde zwar nach kurzer Zeit bemerkt und die Druckplatte gereinigt. Immerhin waren aber bereits einige tausend Blätter Fünf-Heller-Marken mit dieser Rarität an die Markendepots, Postämter und sonstige Verschleißstellen hinausgegeben worden. So kommt es, daß man ab und zu Fünf-Heller-Kriegsmarken finden wird, auf denen der führende Reiter salutiert. Für Briefmarkensammler, für welche diese Abart ein besonderes Interesse hat, sei bemerkt, daß es sich um die siebente Marke in der sechsten wagrechten (!) Reihe des Blattes, also um die 57. Marke handelt.

Anmerkung: Als Ulanen bezeichnet man eine mit Lanzen bewaffnete Gattung der Kavallerie.

Ein allerliebster kleiner Prinz

Beim Schloss Schönbrunn begrüßt ein Prinz die Spaziergänger.

Neue Freie Presse am 15. April 1906

Nächst dem Schönbrunner Schlosse spielt sich gegenwärtig jeden Tag ein allerliebstes Idyll ab. Bekanntlich weilt im Schlosse als Gast des Kaisers seine Enkelin Fürstin Elisabeth Windisch-Graetz als Rekonvaleszentin, Vor einigen Tagen ist ihr Gatte Fürst Otto Windisch-Graetz aus Prag hier eingetroffen, um die Osterfeiertage mit seiner Gemahlin zu verbringen, und hat sein älteres Söhnchen, den Prinzen Franz Josef, mitgebracht. (...) Der Frühlingsaufenthalt in Schönbrunn sollte der Fürstin die Möglichkeit bieten, , recht viel frische Luft zu genießen, so lange ihr Zustand ihr keine weitere Reise erlaubt. Dazu bietet der ans Schloß anstoßende Kammergarten die allerbeste Gelegenheit, nur ist er zu so früher Jahreszeit nicht verwachsen, und die Hecken und Lauben sind so durchsichtig, daß sie jedem Vorübergehenden freien Einblick in den Garten gewähren. (…) Fürstin Elisabeth hat mitten in den Sonnenschein, unter Bäume, um die sich kaum ein leichter Schleier von Grün webt, einen Gartentisch, Fauteuils und Stühle stellen lassen, und dort sitzt sie in weißer Frühjahrstoilette vormittags und nachmittags, liest ab und zu ein wenig und plaudert mit dem Gatten oder empfängt Besuche. Ihre beste Gesellschaft ist jedoch der kleine Prinz, der im weißen Piquékleidchen mit dem Batisthut auf allen Gartenwegen herumläuft und jauchzend den Frühling begrüßt. Er wird von einer älteren Kinderfrau und einer jungen Nonne überwacht, hat aber sonst volle Aktionsfreiheit, die er dazu benützt, daß er sich am liebsten in der den Hauptweg flankierenden langen Laube aufhält und, wenn er Spaziergänger erspäht, diese mit einladender Bewegung des winzigen Händchens herbeiwinkt. Namentlich die im Park sich tummelnden Kinder folgen dieser Einladung aufs bereitwilligste und bleiben am lebenden Zaun dicht vor dem kleinen Prinzen stehen, von dem sie nur ein dünnes Drahtgitter trennt. Er quittiert ihre freundlichen Grüße, sagt wiederholt „Bah! Bah!“ und winkt mit der kleinen Hand. (…) Echt wienerisch sagt ein größeres Mädchen zur Mama: „Das ist doch ein herziger Kerl!“, und die Mama fragt sie: „Weißt du auch, daß das ein Enkerl von unserem seligen Kronprinzen ist?“

Graz führt Milchkarten ein

Der Milchbedarf der Kinder, stillenden Mütter und Kranken muss gesichert werden.

Neue Freie Presse am 14. April 1916

Der Regierungskommissar Hofrat v. Underrain hat, um den Milchbedarf der Kinder, stillender Mütter und Kranken zu sichern, die Verfügung getroffen, daß ab 20. April bis auf Widerruf Milch auf Grund von Milchkarten ausgegeben werde. Der Preis darf beim Liter nicht mehr als 40 Heller betragen. Das Verfüttern von Milch an Katzen und Hunde ist während der Geltungsdauer der Verordnung ausnahmslos verboten.

Anm.: Während des Ersten Weltkrieges kam es wiederholt zu Problemen bei der Lebensmittelversorgung. Unter anderem mussten 1915 die Brot- und Mehlkarte eingeführt werden, ebenso gab es fleisch- und fettlose Tage. Auch eine Zuckerkarte war in Umlauf. Ab 20. April 1916 wurde in Graz die Milchkarte eingeführt, am 12. Mai folgte Wien dem Beispiel.

Überschwemmung in Bagdad

2000 Tonnen Wasser ergießen sich in der Sekunde durch ein Riesenloch im Damm des Tigris und wälzen sich tosend an und in die irakische Hauptstadt.

Neue Freie Presse am 13. April 1926

Die Berichte von der Überschwemmungskatastrophe, die Bagdad seit vier Tagen heimsucht, lauten auch heute sehr ungünstig. Die Bresche, die das infolge der Schneeschmelze angeschwollene Wasser des Tigris im Damm gerissen hat, hat sich auf 120 Meter erweitert. 2000 Tonnen Wasser ergießen sich in der Sekunde durch dieses Riesenloch und wälzen sich tosend an und in die Stadt, die von den Fluten nun vollständig eingeschlossen ist, währen einzelne Teile bereits unter Wasser stehen, andere aufs äußerste gefährdet sind. Seit Tagen wird mit fieberhafter Anstrengung daran gearbeitet, Notdämme aufzuwerfen. Polizei und Militär haben zu diesem Zweck alle verfügbaren Kräfte aufgeboten, die männliche Bevölkerung förmlich konskribiert, auch die Häftlinge in den Dienst gestellt. 5000 Menschen arbeiten gegen das Vordringen des Wassers, aber gegen seine Gewalt hat sich vorläufig jedes Werk ohnmächtig erwiesen. Den „Times“ zufolge hat beim ersten Ansturm der Fluten eine Anzahl Menschen, meist Kinder und Greise, die sich nicht rasch genug fortbewegen konnten, ihr Leben eingebüßt. Wie viele Todesopfer die Katastrophe bisher gefordert hat, ist noch nicht bekannt.

Anmerkung: Im April 1926 brach in der Nähe von Bagdad ein Deich am Tigris. Die Umgebung der irakischen Hauptstadt, wie auch der Königspalast wurden überschwemmt. Erst am 14. April fiel das Wasser wieder, sodass am 16. April die Reparaturarbeiten durchgeführt werden konnten.

Der Vesuv bringt Not über Neapel

Der Ausbruch des Vulkans hat Asche, Sand und Flüchtlinge gebracht. Die Aufräumarbeiten beginnen.

Neue Freie Presse am 12. April 1906

Die Regierung hat die Militärbehörden angewiesen, Brot unter die Notleidenden zu verteilen. In jeder von der Katastrophe betroffenen Gemeinde werden Volksküchen aufgestellt. Ein Organ der Sanitätsverwaltung ist mit einer Abteilung vom Roten Kreuz nach San Giuseppe abgegangen. Ferner wurden Arbeiterkolonnen organisiert, um die Truppen bei der Wegschaffung der die Dächer bedeckenden Aschen- und Sandmassen zu unterstützen. Die hier dislozierten Truppen wurden außerdem durch Abteilungen aus Florenz, Rom Bologna und Messina verstärkt. Auch Feuerwehrmannschaften treffen aus mehreren Städten ein.

In der Stadt herrscht eine sehr gedrückte Stimmung. Zahlreiche Geschäfte sind geschlossen. Flüchtlinge durchziehen in langen Prozessionen unter lauten Gebeten mit brennenden Herzen und unter Vorantragung von Kreuzen und Heiligenbildern die Straßen.

Heute früh wurden die Bewohner der Bezirke Basto und Arenaccia durch einen heftigen Ascheregen in Schrecken versetzt. Über Anordnung des Präfekten wurden die Theater und Vergnügungsanstalten geschlossen. Die telegraphischen Verbindungen mit Ottaiano und San Giuseppe sind wieder hergestellt. Man hofft, daß auch der Postdienst heute wird wieder aufgenommen werden können.

Anmerkung: Am 8. April 1906, brach der Vulkan Vesuv in Italien aus. Bei dem verheerenden Unglück kamen mehr als 500 Menschen ums Leben. Über 100.000 Flüchtlinge suchten in Neapel Schutz.

Gegen den "Zwang zur Arbeitsruhe" am 1. Mai

“An die Ruhe mag man wieder denken, wenn es uns allen besser geht”, schreibt die “Presse”.

Neue Freie Presse am 11. April

Bisher hat es bei dem Sozialdemokraten vieler Länder geradezu als Dogma gegolten, daß der erste Mai seine Krönung in der vollen Arbeitsruhe finden müsse, daß die Bedeutung dieses Tages bloß dadurch wirksam hervorgehoben werden könne, daß die Räder stille stehen, daß die Fabriksschlote nicht rauchen und daß in den Werkstätten gefeiert wird. Diese Auffassung hat sich in den Jahren herausgebildet, in denen das Wirtschaftsleben einen normalen Gang aufwies, in denen das Gespenst der Produktionskrise nicht drohend vor Augen stand und die Sorge nicht durch die Gassen schlich. Man konnte sich den Luxus der Arbeitsruhe, der künstlichen Vermehrung der Festtage leisten, ohne befürchten zu müssen, die gesamte Volkswirtschaft fühlbar zu schädigen und die Schwierigkeiten zu vermehren. Allein die Zustände von heute sind wesentlich anders geartet und der Augenblick zwingt dazu, alle Kräfte anzuspannen, um über den toten Punkt hinwegzukommen, um die Stockung zu überwinden und wieder in einen Zustand hineinzuwachsen, der nicht im Zeichen der Arbeitslosigkeit und der Absatzkrise steht.

Während man in Österreich die Methoden von gestern und vorgestern am liebsten ganz unverändert auch heute zur Anwendung bringen möchte, während man bei uns die vollständige Ruhe am 1.Mai als etwas geradezu Geheiligtes und nun auch als eine durch die Gesetzgebung auferlegte Pflicht ansieht, neigt man in Deutschland wesentlich anderen Auffassungen zu. Die sozialdemokratischen Spitzenorganisationen der Arbeiter und Angestellten haben eben jetzt einen Aufruf zur Maifeier erlassen, der vor allem dadurch auffällt, daß er keine Aufforderung zur allgemeinen Einstellung der Tätigkeit an diesem Tage enthält. Es heißt vielmehr in der Kundgebung, daß sich die Art der Demonstrationen nicht von einer zentralen Stelle aus regeln lasse, sondern daß vielmehr von Ort zu Ort eingehend geprüft werden solle, ob die Arbeitsruhe möglich und ohne Schädigung der Gesamtheit zu erreichen sei. (...)

Es wäre gut und verheißungsvoll, wenn dieses besonnene Beispiel in anderen Ländern Nachahmung finden würde. Heute ist es ja das Wichtigste, Beschäftigungsgelegenheiten zu schaffen, für die überzähligen Menschen einen Wirkungskreis zu erschließen. Arbeit und wieder Arbeit muß das Ziel sein. An die Ruhe mag man wieder denken, wenn es uns allen besser geht und wenn man nicht mehr so sehr unter dem Drucke der täglichen Sorgen seufzt wie in der Gegenwart.

Bringt Hunde für die Armee!

Ein Lobgesang auf die treuen, braven, unentbehrlichen Helfer.

Neue Freie Presse am 10. April 1916

Wir erhalten folgenden Aufruf: Zum Schutze der Truppen vor feindlichen Ueberraschungen und zur Auffindung abseits liegender schwerverwundeter Krieger braucht die Heeresverwaltung Hunde. Infolge des scharfen Spürsinns der unermüdlich treuen Postenhunde wird der listige Gegner rechtzeitig gemeldet, verdächtige, ruchlose Individuen angehalten und namhaftes kostbares Menschenmaterial erspart; die Sanitätshunde, gleichsam Brüder der ersteren, haben durch ihre bewunderungswürdige Arbeit unzählige Menschenleben gerettet. Aus diesen Gründen ist die Heeresverwaltung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln eifrig bemüht, die Zahl dieser treuen, braven und unentbehrlichen Helfer zu erhöhen. Schon die in der Oeffentlichkeit von selbst erkannte Notwendigkeit hat genügt, der Heeresverwaltung ein mitunter vortreffliches Hundematerial zuzuführen, um so mehr ist auf Grund dieses Aufrufes zu erhoffen, daß sich Besitzer reichlich finden werden, die ihre Hunde – insofern sie für den erwähnten Zweck geeignet erscheinen – für die genannte patriotische und humane Verwendung überlassen. Zweckentsprechend wären insbesondere deutsche Schäferhunde, Dobermannpinscher und Airedaleterriers.

Flucht über den Blitzableiter

Ein 14-Jähriger wurde zu einem Monat Verschließung verurteilt – und versuchte zu türmen.

Neue Freie Presse am 9. April 1916

Gestern um zehn Uhr abends unternahm der vom Landesgericht zu einem Monat Verschließung verurteilte 14jährige Karl T. Einen Fluchtversuch. Er schwang sich durch das Fenster des Toilettenraumes und kletterte an einem Blitzableiter auf das Dach. Die Justizwache durchsuchte das ganze Haus und die Sicherheitswache rückte aus, besetzte die umliegenden Straßen und Gassen und verständigte die Hausbesorger der Nachbargebäude. Tatsächlich gelang es dem Burschen, bis auf die Dächer der Häuser 2 und 4 der Florianigasse zu kommen. Als er sah, daß es nicht weiter ging, kletterte er auf demselben Weg wieder auf das Dach des Landesgerichtsgebäudes zurück. Dort wurde er nach einer nächtlichen Verfolgung, die anfangs ziemliches Aufsehen erregte, um halb 5 Uhr früh von der Justizwache unter einem Rauchfang sitzend aufgefunden und zurückgebracht.

Attentat auf Mussolini

“Eine Hysterische, eine Irre” schoss auf den italienischen Diktator.

Neue Freie Presse am 8. April 1926

Eine kleine Wendung des Kopfes, das hat Mussolini gerettet. Phantastisch die Vorstellung, was geschehen wäre, hätte er in dem Augenblick des Attentats nicht jene Bewegung gemacht, die sein Leben vor der gut gezielten,knapp vorüberlaufenden Kugel bewahrte. Ganz Italien in Mord und Brand, ein Hexenkessel des Entsetzens, eine Bartholomäusnacht für die kargen Rest der Opposition, das wäre die Physiognomie des gestrigen Tages gewesen, und jeder, mag er auch Abscheu fühlen vor der Diktatur und vor der brutalen Entrechtung, jeder, der die Machtverhältnisse zu übersehen vermag, muß sich sagen, dieser Schuß hätte nicht nur die kolossale Persönlichkeit vernichtet, er hätte zu gleicher Zeit dieses ganze wundervolle Land in ein bluttriefendes Schlachtfeld verwandelt, mitten in einem Entwicklungsprozeß, der durchgemacht werden muß durch Evolution und nicht durch Plötzlichkeiten, durch die stete Wucht der Tatsachen, der Ereignisse und Besinnungen, nicht aber durch den Knall einer Pistole, durch einen isolierten und unorganischen Vorstoß.

Jedoch nicht allein der Mißerfolg des Attentats ist von besonderer Bedeutung, noch wichtiger ist es vielleicht, daß der Anschlag keineswegs als ernste, politische Demonstration zu werten ist, sondern als eine unverständliche und gänzlich sinnlose Handlung einer älteren Dame aus Irland; einer Lady Violet Gibson, der dritten Tochter von Lord Ashbourne, eines Lord-Kanzlers von Irland, der Mitte der Achtzigerjahre zur Zeit des konservativen Regimes mit besonderer Strenge und mit Aufwendung der grausamsten Mittel die Widerstände der Nationalisten verfolgte. Ist Lady Gibson, die Fünfzigjährige, noch unter den Eindrücken ihrer ersten Jugend; hat sie sich bewogen gefühlt, gestern das Attentat gegen Sir Frederic Cavendish nachzuahmen, der im Phönixpark von Dublin den Mördern zum Opfer fiel? Erinnert sie sich an die Fenier mit ihrer wilden Verachtung für Menschenleben und ist auf dieses schwach gewordene Gehirn ein Funken übergesprungen von dem schwelenden Feuer der irischen Revolte? Der Wille,sich zu opfern ihr Dasein auszulöschen zu Ehren Gottes, war ja so stark in dieserFrau, daß sie vor wenigen Monaten sich in die Brust geschosssen hat, im Glauben, auf diese Art ihrer Bestimmung zu genügen und den Trieb nach völliger Hingabe zu befriedigen. Eine Hysterische also, eine Irre, die auf Fragen der Untersuchenden mit Stammeln antwortet und mit vertrackten Angaben des Unsinns.

Anm.: Die Kugel aus Violet Gibsons Revolver streifte nur die Nase des italienischen Diktators Benito Mussolini. Die Gründe für ihr Attentat hat Gibson nie erklärt. Mussolini ließ kurz nach Prozessbeginn die Anklage fallenlassen und Gibson nach Großbritannien ausreisen, um die Gunst des Königreichs zu  gewinnen. Den Rest ihres Lebens verbrachte Gibson in einer Nervenanstalt.

Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit

Bei den ersten Wettkämpfen siegten fast sämtlich Amerikaner.

Neue Freie Presse am 7. April 1896

Telegramm aus Athen vom 6. April: Heute, am griechischen National-Feiertage und zugleich dem fünfundzwanzigsten Jahrestage der Erhebung Griechenlands gegen die Türkenherrschaft, fand zuerst Morgens ein feierlicher Gottesdienst in der Metropolis, darauf eine Truppenparade statt. Nachmittags begannen die Spiele im Stadion. Der Kronprinz, als Vorsitzender des Komitees für die olympischen Spiele, übergab das Stadion zuerst mit einer Ansprache dem König, worauf der Festhymnus vorgetragen wurde. Die Spiele bestanden heute aus Wettlauf, Weitsprung und Diskuswerfen. Die ersten Sieger waren fast sämtlich Amerikaner. Das Stadion macht einen imponierenden Eindruck.

Die unbequeme orientalische Frage

Ägypten gleicht einer koketten Schönen, die sich von aller Welt den Hof machen lässt.

Neue Freie Presse am 6. April 1876

Die wichtigste politische Frage der Gegenwart, mit welcher sich Diplomaten und Publicisten leider fortwährend beschäftigen müssen, weil sie wie ein dunkler Schatten an den Wänden der Ministerhotels und Redactionsstuben erscheint - die unbequeme orientalische Frage - dreht sich gleich einer Thür in zwei Angeln. In Konstantinopel befindet sich die eine, die andere in Kairo. Jeder Ruck, den sie erhält, setzt beide in Bewegung, und die Aufmerksamkeit der Großmächte ist zwischen dem Bosporus und dem Nil getheilt.

Für den Augenblick tritt sogar das Land der Pharaonen in den Vordergrund, und die Vorgänge, welche sich dort abspielen, drängen das Interesse für die Ereignisse auf der Balkan-Halbinsel zurück. Egypten gleicht einer koketten Schönen, die sich von aller Welt den Hof machen läßt und heute den blonden, morgen den braunen Verehrer bevorzugt, unbekümmert darum, ob sich die Nebenbuhler aus Eifersucht grimmige Blicke zuwerfen und nicht übel Luft zeigen, einander die Hälfte zu brechen. Es handelt sich in Egypten zunächst wohl nur und Geld- und Geschäftssachen, aber das Geschäft hat hier die größte politische Bedeutung.

Österreichische Flugzeugangriffe auf Ancona

Die “Presse” preist die “heldenmütige Haltung” der Seeflugzeugführer.

Neue Freie Presse am 5. April 1916

In Beantwortung der italienischen Fliegerangriffe gegen Laibach, Adelsberg und Triest hat am Nachmittag des 3. April ein starkes Geschwader unserer Seeflugzeuge Ancona angegriffen. Der Bahnhof, der Gasometer,die Werften und das Hafenviertel wurden mit zahlreichen Bomben beworfen. Der Zerstörungserfolg war ein verheerender. Auch mehrere Brände wurden festgestellt. Gegnerische Abwehrflieger suchten unsere Aktion zu hindern, Maschinengewehrfeuer trieb sie aber rasch von dannen. Drei gut geleitete Abwehrbatterien spien Tod und Verderben gegen unsere Flugzeuge. Dicht an ihnen  platzten die Schrapnells und eines bekam rasch nacheinander zwei Volltreffer. Es mußte vor dem Hafen niedergehen. Dies sah der Fliegermeister Molnar und ohne sich lang zu besinnen, tauchte er hinab in die Flut und nahm die Insassen des beschädigten Flugzeuges an Bord. Während zwei feindliche Zerstörer und ein Torpedoboot heransausten, vervollständigte er due Vernichtung des schwer getroffenen Apparates. Als er sich aber zum Auffliegen anschickte, vermochte er seine Absicht nicht durchzuführen, denn eine erlittene Beschädigung machte ihm bei dem herrschenden Seegang das Aus-dem-Wasser-Gehen unmöglich. Die italienischen Fahrzeuge näherten sich mit bedenklicher Eile. Da gehen zwei andere eigene Seeflugzeuge, eines geführt von Schiffleutnant Stenta, das andere von Seekadett Bamos, nieder, erreichen das Wasser in unmittelbarer Nähe des zum Aufflug unfähigen Flugzeuges Molnars und nehmen dessen vier Insassen auf. Zwei italienische Seeflugzeuge streifen nur hundert Meter ober ihnen, werfen Bomben ab und bestreichen die Unfallstelle mit Maschinengewehrfeuer. Dennoch wird das havarierte Flugzeug verbrannt, und majestätisch heben sich die beiden Seeflugzeuge in die Lüfte. Unversehrt kehrten alle Flieger zurück, wenn auch zwei Maschinen verlorengegangen sind. Diese Einbuße verschwindet gegen die angerichteten Schäden. Diese aber wieder verschwinden gegen den moralischen Eindruck, den die heldenmütige Haltung unserer Seeflugzeugführer auf den Feind machen muß.

Heftige Kämpfe in Syrien

Französische Truppen kämpfen gegen aufständische Drusen.

Neue Freie Presse am 4. April 1926

In Syrien sind gegenwärtig heftige Kämpfe zwischen den französischen Truppen und den aufständischen Drusen im Gange. Die französischen Truppen, welche die Säuberung des Hermon-Massivs vornehmen sollten, stießen auf starke Truppenteile der Aufständischen. In dem Kampfe sind nach offiziellen französischen Nachrichten zehn französische Soldaten getötet worden, während die Drusen mehr als 100 Tote auf dem Schlachtfelde zurückließen. Nach weiteren Meldungen ist das Hermon-Massiv bis zur Palästinagrenze von den Aufständischen völlig gesäubert, so daß die Franzosen ihre aufgelassenen Grenzposten wieder beziehen konnten. Dieser Vorstoß gilt nur als ein Vorspiel zur eigentlichen Offensive, die sich gegen den Dschebel Drus richten soll.

Anm.: Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg wurde Syrien 1920 zum französischen Mandatsgebiet erklärt. In den Jahren 1925 bis 1927 kam es, ausgehend von der autonomen Region des Drusenstaates (Dschebel ad-Duruz), zum Aufstand,der von den Franzosen auch mit Luftangriffen niedergeschlagen wurde. 1936 wurde die Unabhängigkeit Syriens in Aussicht gestellt, 1946 zogen die letzten französischen Truppen ab.

Heute vor 110 Jahren: Ein amerikanisches Komplott gegen Castro

Ein Komplott gegen Castro - den Präsidenten Venezuelas.

Neue Freie Presse vom 3. April 1906

Die "Newyork World" meldet: Eine Anzahl Newyorker Kaufleute hat ein finanzielles Komplott gebildet, das den Sturz des Präsidenten Castro von Venezuela zum Ziele hat. Ein Fonds von einer Million Pfund Sterling ist bereits geschaffen und 5000 Mann werden in kurzer Zeit aus europäischen Häfen nach der Venezuelaküste eingeschifft werden. Die Truppenmacht besteht aus 3000 englischen Volontären und 2000 Amerikanern, wozu, wie man bestimmt erwartet, noch 10.000 Venezuelaner stoßen werden. Die Schiffe führen Waffen und Munition an Bord. Der Plan zielt darauf hin, Venezuela dem ausländischen Kapital und Unternehmungsgeist zu öffnen. Der Konsul Venezuelas in Newyork gibt zu, daß er von dem Projekt unterrichtet ist.

Heute vor 90 Jahren: Vereinigte Staaten von Europa?

Die Zeitung führt unter "hervorragenden Amerikanern" eine Rundfrage über die Möglichkeit und Notwendigkeit der Vereinigten Staaten von Europa durch.

Neue Freie Presse am 2. April 1926

Wir veröffentlichen im folgenden einige der interessantesten unter diesen Äußerungen, die in dem demnächst erscheinenden Heft der von R. R. Coudenhove-Kalergie herausgegebenen Zeitschrift "Paneuropa" zum Abdruck gelangen werden.

Frederick H. Allen, ehemaliger Kommandant der amerikanischen Rheinarmee: Noch ehe ich von Ihrer Bewegung etwas wußte, schrieb ich Anfang vergangenen Jahres für Mr. Wickham Steed einen Artikel, der in dessen Zeitschrift erschien und in dem ich ausführte, daß seit dem Waffenstillstand Rußland die einzige Nation in Europa war, welche scheinbar eine konsequente Außenpolitik befolgt hatte; nämlich die, durch Verbreitung ihrer Lehren die Welt zu bolschewisieren; daß Europa, anstatt weiter Haß und und Mißgunst das Regiment führen zu lassen, irgendeine Form der Zusammenarbeit anstreben müsse, wenn es eine Stellung behaupten wollte, die ihm dank seiner kulturellen Errungenschaften, der Begabung seiner Geschäftsleiter, der Geschicklichkeit seiner Arbeiter und seiner großen industriellen Anlagen von Rechts wegen gebührt.

Hamilton Armstrong, Chefredakteur der "Foreign Affairs" in Newyork: Irgendeine europäische Organisation kann dann möglich und notwendig werden, wenn der Völkerbund sich als unfähig erweisen sollte, seinen Mitgliedern Sicherheit und Abrüstung zu verschaffen und sich infolgedessen auflösen würde oder wenn er seine gegenwärtige Struktur ändern und sich in der Richtung regionaler Bündnisse weiter entwickeln würde. Unter diesen Umständen wäre eine paneuropäische Vereinigung allerdings eine Notwendigkeit für Europa.

Willis H. Booth, Vizepräsident der Guaranty Trust Company in Newyork: Ich halte den Versuch einer Vereinigung von Europas politischen und wirtschaftlichen Machtfaktoren ohne Einschluß Englands für unmöglich.

Bernadotte Schmitt, Professor der modernen Geschichte an der Universität von Chicago: Gegenwärtig ist die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa gewiß wegen des gegenseitiges Hasses der Völker nicht möglich. Vielleicht daß nach einer Generation die Aussichten günstiger sein werden.

Frank A. Panderlip, früherer Präsident der National City Bank: Jedes Unternehmen, das Europa politisch einigen und einander wiedersprechende Interessen so aussöhnen könnte, daß die Kriegsmöglichkeit verringert würde, gehört natürlich zu den allerwünschenswertesten Dingen auf der Welt. (...) Ich bedauere bezweifeln zu müssen, daß die Bildung der "Vereinigten Staaten von Europa" im heutigen Zeitpunkte politisch möglich sei. Es bestehen natürlich große Hindernisse in dem nationalistischen Geist und in den verschiedenen Betrachtungsstandpunkten der verschiedenen Rassen. Aber über diese könnte man allenfalls hinwegsehen. Das Hindernis, das mir am gewichtigsten erscheint, ist ein wirtschaftliches. Die erste Folge einer politischen Einigung Europas, welche alle internen Zollschranken beseitigen würde, wäre die Vorherrschaft jener Länder, welche industriell am weittesten fortgeschritten sind - vor allem eine industrielle Vorherrschaft Deutschlands.

Heute vor 100 Jahren: Schwerer Straßenbahnunfall in Wien

52 Verletzte bei einem Zusammenstoß in der Linzerstraße

Neue Freie Presse am 1. April 1916

Der im Abendblatte schon mitgeteilte Zugszusammenstoß beim Straßenbahnknotenpunkt in der Linzerstraße ist wohl die ernsteste und folgenschwerste Katastrophe dieser Art, welche je die Wiener Chronik zu verzeichnen hatte. 52 Personen haben bei diesen Ereignis, das angeblich durch den unberechenbaren Zufall des Versagens der Bremse, vielleicht aber auch durch die Unachtsamkeit des mitverunglückten Motorführers, eintrat, mehr oder minder schwere Verletzungen erlitten. Es sind Fahrgäste, darunter besonders viele Soldaten, auch Frauen und Kinder, sowie sieben Schaffnerinnen der Straßenbahn. 17 Verunglückte werden von den Ärzten als schwer verletzt bezeichnet. (...)

Über das Gefälle der Felberstraße herab kam der K-Wagen. An der vorgeschriebenen Haltestelle blieb er nicht stehen, sondern bog in starkem Tempo in die Linzerstraße ein. Dort fuhr am Kreuzungspunkte der Geleise in seine Route stadtwärts der vollbesetzte Wagen 52, dessen Führer natürlich nicht wissen konnte, daß der querlaufende Zug nicht halten werde. Im nächsten Augenblick war der vom K-Wagen scharf eingefahrene Beiwagen des anderen Zuges umgerannt. Fenster zersplitterten klirrend; die Passagiere waren übereinandergeworfen; Schmerzensgeschrei, Wehklagen, Angstrufe erschollen. Tausende von Menschen eilten von allen Seiten herbei. Wache kam.Und man half den Verletzten und Unverletzten aus dem umgestürzten Wagen hervor, berief die Rettungskorps und die Feuerwehr - hatte aber, emsig zugreifend, alle Passagiere - ob sie Schaden genommen hatten oder nicht - geborgen und hatte die Verwundeten in ein nahes Kaffeehaus gebracht, ehe die Feuerwehrmannschaft zur Stelle kam. Aber die schreckliche Aufregung dauerte noch lange an und die Freiweillige Rettungsgesellschaft hatte mit der großen Zahl der Opfer noch lange Arbeit. Die Verkehrsstörung konnte bald behoben werde.

Bismarck, dreifach Erz um die Stirn

Nur wenige Wochen vor Beginn des Deutschen Krieges zwischen Preußen und dem von Österreich geführten Deutschen Bund schreibt die Neue Freie Presse gegen den preußischen Ministerpräsidenten Bismarck an.

Neue Freie Presse am 31. März 1866

"Wenn wir Krieg führen wollen, werden wir Sie nicht fragen!" rief Graf Bismarck schon vor dritthalb Jahren dem preußischen Abgeordnetenhause zu, als es sich um die ersten Schritte zur Campagne in Schleswig handelte. Wir wundern uns daher auch weder, daß er die Kammer nach Hause schickte, ehe er die Hand zur Zertrümmerung des deutschen Bundes erhob, noch geben wir uns der idyllischen Hoffnung hin, er werde sich durch die Revolutionen von Volksversammlungen in seinen herostratischen Plänen stören lassen. Wäre der Staatsstreich-Minister durch solche Bagatellen, wie den allgemeinen Unwillen über gebrochenes Recht, in seiner Bahn aufzuhalten, dann hätte er seinen Posten entweder niemals angetreten oder doch längst geräumt. Allein der Mann hat dreifach Erz um die Stirne, und so muß denn der catilinarischen Politik im Innern die catilinarische Politik nach Außen hin auf dem Fuße folgen - muß die Bundesacte auf denselben Kehrichthaufen geworfen werden, wo die preußische Constitution bereits modert.

Graf Bismarck aber mag noch so vornehm auf die Ideologen herabsehen, welche sich einbilden, daß es bei dem Kriege noch auf etwas Anderes als auf die starken Bataillone ankommt; er selber beweist das Gegentheil, wenn er durch seine Schwindeleien bezüglich der Berufung eines deutschen Parlaments um die Gunst der Demokraten buhlt und von diesen verdientermaßen Spazieren geschickt wird. Diese krampfhafte und doch vergebliche Anstrengung, ein Princip auf die Fahne zu schreiben, welche Preußen schwingen soll, bildet einen prächtigen Beleg für Lessings Satz, daß die Heuchelei die Huldigung des Lasters an die Tugend ist; denn einen jämmerlicheren moralischen Bankerott noch vor dem ersten Kanonenschusse kann man sich doch wahrlich nicht denken, als daß der Bändiger des preußischen Landtages sich zum Gespötte der Liberalen erniedrigen muß, indem er ihnen die Berufung eines deutschen Parlaments verspricht.


Anmerkung: Als dieser Artikel in der "Neuen Freien Presse" erschien, stellte Bismarck bereits die Weichen für den Deutschen Krieg. In diesem kämpfte Preußen mit seinen Verbündeten wie dem Königreich Italien gegen das Kaisertum Österreich, das den Deutschen Bund anführte. Nach der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866, die mit einer Niederlage Österreichs endete, war der Krieg entschieden. Österreich musste im Prager Frieden akzeptieren, dass es künftig keine Rolle mehr in der deutschen Politik spielen würde.

99 Prozent für Hitler

Der Welt soll mit der “Wahl” ein Bild der Geschlossenheit gezeigt werden.

Neue Freie Presse am 30. März 1936

Nach dem bis 2.20 Uhr früh bei den Reichswahlleitern vorliegenden vorläufigen Endergebnis aus den 35 Wahlkreisen haben von 45,431.107 Stimmberechtigten 44,954.937, das sind 99 Prozent, an der Wahl teilgenommen. Von den 44,954.937 Stimmen wurden abgegeben für die Liste und damit für den Führer 44,411.911, gegen die Liste und ungültig 543.026. Es sind somit 99 Prozent aller Stimmen für die Liste und damit für den Führer abgegeben worden.

Die Wahlen, die gestern im Deutschen Reich abgehalten wurden, haben das Ergebnis gebracht, das zu erwarten war. (...) Bei den Wahlen handelte es sich nicht allein um die Erneuerung des Reichstages und um eine Vertrauenskundgebung für das Regime, sondern auch darum, der Welt ein Bild der Geschlossenheit zu geben, mit der das deutsche Volk hinter den am 7. März geschaffenen Tatsachen steht. Darum wurde in den letzten Wochen immer wieder und wieder in unzähligen Reden und Artikeln die außenpolitische Situation erörtert und das Moment der Ehre, der Freiheit und des Friedens in den Vordergrund gerückt. In dieser Hinsicht waren die Worte beachtenswert, die der Reichskanzler Adolf Hitler in den Krupp-Werken in Essen sprach, indem er die Frage aufwarf: Was wollen wir Deutschen von dieser lieben Welt? Zunächst gar nichts, so rief der Redner aus, als daß sie uns in Ruhe lässt, und wie wir uns nicht einmischen in die Belange anderer Völker, so wünschen wir, daß auch die anderen Staatsmänner vor unseren inneren Belangen und unseren Grenzen Respekt haben.

Es wird sich nun bei der für morgen erwarteten Überreichung der neuen eingehenden Vorschläge für die Überwindung der europäischen Krise zeigen, in welchem Maße das Deutsche Reich gewillt ist, seinen Beitrag zur Entwirrung zu leisten und den Brückenschlag der Verständigung zu erleichtern.

Anm: Die Reichstagswahl am 29. März 1936 fand zugleich mit einer nachträglichen Volksabstimmung zum Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland vom 7. März statt. Zur “Wahl” stand nur die NSDAP. Stimmzettel ohne Kreuz wurden als Zustimmung gewertet. Wer nicht teilnahm, musste (vor allem im öffentlichen Dienst) mit Sanktionen rechnen. Juden war das Wahlrecht entzogen worden.

Die Ruhe in Bulgarien nimmt ein blutiges Ende

Der bulgarische Finanzminister wird bei einem Attentat getötet.

Neue Freie Presse am 29. März 1891

Seit drei Vierteljahren war Bulgarien vollkommen ruhig. Keine Nachricht aufregender Art kam aus Sophia von jenem Tage ab, an welchem Major Panitza den Tod des Verräters erlitt. Die Schüsse, welche ihn niederstreckten, schienen allen inneren Zuckungen des Landes ein Ende gemacht zu haben, und man begann allmälig zu vergessen, daß sich das Fürstentum in einem internationalen Ausnahmezustande befinde und mit dem Interdict des Zars belegt sei. Selbst die jüngsten Veränderungen im Cabinet vollzogen sich in größter Ruhe. (...) Kurz, Bulgarien begann uninteressant zu werden wie eine tugendhafte Frau, der Niemand etwas Schlimmes nachsagen kann.

Gestern Abend ist diesem gemütlichen Still-Leben ein blutiges Ende bereitet worden. Der Finanzminister Beltschow, der seit dem 10.November vorigen Jahres sein Amt bekleidete, fiel unter Meuchlerhänden. Durch das Dunkel des Abends zuckten plötzlich die Blitze einiger Revolverschüsse und Beltschow war eine Leiche. Der Mörder hatte im Hinterhalte gelauert, und so gut er traf, scheint er doch schlecht gezielt zu haben. Es ist gar kein Zweifel, daß die Kugeln, welche das Leben des unglücklichen Finanzministers zerstörten, ihm gar nicht gegolten haben. Sie sollten Stambulow töten, der ans einer Seite ging, aber vollkommen unverletzt blieb. Dadurch wird die Angabe, daß es sich bei dem Attentate um eine Tat der Privatrache gehandelt habe, ziemlich unwahrscheinlich. Stambulow ist eine so ausgesprochene und hervorragende politische Persönlichkeit, daß man fast von selbst politische Beweggründe des Mordversuchs voraussetzen muß. An persönlichen Feinden fehlt es zwar den bulgarischen Ministerpräsidenten nicht, und die Möglichkeit, daß Einer derselben zum Revolver gegriffen haben könnte, darf nicht geleugnet werden. Aber vielnäher liegt die Annahme, daß eine verbrecherische Hand den Staatsmann aus dem Wege räumen wollte, welcher die Hauptstütze der gegenwärtigen Regierung Bulgariens und des Fürsten Ferdinand ist. Stambulow’s Tod könnte große Verwirrung, neue Parteikämpfe, vielleicht einen Umsturz herbeiführen. Ihn beseitigt zu sehen, ist ein stiller Wunsch aller derjenigen, die mit der jetzigen Ordnung der Dinge in Bulgarien unzufrieden sind.

Anm: Finanzminister Christo Beltschew (so die heute gebräuchliche Schreibweise) wurde am 27. März 1891 im Alter von 34 Jahren von bulgarischen Nationalisten aus Makedonien erschossen. Ministerpräsident Stefan Stambolow wurde im Juli 1895 ebenfalls bei einem Attentat ermordet.

Männerrechtler gegen “auf die Spitze getriebene Emanzipation”

Frauen nicht für technische und finanzielle Berufe geeignet?

Neue Freie Presse am 28. März 1926

Ein Chinese hat den köstlichen Einfall gehabt, in einer Konferenz zum Schutze der Minderheiten die Frage aufzuwerfen: Wann wird man die Majorität vor den Exzessen der Minorität bewahren? Ähnlich paradox erscheint es,wenn jetzt plötzlich eine Aktion von Abgeordneten sämtlicher Parteien im österreichischen Parlament in Erscheinung tritt, deren Zweck es ist, den schwachen Mann vor der kräftigen Frau, das schutzlosem sogenannte starke Geschlecht vor den Übergriffen der Feministinnen zu bewahren. Wir möchten die Diskussion über diese Frage auf breitester Grundlage führen und beginne mit der Veröffentlichung dreier Äußerungen, die von Dr. Marianne Beth,dem ersten weiblichen Advokaten, von Dr. Adolf Bachrach, dem unseren Lesern bekannten hervorragenden Juristen und Verteidiger, und Kommerzialrat Buchwald herrühren. Jeder Vernünftige wird begreifen, daß die erwerbsfähig gewordene, lebenstüchtige Frau nicht mehr die Vorteile genießen kann, die aus der Hilflosigkeit, aus der Passivität der Zeiten von anno dazumal entsprungen sind. Wenn man sich mitten auf die Gasse wagt, dann darf man sich nicht wundern, daß man im Gedränge gestoßen wird. Aber andererseits beweisen die Lohntabellen, daß noch immer weibliche Tätigkeit viel schlechter gewertet wird als männliche, und das allgemeine Elend findet die Frau vielleicht rüstiger und energischer, aber doch auch gebunden durch die Mutterschaft und die furchtbaren Folgen der Kriegsentbehrungen. Wir glauben daher, daß letzten Endes mehr als jemals Schonung am Platze ist, und wir würden es aufs tiefste Bedauern, wenn die Wirtschaftskrise dazu führen würde, die notdürftigen Schutzmaßnahmen abzubauen, die einen Hemmung sind gegen Frivolität und Leichtfertigkeit.

Auszug aus den Gastbeiträgen:

Rechtsanwalt Dr. Marianne Beth:

Die Männerrechtler gehen davon aus,daß die Frau heute dem Manne gleich arbeits- und verdienstfähig ist. Sie stellen sich auf den Standpunkt, als ob ihnen schon eine faktische Gleichheit im Erwerbsleben dadurch gegeben wäre, daß ihnen das Bundesverfassungsgesetz vom Jahre 1920 auf dem Papier “die Gleichheit vor dem Gesetz” zusicherte. Jeder aber weiß, daß die Frau auch heute bei gleicher Leistung geringere Bezahlung erhält, angeblich,weil sie nicht Familienerhalter sei. Jeder weiß ferner, daß eine ganze Reihe von berufen ihnen tatsächlich verschlossen ist. (...)

Das sei den Männerrechtlern zugegeben: Die Frau ist heute eher als einst in der Lage, sich durch eigene Arbeit notdürftig fortzubringen. Diese Tatsache wird aber, wie jeder in Scheidungssachen Bewanderte weiß, von den Gerichten bereits weitgehend Rechnung getragen. (...)

Des Pudels Kern liegt aber in der Forderung, die “durch eine auf die Spitze getriebene Frauenemanzipation” bei den heutigen schweren Verhältnissen in ihrer Existent gefährdeten Männer zu schützen, das heißt, die Männerrechtler verlangen, daß man den Frauen die ihnen heute offenstehenden, wie oben gezeigt wurde, an sich schon beschränkten Berufsmöglichkeiten entzieht, daß man sie beruflos macht. Gleichzeitig stellen sie die Forderung auf, daß man die berufsfähigen Frauen nicht weiter schützen soll. Jedem, der sich das vergegenwärtigt, wird sich wohl der Schluß aufdrängen, daß es mit der männlichen Logik in diesem Punkt nicht weit her ist.

Kommerzialrat Bernhard Buchwald:

Wer im Wirtschaftsleben steht,wird für die Frauenemanzipation, so sympathisch er sich sonst zu dieser Bewegung verhalten mag, gewisse Grenzen und Schranken gewahrt haben wollen. Ich bin der Meinung, daß die Aufwertung der Frau sich nicht so scharfkantig wie bisher vollziehen soll, weil sonst nicht nur das Familienleben, sondern auch das Wirtschaftsleben zu starken Erschütterungen ausgesetzt wird. (...)

Als Angestellte zeigen die Frauen auf gewissen Gebieten wirtschaftlicher Betätigung besondere Fähigkeiten und Auffassungskraft, und zwar im Korrrespondenzverkehre und in einer Reihe jener interner Verrichtungen, die nach außen selten sichtbar werden. Dessen ungeachtet sind sie nicht befähigt, die Autorität und auch das volle Fachwissen für technische und finanzielle Betriebszweige aufzubringen. Daran hindert sie immer das, was ich als die ständig drohende Rückfälligkeit in das schwache Geschlecht bezeichnen möchte. Die sinnfälligsten Beobachtungen in dieser Richtung kann man bei den weiblichen Angestellten der verschiedenen Staatsbetriebe machen. Manches Fräulein kann von bestrickender Liebenswürdigkeit sein, wenn man es im richtigen Moment erreicht, es wird aber aus einer Mißstimmung heraus hartnäckig und boshaft im Dienste. Diese Stimmungen läßt der Mann höchst selten so stark werden, daß sie seine Arbeitsweise entscheidend beeinflußen.

Italiens Kronprinzessin pflegt Kranke in Ostafrika

Kronprinzessin Marie José absolviert einen Spezialkurs über Tropenkrankheiten.

Neue Freie Presse am 27. März 1936

Von Neapel aus tritt die italienische Kronprinzessin Marie José – bekanntlich eine Schwester des Königs von Belgien – nach Berichten englischer Zeitungen dieser Tage die Reise nach Asmara an, wo sie in einem Militärspital als Krankenpflegerin tätig sein wird. Die Kronprinzessin, die schon vor ihrer Verheiratung einen Pflegerinnenkurs besucht hat, absolviert heuer unter Leitung Sir Aldo Castellanis, der gegenwärtig bei der italienischen Armee in Ostafrika das Generalinspektorat des ärztlichen Dienstes inne hat, einen Spezialkurs über Tropenkrankheiten.

Vor ihrer Abreise nach Afrika ist in Neapel eine Feierlichkeit geplant. Kronprinzessin Marie José, deren Sohn 18 Monate alt ist, hat schon vor einigen Monaten den Wunsch ausgesprochen, als Krankenpflegerin nach Abessinien zu gehen, doch widersetzte sich das italienische Königspaar in der Besorgnis, das afrikanische Klima könne der jungen Frau gefährlich werden, ihrer Absicht, Nun ist es ihr aber doch gelungen, die bedenken ihrer königlichen Schwiegereltern zu zerstreuen.

Anm.: Marie José von Belgien war eine Prinzessin aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha und die letzte Königin von Italien. Die Regentschaft von ihr und ihrem Mann Umberto II. dauerte im Jahr 1946 nur 33 Tage – Italien wurde zur Republik, das Paar ging nach Portugal ins Exil. Aldo Castellani war ein italienischer Pathologe und Bakteriologe. Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte er Italien gegen die Alliierten, indem er Chef des Sanitätswesens der italienischen Armee wurde.

Der rumänische König ignoriert Wien

Das rumänische Königspaar sollte Österreichs Kaiser treffen – fuhr aber einfach weiter.

Neue Freie Presse am 26. März 1906

König Carol und Königin Elisabeth von Rumänien sind heute aus Bukarest hier eingetroffen und haben, ohne sich hier aufzuhalten, die Fahrt nach Lugano fortgesetzt. Bis zum gestrigen Tage hieß es hier, König     Carol werde einen Tag in Wien verweilen, eine Zusammenkunft mit dem Kaiser haben und auch eine Konferenz mit dem Grafen Goluchowski abhalten. Im letzten Moment scheinen jedoch die Reisedispositionen des königlichen Paares geändert worden zu sein, denn König Carol und Königin Elisabeth fuhren, nachdem sie um 12 Uhr mittags hier eingetroffen waren, mit der Verbindungsbahn zum Westbahnhof und setzten von dort in einem Salonwagen, der dem Courierzug eingereiht worden war, die Reise nach Lugano fort, wo sie bekanntlich einen mehrwöchigen Aufenthalt zu nehmen beabsichtigen.    

Die schlimmen Tage der „guten alten Zeit“

Die Wiener des Jahres 1906 plagten wie schon jene 1806 hohe Fleischpreise.  

Neue Freie Presse am 25. März 1906

Auch die so oft gerühmte „gute alte Zeit“ hatte ihre schlimmen Tage. Wenn heute über die Höhe der Preise aller jener Artikel, deren man am notwendigsten zur Lebensführung bedarf, Klage geführt wird, so hatten die vor hundert Jahren lebenden Wiener nicht weniger Ursache, darüber zu raisonnieren. Das Wien des Jahres 1806 mußte schwere Zeiten durchleben... Mit seiner aus Schönbrunn vom 27. Dezember 1805 datierten Proklamation hatte Napoleon Bonaparte sich von den Wienern verabschiedet; am 4. Januar 1806 wurde der zwischen ihm und Kaiser Franz geschlossene Frieden publiziert, und die französischen Truppen zogen aus den österreichischen Erblanden ab. Vorher noch hatte der Kaiser der Franzosen dem Erzherzogtum ob der Enns die Zahlung von 16 Millionen Francs – die er aber später auf 10 Millionen herabzumindern sich bewegen ließ – und die Lieferung von 60.000 Mänteln sowie von 64.000 Paar Schuhen als Kriegskontribution auferlegt. Der Krieg war nun aber vorläufig zu Ende, jedoch die Folgen desselben und der damit verbunden gewesenen französischen Invasion lastete noch lange nachher schwer auf dem lande. Im ganzen Reiche herrschte Mangel an Lebensmitteln, in einzelnen Teilen desselben sogar Hungersnot, allenthalben waren die Bestände an schlachtbarem Vieh gelichtet, und die Viehpreise erreichten in der Folge eine solche Höhe, daß die Fleischhauer Niederösterreichs sich an die Landesregierung mit der Bitte wendeten, die Fleischpreise von amtswegen zu erhöhen. . Dieses Ansuchen fand die genannte Behörde dann auch gerechtfertigt und erließ im Mai 1806 eine Verordnung, durch welche der Preis für Rindfleisch von 12 auf 13 kr. Vier Wochen später erfolgte eine abermalige Erhöhung von 13 auf 14 kr. per Pfund usw.

Anm.: Am 2. Dezember 1805 siegte Napoleon über das österreichisch-russische Heer in der Schlacht bei Austerlitz. Am 28. Dezember verabschiedete sich der französische Herrscher mit einer Proklamation an die Wiener, in denen er Kriegszahlungen forderte. Am 13. Jänner 1806 verließen seine Truppen Wien. Kaiser Franz I. ließ daraufhin die Druckermaschinen anwerfen. Ende 1810 erreichte die Menge des in Umlaufs befindlichen Papiergeldes über eine Milliarde Gulden. Am 20. Februar 1811 erklärte die Regierung schließlich formell den Staatsbankrott.

Schnitzlers „Reigen“ wird in Ungarn verboten

Das Magistrat ortet einen Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit.

Neue Freie Presse am 24. März 1926

Die für Samstag angesetzte Erstaufführung von Artur (sic) Schnitzlers „Reigen“ wurde vom hauptstädtischen Magistrat verboten. In der amtlichen Zuschrift heißt es, daß das Stück gegen die öffentliche Sittlichkeit verstoße und seine Aufführung deshalb unerwünscht sei. Für den Fall der Nichtbeachtung dieses Verbotes wird mit Entziehung der Spiellizenz gedroht. Das Innerstädter Theater wird gegenwärtig vom Konsorzium der Schauspieler geführt. Die Theaterleitung hat gegen den Beschluß des Magistrats an den Minister des Inneren Rekurs ergriffen.

Der Minister des Inneren erklärte Zeitungsberichterstattern gegenüber, in Ungarn gebe es überhaupt keine Theaterzensur. Der Minister könne die Aufführung eines Stückes nur dann verbieten, wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit oder aus einem anderen Grunde einleite.

Anm.: Das Drama „Reigen“ von Arthur Schnitzler schildert in zehn erotischen Dialogen, wie es um die sexuelle Moral der Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende steht. Dabei treffen fünf Frauen und fünf Männer nacheinander aufeinander. Das Stück löste nach seiner Uraufführung am 23. Dezember 1920 einen Skandal aus und führte zum „Reigen-Prozess“, nach dem Schnitzler ein Aufführungsverbot für das Stück verhängte, das bis zum 1. Januar 1982 in Kraft war.

Mehr Licht für die Innere Stadt

Elektrische Beleuchtungen für Wiens ersten Bezirk.

Neue Freie Presse am 23. März 1906

Der Stadtrat hat das Projekt für die elektrische Beleuchtung des Albrechtsplatzes, der Tegetthoffstraße, Augustinerstraße und Operngasse im 1. Bezirk genehmigt. Es sind daselbst 16 einfache Maste mit Bogenlampen von 10 Metern Lichtpunkthöhe und 2 Doppelauslegmaste mit je 2 Bogenlampen von 12 Metern Lichtpunkthöhe, sämtlich mit 12 Ampèren Stromstärke und halbnächtiger Brenndauer aufzustellen. Die Kosten der Bestellung beziffern sich mit 26.000 K., die jährlichen Betriebskosten mit 7665 K.

Am 101. Geburtstag kein bisschen müde

Der frühere Opernsänger Manuel Garcia steigt bis in den vierten Stock hinauf – und zeigt keine Spuren der Ermüdung.

Neue Freie Presse am 22. März 1906

Am letzten Samstag feierte Senor Manuel Garcia, der berühmte Gesangslehrer, bei leiblichem und geistigem Wohlbefinden in London seinen 101. Geburtstag. Vor einem Jahre, anlässlich der Erreichung des 100. Geburtstages, wurde der greise Gesangskünstler bekanntlich von mehreren Monarchen mit hohen Auszeichnungen bedacht. In dem Buckinghampalast verlieh ihm König Eduard persönlich den Victoria-Orden, vom König Alfonso empfing er das Großkreuz des Ordens Alfonsos XII., und auch Kaiser Wilhelm verlieh ihm die goldene Medaille. Bezeichnend für des Künstlers außergewöhnliche Vitalität ist die Tatsache, daß er erst kürzlich zum Erstaunen seiner Begleiter einer im vierten Stocke wohnhaften befreundeten Dame einen Besuch abstattete. Ohne sich des Lifts zu bedienen, stieg er bis in den vierten Stock, wo er ohne Spuren der Ermüdung zu zeigen, bei seiner Freundin anlangte. Der „Grand old Spaniard“, wie er in London genannt wird, ist noch häufig bei Konzerten zu sehen und nimmt gerne an Abendunterhaltungen seiner Freunde teil, welche er häufig nicht vor Mitternacht verlässt.


Anm.: Manuel Patricio Rodríguez García wurde am 17. März 1805 in Spanien geboren. Er erlangte als Opernsänger (Bariton) Bekanntheit. Nach dem Ende seiner Opernkarriere lehrte García an der Akademie der Wissenschaften, am Pariser Konservatorium undder Royal Academy in London. García  starb am 1. Juli 1906 in London.

Darf der Arzt töten?

Zwei Ärzte und eine Philanthropin äußern sich zu den brisanten Thema.

Neue Freie Presse am 21. März 1926

Professor K. F. Wenckebach schreibt über "Das Gewissen des Arztes": "Vielleicht werde ich den Fall noch erleben, der auch mich zur Tat verführen wird, ich glaube es aber nicht. Meinen Schülern aber sage ich, dass sie sich dreifach prüfen sollen, bevor sie einen solchen Entschluss fassen und durchführen. Ganz abgesehen davon, was man ain solchem Falle sagen wird, soll der Arzt bedenken, wie er sich selbst post facta fühlen wird, denn er sioll die ""Aequanimitas", das seelische Gleichgewicht, das uns am Krankenbette in so manchem schweren seelichen Konflikt leiten soll nicht in Gefahr bringen."

Sein Kollege  Professor Julius Hochenegg schildert seine "Erfahrungen eines Chirurgen": "Ich habe es immer ängstlich vermieden, auch nur den leisesten Versuch zu machen, durch irgendeine Medikation oder Eingriff den durch den normalen Ablauf der Krankheit gegebenen Verlauf des Ausklingens zu beschleunigen. Nicht das Leben zu beenden, sondern die Qualen des Leidens zu mildern, ist auch in diesen Fällen die einzige Aufgabe des Arztes. Ganz etwas anderes ist es, bei derartigen Fällen durch Mittel das schwindende, verlorene Leben zu verlängern und durch Herz und Zirkulation erregende Medikamente künstlich das ersehnte Ende hinauszuschieben. Ich habe den Eindruck, dass in dieser Hinsicht manchmal zuviel geschieht."

Karin Michaelis Beitrag "Nicht Mord, sondern Barmherzigkeit" geht hingegen in eine andere Richtung: "Hat der Arzt das Recht, die Leiden eines unheilbaren Kranken dadurch abzukürzen, dass er ihm den Tod gibt? (...) Ich für meine Person bin bereit, diese Frage in vollem Umfange zu bejahen. Ja, mehr noch: nicht nur der Arzt, sondern jeder Verwandte und Freund eines unheilbar Kranken hat das sittliche Recht, ihm den ewigen Frieden zu bringen. (...) Es gibt viele Fälle, in denen der Tod dem Leben vorzuziehen ist. Das "Wann?" lässt sich allerdings niemals generell, sondern immer nur individuell beantworten.

So wäre es beispielsweise voreilig, für unheilbar schwachsinnige Kinder die Tötung zu beantragen, denn erfahrungesgemäß hängt mitunter die Mutter eines solchen Kindes an dem bedauernswerten, fast vertierten Geschöpf mit inniger Zärtlichkeit, als an ihren gesunden Kindern. Soll man einer solchen Mutter ihren Liebling nehmen? Auch habe ich, namentlich in Skandinavien, so vorzüglich eingerichtete Anstalten für schwachsinnige Kinder gesehen, dass man diese Wesen, die sich dort sehr wohl fühlen, keineswegs den Tod zu wünschen braucht. In anderen Fällen aber, in denen solche Kinder ihrer Umgebung eine Last und ein Gespött sind und misshandelt werden, wäre es gewiss eine Wohltat, sie von ihrem Dahinvegetieren zu erlösen.

Selbstverständlich lässt sich eine so schwierige und mit so ungeheurer Verantwortung verbundene Frage, wann das Recht zu töten gegeben sei, nicht in Bausch und Bogen beantworten. (...) Sollen unheilbar kranke Patienten auch gegen ihren Willen getötet werden? Selbstverständlich nein und tausendmal nein! Ein Patient, der erklärt, dass er lieber die ärgsten Leiden ertragen, als schmerzlos getötet werden wolle, darf selbstverständlich nicht getötet werden. Seine Tötung wäre Mord."

Eisenbahn zwischen Wien und Amerika

Neue Freie Presse am 20. März 1906

Es geht eine große Nachricht durch die Welt, eine von jenen, die man mit einem aus Staunen und Freudigkeit gemischten Hochgefühl begrüßt, weil sie das Ideal der Menschheitskultur streifen. Zwischen Wien und Amerika soll eine Eisenbahnverbindung hergestellt und zu diesem Zwecke soll die Behringstraße untertunnelt werden. Man ist fast betroffen von diesem Gedanken, der etwas von einer großartigen Phantasmagorie an sich zu haben scheint, von einem jener vierdimensionalen Märchen, die noch weit über die Einbildungskraft eines Jules Verne hinausreichen. Aber es ist wahr und gewiss, daß über dieses ungeheure Projekt zwischen den amerikanischen Urhebern desselben und dem russischen Eisenbahnamte ernsthaft unterhandelt wird und daß bereits ein Konzessionsplan mit allen Einzelheiten des gigantischen Baues zur Erörterung vorliegt.


So darf man zum mindesten, wenn es sich zunächst auch nur erst um einen Plan handelt, die Möglichkeit seiner Verwirklichung in nicht langer Frist ins Auge fassen, darf sich vorstellen, dass die alte mit der neuen Welt auf dem Landwege verbunden sein und eine Schienenstraße, sechzig Meter unter der Meeresoberfläche, vom sibirischen nach dem amerikanischen Strande, vom Kap Deschnew nach dem Kap Prince of Wales, führen wird, dort, wo die Welt ein Ende zu haben schien, auch nachdem vor mehr als zweihundertfünfzig Jahren der Kosak Deschnew und nach ihm der jüdische Seekapitän Behring im Dienste Peters des Großen die Durchfahrt zum nördlichen Eismeer entdeckt hatten.


Neu und gewaltig ist diese Perspektive, denn sie eröffnet die Möglichkeit, daß aus dem Herzen der europäischen Kulturwelt eine breite Eisenstraße, ungefährdet durch die Schrecken der Seefahrt, den Weltverkehr unmittelbar zu dem noch kaum erschlossenen Bereich der ostasiatischen Kultur und über diesen hinweg zu der aus europäischen Quellen entflossenen amerikanischen Zivilisation lenken wird. Es ist, wie wenn die Welt abermals und an einem neuen, bisher unwirtlichen Punkte sich zusammenzuschließen in Begriff wäre, wie wenn es in baldiger Zukunft vor dem schöpferischen Menschengeiste keine Teilung in Hemisphären, kein alt und neu mehr geben sollte.


Anmerkung: Pläne für einen Beringstraßentunnel zwischen den USA und Russland gibt es bis heute. Aber auch das im Jahr 2007 initiierte ambitionierte Projekt “TKM-World Link” (TransKontinentale Magistrale) ist bislang nicht über die Planungsphase hinausgekommen.

Das drahtlose Telephon

Die japanische Marine hat das Patent gekauft.

Neue Freie Presse am 19. März 1906

Aus London wird uns berichtet: In Fortsetzung seiner früheren Meldungen berichtet der “Telegraph” heute aus Tokio, daß das drahtlose Telephon, welches der Ingenieur Kimura erfunden hat, angeblich für viel größere Entfernungen arbeitet, als die drahtlose Telegraphie, daß es absolut unmöglich ist,die Meldungen abzufangen, oder zu stören, und daß die japanische Flotte das Patent angekauft hat zu ausschließlichem Gebrauch für die japanische Marine, unter striktester Geheimhaltung aller diesbezüglicher Details.

Frankreich verärgert über Zögern gegenüber Hitler

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in das Rheinland kann sich der Völkerbundrat nicht zu einer Verurteilung durchringen.

Neue Freie Presse am 18. März 1936

In der öffentlichen Meinung Frankreichs wächst die Nervosität, mit der man die Londoner Verhandlungen in den letzten Tagen verfolgt hat, immer mehr zu einem Gefühl herber Enttäuschung aus. In der Bevölkerung, im parlamentarischen Kreisen und in der Presse begegnet man der gleichen Beschwerde. Man konstatiert, daß der Völkerbundrat zehn Tage nach den Ereignissen vom 7. März, die ganz Frankreich einmütig als groben Vertragsbruch verurteilt, noch nicht zur Fällung des Erkenntnisses zu gelangen vermochte. Man schreibt dies zu einem großen teil der Londoner Atmosphäre zu. (..) Man unterstreicht immer wieder, daß man eine unmittelbare Gefahr für Frankreich nicht glaubt. Worauf es noch ankomme, sei die Verwirklichung des Systems der internationalen Sicherheit, das nur auf der Achtung eingegangener Verträge ruhen kann.Ein solches System erwartete man bisher von Genf.

Anm: siehe “Heute vor” vom 8. März

Steuerzahler machen ihrem Ärger Luft

Die “Presse” druckt negative Erfahrungsberichte von Steuerzahlern.

Neue Freie Presse am 17. März 1926

Die Stimme des Steuerzahlers - Auch sie soll wieder zum Wort gelangen, namentlich jetzt, wo der Steuerfrühling vor der Tür steht, die schöne Jahreszeit des Fatierens, der Steuervorhalte und der Laufereien.

Frau M. R. schreibt: “Die Wege zum Steueramt sind nie angenehm. Man sollte deshalb die Steuerzahler nicht auch noch mit weiten, zeitraubenden Gängen quälen. Früher konnte man die Steuerformulare bei der Staatsdruckerei oder in Tabakfabriken kaufen, jetzt bekommt man sie nur beim Steueramt selbst. Warum sollte man diese nicht in jeder Trafik bekommen können?”

Dr. E.B. schreibt: “Ich werde mittels Karte zum Fürsorgeamt des magistratischen Bezirksamtes I zitiert. Dort erfahre ich, daß ich, obwohl ich nur eine Hausgehilfin beschäftige, für dieselbe, weil sie mir zeitweilig in der Ordination hilft - ich bin Zahnarzt - seit Mai 1924 die Fürsorgeabgabe zu leisten habe. Ich vereinbare mit dem betreffenden Herrn, daß am Freitag den 5. Februar, 9 Uhr früh, sich ein Kommissär bei mir einfinden wird, um mir bei der Errechnung behilflich zu sein. Ich halte mit den Vormittag frei und arte - und so warte ich auch heute noch. Abgesehen davon, daß mich der Gang zum Kommissariat zwei Stunden meiner Arbeitszeit kostete, wurde mir überdies ein ganzer Vormittag gestohlen. So viel Rücksicht könnte man doch von den betreffenden Ämtern verlangen, daß sie, die so pünktlich auf ihrem Schein bestehen (25 Prozent Verzugszinsen), von der Unmöglichkeit, eine solche Vereinbarung einzuhalten, das betreffende “Steuersubjekt” verständigen.”

Rücktritt von Großadmiral von Tirpitz

Der Abschied des Staatssekretärs des deutschen Reichsmarineamtes vollzieht sich “in vollen Ehren”.

Neue Freie Presse am 16. März 1916

Wie wir hören, hat Staatssekretär des Reichsmarineamtes von Tirpitz seinen Abschied eingereicht. Zu seinem Nachfolger ist Admiral von Capelle in Aussicht genommen. Der Rücktritt vollzieht sich in vollen Ehren für den Organisator der deutschen Flotte. Es ist sein von allen Seiten anerkanntes historisches Verdienst, die deutsche Marine zu dem hochwertigen Instrument gemacht zu haben, als das sie sich im Kriege bewiesen hat. Das Ausscheiden des Großadmirals wird deshalb voll Dankbarkeit für seine Person überall bedauert.

Anmerkung: Alfred von Tirpitz, ab 1897 Staatssekretär des deutschen Reichsmarineamtes, trat im Ersten Weltkrieg vehement für den "uneingeschränkten U-Boot-Krieg" ein. Da Kaiser Wilhelm II. dem nicht Folge leistete, reichte er am 15. März 1916 seinen Rücktritt ein.  

Österreich, das schönste Land Europas

Lichtbilder belegen die Schönheit des Landes.

Neue Freie Presse am 15. März 1906

Im Volksheim in Ottakring hielt heute abends Hofrat Pend vor einem äußert zahlreichen Auditorium einen interessanten Vortrag über die Schönheit Oesterreichs. Er erklärte, daß Oesterreich zweifellos das schönste Land von Europa sei. Der Vorrang Oesterreichs in dieser Beziehung liege darin, daß sehr viele der schönsten Gebiete Europas auf österreichischem Gebiet zusammenstoßen, so die Alpen, die Karstländer mit ihrer ergreifenden Szenerie, die adriatische Küste mit italienischem Typus, ein großes Stück des Donaulaufes, die deutsche Mittelgebirgslandschaft , die waldbedeckten Karpathen und ein Stück des großen Tieflandes von Osteuropa. Im Zusammentreffen so vieler, zum Teil recht verschiedenartiger Landschaften bestehe die große landschaftliche Schönheit von Oesterreich. Dies veranschaulichte Hofrat Pend sodann durch Vorführung einer Reihe von Lichtbildern. Hofrat Pend schloß seinen interessanten Vortrag mit dem Hinweis darauf, welch reichen Genuß die Bevölkerung Oesterreichs durch die Schönheit des Landes gewinne, wie namentlich die Bereisung der Alpen sowie der anderen Teile des deutschen Sprachgebietes zugenommen habe, wie notwendig es nun aber auch werde, die Schönheiten des Landes namentlich gegen unvorsichtige Eingriffe seitens der Industrie zu schützen. Lebhafter Beifall folgte dessen Ausführungen.

Franz Lehar, ein Plagiator?

Komponist Franz Lehar klagt eine Schriftstellerin wegen Ehrenbeleidigung. Die Verhandlung nimmt einen sehr bewegten Verlauf.

Neue Freie Presse am 14. März 1936

Im Strafbezirksgericht I wurde gestern über die Ehrenbeleidungsklage des Komponisten Franz Lehar gegen die Schriftstellerin Helene Lanik-Laval verhandelt. (...) Frau Lanik behauptete, Lehar habe von ihr zwei Werke zur Begutachtung erhalten, deren Inhalt sich zum Großteil im Libretto von "Giuditta" wiederfinde. Diesen Vorwurf erhob Frau Lanik sowohl bei der Wirtschaftspolizei, wo sie sich gegen eine Erpressungsanzeige, die Lehar gegen sie erstattete, zu rechtfertigen hatte, als auch in 200 vervielfältigten Briefen, welche die Angeklagte an prominente Persönlichkeiten Österreichs und Frankreichs gerichtet hat. (...) Ein besonderes Schreiben richtete Frau Lanik an den Direktor der Pariser Großen Oper, Rouché, in dem sie an ihn die Aufforderung richtete, die Festaufführung von "Giuditta" abzusetzen, weil es das Werk eines Syndikats von Schwindlern sei und das Libretto ihr gestohlen wurde. Lehar wisse davon und ziehe dennoch aus diesem Werke Nutzen.

Frau Lanik: Mein Buch "Die Bekehrte" ist vollkommen in das Libretto von "Giuditta" aufgegangen. Das Buch habe ich im Jahre 1928 Lehar zur Beurteilung übergeben und erst nach eindreiviertel Jahr unverwendet zurückerhalten, nachdem mich der Komponist - ich nannte ihn damals "Meister" - wiederholt telefonisch vertröstet hatte. "Giuditta" ist ein Vollplagiat! Das zweite mir entwendete Werk ist ein dreifach bearbeiteter Roman von Dekobra, den ich für Oper, Schauspiel und als Roman bearbeitet und für den ich sämtliche Rechte erworben habe." (...)

Der Richter belehrt nun die Angeklagte, dass sie die in ihrem Besitz befindlichen Bücher den vom Gerichte bestellten Sachverständigen überantworten müsse, damit diese Prüfungen wegen des angeblichen Plagiats anstellen können.

Angeklagte: Ich gebe meine Werke nicht aus der Hand! - Richter: Sie sind ohne Rechtsvertreter. Anders ist der Wahrheitsbeweis nicht zu führen. Ich belehre Sie an Stelle eines Anwaltes. - Angeklagte (sehr erregt): Dass womöglich meine Werke nochmals plagiiert werden! Das sind ja Wertgegenstände. - Richter: Sie werden bis morgen 12 Uhr mittags das Material vorlegen. - Angeklagte: Nicht morgen und überhaupt nicht! Da lasse ich mich lieber jetzt verurteilen! - Richter: Das Gericht hat auch andere Mittel. Ist das Material morgen nicht bei Gericht, so erfolgt bei Ihnen eine polizeiliche Hausdurchsuchung. Angeklagte: Dann wird alles vorher vernichtet! Das ist ein Zwang! Ich werde ausgeschaltet! Die Sachverständigen können nur in meiner Gegenwart und unter meiner Mitwirkung ein Gutachten abgeben. Unter solchen umständen bitte ich um eine Verurteilung! Ich verzichte auf alles! - Richter: Es bleibt bei dem Gerichtsbeschluss. Entweder wird das Material vorgelegt oder es erfolgt die polizeiliche Hausdurchsuchung. - Doktor Mahler: Wenn aber die Angeklagte selbst erklärt, dass sie den Wahrheitsbeweis nicht führen will? - Richter: Die Beschlüsse sind gefasst, die Verhandlung ist geschlossen.

Anmerkung: "Giuditta" war die letzte Operette, die Franz Lehar, der sich zeitlebens mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert sah, komponierte. Sie wurde am 20. Jänner 1934 in der Wiener Staatsoper uraufgeführt. Als Folge der Vorwürfe wurde "Giuditta" im deutschen Theater vorerst gar nicht gespielt.

Trauer um Marie von Ebner-Eschenbach

Die “Presse” sieht in der verstorbenen Schriftstellerin “einen Vorboten eines starken, geeinten Österreich der Zukunft”.

Neue Freie Presse am 13. März 1916

Marie von Ebner-Eschenbach ist gestern gestorben. Wenige Monate sind es her, daß ihr letztes Novellenbuch erschienen ist, eine Perlenschnur, an der erlesene, köstlich schimmernde Edelsteine angereiht waren. Uns kaum einige Wochen sind ins Land gegangen, seit unsere Leser eine der vollsaftigsten, reifesten Früchte Ebner-Eschenbachscher Feuilletonkunst genießen durften, ihre Grillparzer-Erinnerungen, die mit so viel plastischer Gestaltungskraft, so viel grundgütiger und geradezu märchenhafter Seelenkeuschheit Bilder aus dem alten Wien der Basteien, einer im tiefsten Innern ergriffenen Gegenwart, vor das geistige Auge zauberten. Auf unsere große Landsmännin ist ihr eigenes schönes Wort im vollsten Ausmaß gemünzt: “Das Alter verklärt oder versteinert.” Wohl unserem deutschen Geistesleben, daß bei der Dichterin die erste Alternative in die Erscheinung getreten ist, daß ihr ein selten gnädiges Schicksal beschieden hat, alle die Schätze, die ihr Geist und ihr Herz bargen, in verschwenderischer Fülle auszustreuen. Aus der Entwicklungsgeschichte des kulturellen Deutschösterreich ist die Gestalt der Ebner-Eschenbach nicht wegzudenken. Diese auf einem alten mährischen Schloß geborene deutsche Adelsfrau, die sich zu dem feinsten und vorurteilslosesten Verständnis aller Schichten der Bevölkerung hindurcharbeitete, die in ihren Werken auch vor der Behandlung nationaler und konfesioneller Konflikte nicht zurückschreckte, war ein Vorbote jenes starken, geeinigten Österreich der Zukunft, dessen Konturen wir voll zuversichtlicher Hoffnung durch Blut und Pulverdampf hindurch auf fernem Horizont zu erblicken glauben.

Wiens Spitäler sind überfüllt

Grippe und eine Verschlechterung chronischer Krankheiten durch Temperaturschwankungen sorgen für einen Andrang auf die Krankenhäuser.

Neue Freie Presse am 12. März 1926

Vom Direktor des Wilhelminenspitales Hofrat Doktor Schönbauer erhalten wir auf unsere Anfrage folgende Mitteilungen: Es ist Tatsache, daß auch unser Spital wie alle Krankenhäuser in Wien gegenwärtig überfüllt ist und es der größten Anstrengungen bedarf, sich diesem Andrang gewachsen zu zeigen. Trotzdem kann man nicht behaupten, daß die Grippe die vorherrschende Krankheit sei. Unter den täglich bei uns erfolgenden sechzig Anmeldungen befinden sich bloß acht bis zehn Grippefälle. Der hohe Krankenstand erstreckt sich also zumeist auf andere Erkrankungen, Rheumatismus, Tuberkulose, Bronchitis und sonstige chronischen Zustände, die bei den Temperaturschwankungen dieses Monats stets eine ziemlich heftige Verschlechterung erfahren. Allerdings ist die Zunahme der Grippefälle in der letzten zeit unverkennbar und auch im Gefolge der Grippe auftretende Lungenentzündungen haben sich gehäuft. Wenn man also auch über diese Erscheinung nicht hinweggehen kann, so liegt doch zu einer Beunruhigung gar kein Anlaß vor. Im allgemeinen nehmen die Grippeerkrankungen, von Einzelfällen abgesehen, einen gutartigen Verlauf. Auch numerisch ist ihr Prozentzahl durchaus kein abnormer und die Erwartung einer baldigen Abebbung der Krankheit ist keine unberechtigte.

Lottospiel ein Staatsmonopol - unhaltbar!

Lotto und Creditanstalt stehen in einem Aufsehen erregenden Prozess vor Gericht.

Neue Freie Presse am 11. März 1866

Markl, der Spieler, welcher als Beamter der Creditanstalt kolosalle Summen unterschlagen und im Lottospiel verloren, ist verurteilt. Mit vierjähriger schwerer Kerkerstrafe wird er seine verbrecherische Tat büßen, und wenn er sie gebüßt haben wird, dann wird dem Staate ein für alle Zukunft verlorener Mensch wiedergegeben werden.

Welches Licht warf die gestrige Gerichtsverhandlung auf den Fortbestand des Lottospiels! Denkt nur ein wenig über den Zusammenhang dieser herrlichen Institutionn mit dem Verbrechen nach. (...) Der Staat hält sich für verpflichtet, in allerlei Beziehung Maßregeln zu treffen, um seine Angehörigen gegen allerhand Gefahren sicherzustellen, (...) kurz er sinnt in jeder Beziehung auf Abwendung körperlicher Gefahren von seinen Bürgern. (...) Und inmitten solch eines Systems erlaubt der Staat nicht nur das Lottospiel, nein, er selbst organisiert dasselbe, wählt es selber zu einer Quelle seines öffentlichen Einkommens und erhebt die Spekulation auf eine der gefährlichsten Leidenschaften  seiner Angehörigen zum Staatsmonopol. Wessen sittliches Bewusstsein sich dagegen nicht sträubt, der wird am Ende auch daran keinen Anstoß nehmen dürfen, wenn irgend eine Staatsregierung, welche im Übrigen die Bordelle verwirft, solche auf Staatskosten eröffnen und damit ihr Einkommen bereichern wollte. Das Hazardspiel ist verboten, das Lottospiel aber ein Staatsmonopol! Gibt es eine unhaltbarere Auffassung?

Wie vieler Opfer wird es noch bedürfen, bevor endlich der Staat das Lotto fahren lassen und auf eine Einnahme verzichten wird, die er nur erreicht durch die Spekulation auf Aberglauben, Gewinnsucht und schlechte Leidenschaften, durch die Gemeinschaft mit Tendenzen, die er zu bekämpfen die Mission hat, und durch die Berührung fast mit dem Verbrechen!

Wie das Urteil, welches der Gerichtshof gestern gegen Markl gefällt hat, eine neue Auflage gegen den Fortbestand des Lotto bildet, so ist es im Besonderen auch eine schwere Anklage gegen die Creditanstalt und deren Verwaltung. (...) Wenn es möglich war, eine fünffache Kontrolle, wie sie vorhanden war, so schlecht zu handhaben, dass jahrelang Markl unentdeckt die kolossalsten Summen unterschlagen konnte, so beweist dies, dass im Organismus und in der Organisation etwas faul ist, und die Enthüllung kommt in desem Augenblicke, wo eine Reform der Anstalt auf der Tagesordnung steht, zu rechter Zeit.

Frauenfrage bereits gelöst?

Große Fortschritte für Frauen bei der Freiheit im Gewerbe, aber die Lohnunterschiede sind gewaltig.

Neue Freie Presse am 10. März 1896

Wenn die Freiheit im Gewerbe einen wesentlichen Teil der Frauenfrage ausmacht, dann ist sie für die große Mehrheit der weiblichen Bevölkerung bereits gelöst. Denn von den 12 Millionen Frauen, welche die Berufszählung 1890 in Österreich gezählt hat, hatten 6,2 Millionen einen bestimmten Erwerb. In Wirklichkeit ist die Beteiligung der Frauen am Erwerbe sogar noch größer, als es danach erscheint.

Zweifellos ist es, dass Frauenarbeit Männerarbeit verdrängt, dass in Erwerbszweigen, in welchen noch vor kurzer Zeit fast ausschließlich Männer tätig waren (zum Beispiel in der Hutmacherei) jetzt Frauen stark beschäftigt werden. Ich glaube aber, dass dies auf einer zunehmenden Differenzierung der Arbeitsverrichtungen beruht, durch Einführung von Maschinen und durch Übergang zum Großbetrieb, wo dann auf bessere Arbeitsteilung gesehen werden kann, dass dann den Männern die feinere, sorgfältigere Arbeit, den Frauen die Bedienung der Maschine und die einfachere Arbeit zugewiesen wird.

Sicher ist jedoch, dass die zunehmende Frauenarbeit indirekt die Männerlöhne drückt, weil sie die Konkurrenz der Männer um die für sie vorbehaltenen Arbeitsgelegenheiten vermehrt. Immer ist aber noch die Männerarbeit beiweitem besser gelohnt als die Frauenarbeit, wie die folgende Übersicht zeigt, die dem statistischen Bericht der niederösterreichischen Handelskammer entnommen und ausgearbeitet ist, auf Grund ihrer Erhebung von Wochenlöhnen in der letzten Augustwoche 1891 für mehrere Tausende von Arbeitern und Arbeiterinnen in Großbetrieben. Es bezogen danach einen Lohn von

Gulden.........  Arbeiter Arbeiterinnen (in Prozent)
weniger als 3     2,2        5,1
3 bis 5             4,4       43,1
5 bis 6             4,5       25,1
6 bis 8            14,0       15,7
8 bis 10          26,9        5,8
10 bis 12        20,7        3,7
12 bis 15        15,9        1,2
15 bis 18         6,4        0,2
mehr als 18       5,0        0,1

Amerikanische Urteile über unsere Politik

Über den Notenwechsel zwischen dem amerikanischen Gesandten in Wien, Herrn Motley und dem US-Staatssekretär Seward, im Zeitraum von Oktober 1863 bis zum November 1864.

Neue Freie Presse am 9. März 1866

Es sind weniger neue Daten, welche diesen Teil des Blaubuches für uns interessant machen, als die eigentümliche Art Mr. Motley's, europäische Ereignisse durch die Yankeebrille zu betrachten und seine Eindrücke in einer so unbefangenen Hinterwäldlersprache wiederzugeben, dass jeder flaumbärtige Attaché von blauem Blute über einen derartigen Mangel an diplomatischer Reserve völlig außer sich geraten würde.

Motley schildert die Zustände in Galizien folgendermaßen: "Der organisierte Meuchelmord, unter Leitung einer unbekannten Autorität, erfüllt die ganze Bevölkerung mit Entsetzen. Wenn auch in Galizien der religiöse Krieg fehlt, der den Kampf in Kongreß-Polen so arg verbittert; wenn auch die illoyale Bevölkerung angeblich nur eine Minderheit bildet; wenn auch die österreichischen Behörden keine jener Ungerechtigkeiten begangen haben, durch welche die russische Regierung die Polen zur Revolte getrieben hat - so liegt doch der Unterschied nur in der Ausdehnung und Intensität des revolutionären Fiebers."

Von diesen Tatsachen ausgehend, gelangt der Gesandte dann zu dem Schlusse: "Mit so viel Gefahren und Abneigung in ihrem eigenen Gebiete, begibt die k.k. Regierung sich wohl kaum allzu leichten Herzens in den Kreuzzug gegen Dänemark. Eine Rationalität im Nordwesten Europas gegen Unterdrückung durch ihren Souverän zu schützen, ist weder die logischste noch die sympathischste Aufgabe für ein Reich, das selbst aus einem Dutzend verschiedener Nationalitäten besteht, von denen viele sich in einem Zustande chronischer Unzufriedenheit befinden und eine durch ihre Rebellion die Anwendung des Kriegsgesetzes notwendig macht. Nichtsdestoweniger scheint Österreich von Tag zu Tag gegen seinen Willen in immer tieferes und tieferes Wasser zu waten."

Anmerkung: Galizien, in der heutigen Westukraine bzw. in Südpolen gelegen, wurde 1804 zum Bestandteil des Kaisertums Österreich erklärt. Von 1867 bis 1918 war es als Königreich Galizien Teil Österreich-Ungarns.

Der amerikanische Gesandte bezieht sich aber auch auf den Deutsch-Dänischen Krieg 1864 zwischen Dänemark und Preußen/Österreich um Schleswig-Holstein. Als dessen Ergebnis erhielt Preußen das Herzogtum Sachsen-Lauenburg und das Herzogtum Schleswig, Holstein fiel hingegen an Österreich.

Im Juni 1866, also nur drei Monate nach Erscheinen dieses Artikels, besetzte Preußen Holstein, weshalb es zum "Deutschen Krieg" kam, in dessen Folge Preußen Holstein annektierte. 1867 wurde aus den besetzten Gebieten schließlich die preußische Provinz Schleswig-Holstein. Die Niederlage bei der Schlacht von Königgrätz im Juli 1866 brachte Kaiser Franz Joseph innen- und außenpolitisch unter Druck. In der Folge musste einerseits Venetien an Italien abgetreten werden, Ende 1867 kam es zudem zum Ausgleich mit Ungarn, also die Umwandlung des Kaisertum Österreichs in die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.

Hitlers Truppen im Rheinland

Deutsche Truppen marschierten in die entmilitarisierte Zone.

Neue Freie Presse am 8. März 1936

Telegramm unseres Korrespondenten, Berlin, 7. März. Zum erstenmal nach Beendigung des Weltkriegs hat heute deutsches Militär seinen Einzug in das Rheinland gehalten, das bis zu einer Breite von fünfzig Kilometer rechts des Rheines nach dem Versailler Vertrag von deutschen Soldaten und deutschen Befestigungsanlagen freigehalten werden mußte. Die Bevölkerung, die von der bevorstehenden Wiederbesetzung der entmilitarisierten Rheinlandzone nicht die geringste Ahnung hatte, war aufs höchste überrascht, als um die Mittagszeit, währen der Rede des Reichskanzlers, plötzlich deutsche Truppenteile aller Art mit Panzerwagen, Flakartillerie usw. auftauchten. In Köln hatten sich große Menschenmassen gestaut, die den Einmarsch der deutschen Truppenteile miterleben wollten. Der Bürgermeister der rheinischen Hauptstadt fuhr den anmarschierenden Truppen entgegen und führte sie über die Hohenzollernbrücke in die Stadt. Im Laufe des Tages wurden auch die anderen Garnisonen im Rheinland und im Saargebiet durch deutsche Truppen unter starker Anteilnahme der Bevölkerung bezogen. Durch die Anordnung der Beflaggung im ganzen Reich und durch die Veranstaltung eines Fackelzuges vor dem Reichskanzler in den heutigen Abendstunden breitete sich über die Reichshauptstadt eine Atmosphäre der Festes- und Siegesstimmung aus.

Anm.: Mit der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes brach Adolf Hitler den Versailler Vertrag von 1919 und den Locarno-Pakt von 1925. Das Ausland reagierte lediglich mit Kritik. Das bestärkte Hitler in der Annahme, man würde seiner Expansionspolitik nichts entgegensetzen.

Wien bekommt ein Modellhaus nach Pariser Vorbild

“Elégance” für die Wiener Damenwelt.

Neue Freie Presse am 7. März 1936

Die prominenten Pariser Couture-Salons - Lanvin, Diolneur, Mainbocher - schaffen ihre Kreationen für die Modehäuser der ganzen Welt. Sie zeigen und verkaufen ihre Schaffungen aber ebenso gern der Privatkundschaft, der solcherart eine unvergleichliche Auswahl zur Verfügung steht. Und diese Auswahl übt - nicht weniger als die Art des Gebotenen - jene Anziehungskraft aus, welche die mondäne Dame aus der ganzen Welt nach Paris bringt. In Wien hingegen gibt es Modellexport und Couture-Salon beinahe einen Trennungsstrich. Ersterer verkauft nicht an die Privatkundschaft, letzterer wieder exportiert nicht… Dadurch entgeht einerseits unserem Modellexport eine nicht hoch genug einzuschätzende Anregung: Der persönliche Kontakt mit der Dame (in diesem Falle mit der Wienerin, der in der Regel modische Begabung geradezu angeboren ist). Die einzelne Kundin anderseits hat nicht jene Auswahl an Modellen, welche für den Export bereitgestellt werden muß. Und damit entgeht ihr unglaublich viel: Denn sehr weite Kreise in aller Welt lieben gerade den eigenen Stil, welchen Wien aus den Pariser Impulsen formt. Die Wiener Linie ist unnachahmlich reizvoll und dabei doch ruhiger als der manchmal extravagante Pariser Originalstil.

Vor etwa einem Monat wurde unter dem Namen “Elégance” Wiener Moden Gesellschaft m.b.H. ein Unternehmen gegründet, welches den oben angedeuteten Mangel in unserem modischen Leben beseitigen wird. Die Wiener Moden Gesellschaft “Elégance” exportiert ihre Modelle in die ganze Welt - und zeigt und verkauft sie, genau wie die Pariser Couture-Salone, auch der Privatkundschaft: Rund 200 Modelle, welche die “Elégance” jede Saison schafft, stehen künftig auch der einzelnen Dame zur Wahl! Wie wir erfahren, wird die Wiener Moden Gesellschaft “Elégance” schon in den allernächsten Tagen ihre Salons in der Kärntnerstraße 32 eröffnen.

Der Papst ruft zum Frieden auf

Das Kirchenoberhaupt will dem “furchtbaren Konflikt, der Europa zerreißt” nicht länger zusehen - und ermahnt die Frauen.

Neue Freie Presse am 6. März 1916

“Osservatore Romano” veröffentlicht folgenden Brief des Papstes an seinen Generalvikar, Kardinal Pompilj, in Rom: “Bei dem furchtbaren Konflikt, der Europa zerreißt, können wir als universaler Seelenhirt nicht gleichgültig verbleiben oder schweigend zusehen, ohne die uns durch die erhabene, von Gott anvertraute Mission des Friedens und der Liebe auferlegten heiligen Pflichten zu verleugnen. Darum bemühten wir uns seit Beginn unseres Pontifikats mit durch das so furchtbare Schauspiel bedrücktem Herzen wiederholt, durch unsere Ermahnungen und Ratschläge die kriegsführenden Völker zur Niederlegung der Waffen zu veranlassen, indem sie ihre Streitigkeiten mittels freundschaftlichen Einvernehmens in der von der Menschenwürde gebotenen Weise beizulegen. Wir haben uns sozusagen mitten unter die kriegsführenden Völker wie ein Vater unter seine kämpfenden Söhne geworfen und sie beschworen, namens jenes Gottes, der die unendliche Gerechtigkeit und Liebe ist, auf die Absicht wechselseitiger Vernichtung zu verzichten.

(...) Leider wurde unsere väterliche Stimme bisher nicht angehört und der Krieg mit allen seinen Schrecken dauert wütend an. Nichtsdestoweniger können und dürfen wir, Herr Kardinal, nicht schweigen. Dem Vater, dessen Söhne in wildem Kampfe stehen, ist es nicht erlaubt, mit Ermahnungen aufzuhören, bloß weil seine Bitten und Tränen erfolglos sind.

(...) Eine besondere Ermahnung richten wir an alle Mütter, Gattinnen, Töchter und Schwestern der Kämpfenden, die im zarten Gemüt lebhafter als alle anderen Personen das ungeheure Unheil des gegenwärtigen entsetzlichen Krieges fühlen und ermessen, damit sie durch ihr Vorbild und ihre milde Macht am häuslichen Herd alle Mitglieder ihrer Familien dazu bringen, fortgesetzte und glühende Gebete zu Gott zu richten und an seinem göttlichen Thron freiwillige Opfer darzubringen, die Gottes gerechten Zorn besänftigen. Es wäre uns sogar sehr lieb, wenn die katholischen Familien aller kämpfenden Völker dieses Liebeswerk ganz besonders an dem Tage ausführen, welcher der Erinnerung des erhabenen Opfers des Gottmenschen geweiht ist, der mit seinem Schmerz alle Söhne Adams erlösen und trösten wollte, die in jener ewig denkwürdigen Stunde seiner unendlichen Liebe sich durch Vermittlung seiner schmerzhaften, aber ungebeugten Mutter, der Königin der Märthyrer, an ihn wandten und so die Gnade erlangten, die Aengste und schmerzlichen Verluste mit Festigkeit und christlicher Ergebung ertragen zu können, und ihn anflehten, einer so langen und furchtbaren Probe ein Ende zu machen.

(...) Zum Schluß erteilen wir, in der Hoffnung, daß an diesem Werke christlichen Mitleids aus zartem Mitgefühl für menschliches Leid und noch mehr aus übernatürlicher Mildherzigkeit, welche die Kinder in demselben himmlischen Vater einigen soll, auch die Familien der neutralen Länder sich beteiligen, Ihnen, Herr Kardinal, und den besagten katholischen Frauen und Familien vom Herzen den apostolischen Segen. Benedikt XV.  

Anmerkung: Von 1914 bis 1922 war Benedikt XV. das Oberhaupt der Katholischen Kirche. L'Osservatore Romano (deutsch: Der Römische Beobachter) ist bis heute die amtliche Tageszeitung des Apostolischen Stuhls.

Panik an der Wall Street

Die New Yorker Börse gleicht einem Tummelplatz von Nervenkranken.

Neue Freie Presse am 5. März 1926

Bereits am Ende der vorigen Woche, als die schweren Senkungen auf dem Getreidemarkte sich auszuwirken begannen, von denen eine ganze Anzahl der ausgesprochenen Farmerbanken stark in Mitleidenschaft gezogen war, sprach man ganz allgemein davon, daß nunmehr auch über die Effektenbehörde der Sturm hereinbrechen müsse. Aber so allgemein diese Vermutung geäußert wurde, bewegten sich die den Banken auferlegten Verkaufslimite doch nur um wenige Punkte unter den letzten Notierungen. Erst in der Nacht von Sonntag auf Montag, als namentlich aus den Weststaaten immer größere Verkaufsorders einliefen, von denen die meisten als drängende Angebote um jeden Preis bezeichnet waren, nahm die Situation einen bedrohlichen Charakter an. (...)

Montagabend war es bereits klar, daß die Situation in eine Katastrophe umschlagen mußte. In der Nacht von Montag auf Dienstag stand die Menschenmenge in der engen Wallstreet dicht gedrängt wie eine Mauer, auf dem nahe gelegenen Platz der Trinity Church, wo einige hundert Autos warteten, übernachteten viele Bankiers und Shareholders in ihren Wagen, laufende Menschen schliefen auf improvisierten Bänken im Freien, für die zwanzig bis dreißig Dollar bezahlt wurden, ein höherer Preis als für ein Appartement in einem erstklassigen Hotel. Niemand wollte von der Stelle wichen, denn tatsächlich währte die fliegende Börse im Freien die ganze Nacht, und wie glaubwürdig mitgeteilt wird, wurden hierbei mehr als 200.000 Effekten umgesetzt. Die Börseneröffnung am Dienstag vollzog sich bereits im Zeichen einer ausgesprochenen Panik. Blaß und übernächtig nahmen die Makler ihre Plätze ein, Leute,die bereits seit Tagen kein Auge geschlossen und Tag und Nacht in fieberhafter Tätigkeit angespannt waren. Kaum war das offizielle Zeichen zum Börsenbeginn gegeben worden, als der Tumult losbrach, man schrie, tobte, rief Zahlen in die Luft, in wenigen Minuten waren ganze Vermögen zerstampft. Um halb 12 Uhr mittags glich die Börsehalle einem Tummelplatz von ausgesprochenen Nervenkranken.

(...) Bereits am Dienstag abend war klar, daß die Verluste in den letzten vierundzwanzig Stunden in viele hunderte Millionen Dollar gingen, waren doch in zwei Vormittagsstunden allein Beträge in den Abgrund gerissen worden, die dem Gesamtwerte der außerordentlichen Renumerationen gleichkamen, die zu den heurigen “Dollarweihnachten” an die Angestellten verteilt worden waren.

Anm: Die New Yorker Börse erholte sich wieder - der ganz große Crash kam am 24. Oktober 1929 (“Black Thursday”).

Strafe wegen “feindlicher” Modezeitschriften

Buchhändler verkauften verbotene periodische Druckschriften aus dem Ausland.

Neue Freie Presse am 4. März 1916

Vor dem Bezirksrichter Dr. Decker des Bezirksgerichtes Josefstadt waren heute die Chefs dreier Buchhandlungsfirmen, nämlich Karl v. Hölzl, der Wallishauserschen Buchhandlung, der Firma Hugo Heller & Co und zwei Zeitungsverschleißer (Zeitungshändler, Anm.) wegen Übertretung des Pressegesetzes angeklagt, weil sie verbotene periodische Druckschriften, und zwar Modezeitungen aus dem feindlichen und neutralen Auslande, bezogen und hier vertrieben haben. Auf Grund einer Anzeige des Hauptzollamtes hatte das Kriegsüberwachungsamt bei einem der Angeklagten eine Hausdurchsuchung vornehmen lassen und dabei verbotene Modezeitungen französischen und amerikanischen Ursprunges vorgefunden. Da die Frau eines Angeklagten angab, daß derlei Zeitschriften auch in den Buchhandlungen der übrigen Angeklagten vertrieben werden, wurden auch dort Hausdurchsuchungen vorgenommen, die beanstandeten Zeitungen beschlagnahmt und auch die übrigen Personen angeklagt. (...) Der Richter verurteilte die drei Buchhändler zu je zwanzig Kronen Geldstrafe, die Verschleißerin Rosa Maier zu 10 Kronen. DasVerfahren gegen den fünften Angeklagten Gottfried Fuchs wurde ausgeschieden, da er derzeit eingerückt ist.

Polizeistunde in Budapest

Zwischen 1 Uhr und 5 Uhr dürfen Lokale nicht geöffnet sein.

Neue Freie Presse am 3. März 1916

Aus Budapest wird uns berichtet: Der Minister des Inneren hat einen Erlaß herausgegeben, durch den er verbietet, daß Unterhaltungslokale, Gasthäuser, Schankgeschäfte oder ähnliche Geschäfte, Automatenbüfetts und Bars uvm. über 1 Uhr nach Mitternacht offen gehalten werden. Die Polizeibehörde kann diese Sperrstunde auch ausnahmsweise nicht verlängern. Die angeführten Lokale dürfen nicht vor 5 Uhr früh geöffnet werden. Von dieser Bestimmung kann die Lokalbehörde den lokalen Verhältnissen entsprechend bei begründeten Fällen eine Ausnahme gestatten. Diese Bestimmungen beziehen sich nicht auf die Eisenbahnrestaurationen, weil deren Offenhaltung im Interesse des reisenden Publikums geboten erscheint. Zuwiderhandelnde erhalten eine Arreststrafe bis zu zwei Monaten und eine Geldstrafe bis 600 K. Diese Verordnung tritt am 16. März in Kraft.

Der Kampf um den Schulferienbeginn

Die Zeitung schreibt über "das kleine Österreich, diesen armseligen Staat" und das Los deutscher Minderheiten.

Neue Freie Presse am 2. März 1926

Der vor einigen Wochen veröffentlichte Erlaß der Unterrichtsverwaltung, der für die Schulen aller Grade die Sommerferien zwischen dem 15. Juli und 15. September verlegt, hat, wie zu erwarten war, in der Bevölkerung einen lebhaften Widerhall hervorgerufen. Insbesondere in Wien besteht seit Jahrzehnten ein lebhafter Kampf, ob es für die Kinder vorteilhafter wäre, daß die Ferien schon am 1. Juli beginnen, daß sie also in der ersten Hälfte des Hitzemonats nicht mehr an die Schule und an den Aufenthalt in Wien gebunden sind, während dem gegenüber geltend gemacht wird, daß am 31. August nicht immer schon von einem Sommerende gesprochen werden könne.

Nun hat der letzte Erlaß ohne Anführung von sachlichen Gründen den Experimenten der letzten Jahre ein Ziel gesetzt und will zu einem Zustande zurückkehren, wie er früher einmal durch Jahrzehnte bestanden hat. Der Bezirksverband der Elternvereinigungen an Volks- und Bürgerschulen des achten Bezirkes hat nun Eltern und Elternräte zu einer Besprechung eingeladen, die sich entschieden gegen die Neuordnung aussprach, da schon erfahrungsmäßig die ersten Julitage von Hitzewellen begleitet sein können und weil vor allem für das flache Land, auf das dieser Erlaß Bezug nimmt, ganz andere Standpunkte der Beurteilung angewendet werden müssen als für Wien. Die Elternschaft forderte daher sowohl im Interesse des ersprießlichen Fortganges im Schulunterricht wie aus gesundheitlichen Belangen die Vorverlegung des Ferienbeginnes auf den ersten Juli und forderte alle gleichgesinnten Eltern zur Bekräftigung des Protestes auf, sich dem Schritt des Bezirksverbandes für den achten Bezirk anzuschließen.

In den verschiedenen Elternvereinigungen wurde die Frage nun erörtert, und man hörte auch die Meinung vertreten, daß für die Neuordnung politische Gründe maßgebend gewesen seien. Der Wiener Stadtschulrat habe nämlich dem Unterrichtsministerium die Dauer der Ferien zwischen 1. Juli und 31. August vorgeschlagen, und man vermute, daß mit Rücksicht auf den politischen Gegensatz zwischen Stadtschulrat und Unterrichtsministerium dieser Vorschlag abgelehnt worden sei.

Anmerkung: Bis heute werden die Ferientermine in Österreich vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur festgelegt. Die „großen Ferien“, wie die neunwöchigen Sommerferien auch genannt werden, sind in Österreich in zwei Gruppen gestaffelt: In Wien, Niederösterreich und Burgenland beginnen sie in der ersten Juliwoche, in den übrigen Ländern um eine Woche später. Die Staffelung wurde 1974 eingeführt.

Phantasien über Aufteilung Österreichs

Die Zeitung schreibt über "das kleine Österreich, diesen armseligen Staat" und das Los deutscher Minderheiten.

Neue Freie Presse am 1. März 1926

Man soll es nicht für möglich halten: Selbst das kleine Österreich, dieser armselige Staat, der mit so viel Sorgen zu kämpfen hat, reizt den unersättlichen Appetit gewisser Kreise. Immer wieder werden Gerüchte über Aufteilungspläne verbreitet, über die man freilich mit einem bitteren Lächeln zur Tagesordnung übergehen könnte, wenn unsere Zeit nicht so voll von Wahnsinn wäre und wenn nicht alles eher Aussicht auf Berücksichtigung hätte als das Vernünftige. Dieser Tage hat wieder das Blatt des Abgeordneten Dr. Kramarz seiner Phantasie die Zügeln schießen lassen und darüber Betrachtungen angestellt, wie man sich angeblich die Zerstückelung unseres Landes denke.

Der Artikel trug die geschmackvolle Aufschrift: "Wohin damit?" und zählte fein säuberlich auf, welche Gebiete die einzelnen Nachbarn Österreichs zugewiesen erhalten sollen. Allerdings musste die tschechische Zeitung das Groteske des Aufteilungsplanes einsehen und sie machte deshalb die Einschränkung, dass sie an das wirkliche Vorhandensein der geschilderten Absichten nicht glaubt. Wozu aber werden solche Nachrichten in die Welt gesetzt, wozu verbreitet man geschäftig eine revidierte Karte des neuen Europa, wenn man sich bemüßigt fühlt, in einem Atem die eigenen Mitteilungen als unglaubwürdig hinzustellen? Die Erklärung kann wohl nur in dem Bedürfnisse gefunden werden, Unruhe zu stiften und vielleicht auch Gehässigkeiten zu erzeugen. Wir meinen jedoch, dass es in der Welt bereits genug Zündstoff gibt und dass es wahrlich nicht notwendig ist, die Reizungen künstlich zu vermehren.

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