Wachablöse: Wenn der Genosse Vorsitzender geht

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Seit dem Jahr 1945 hat die SPÖ erst acht Parteichefs „verbraucht“. Nicht immer war das Ende einer Ära harmonisch – ganz im Gegenteil.

Das Ende der „Ära Faymann“ als SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler hatte sich zwar schon länger abgezeichnet, trotzdem kam es dann am Montag überraschend. Nach all den massiven Rücktrittsaufforderungen konnte Werner Faymann Freund und Feind mit seinem spontanen Entschluss doch noch verblüffen. In der Sozialdemokratischen Partei hat es schon ganz andere Abschiede eines Vorsitzenden gegeben als jenen des Jahres 2016.

Als im April 1945 – nach der Einnahme Wiens durch die Rote Armee – die Sozialistische Partei gegründet werden sollte, fehlte der logische Parteiobmann, Karl Seitz. Der alte Herr, einst der erste Bundespräsident nach 1919, später Bürgermeister von Wien und letzter Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei bis 1934, war noch nicht aus der KZ-Haft zurückgekehrt. Er sollte erst später schwer krank nach Wien heimkehren.

Die Geschäfte führte indessen der 55-jährige Rechtsanwalt Adolf Schärf. Im Wiener Rathaus, das vom Bombenhagel verschont geblieben war, pendelte Schärf tagelang zwischen zwei Salons hin und her, um die ehemaligen Sozialdemokraten und die Revolutionären Sozialisten der Zwischenkriegszeit zu einer einzigen Partei vereinigen zu können. Am 14. April glückte es endlich. Die SPÖ war geboren. Im „Roten Salon“.

Schlüsselfigur Adolf Schärf

So wurde Adolf Schärf nicht nur Mitunterzeichner der Unabhängigkeitserklärung Österreichs, gemeinsam mit Leopold Figl von der ÖVP und Johann Koplenig von den Kommunisten. In mehreren Koalitionsregierungen diente er als Vizekanzler, denn inzwischen war er auch zum Parteichef gewählt worden. Karl Seitz trug die Würde eines Ehrenvorsitzenden bis zu seinem Tode 1950.

Schärf blieb Parteichef, auch als er im Mai 1957 als Nachfolger des verstorbenen Theodor Körner zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Ein Unikum: Erst zwei Tage danach legte er seine Parteiämter und auch das Mitgliedsbuch zurück.

Helmer oder Pittermann?

Ein neuer Parteivorsitzender war zu wählen. Da gab es zwei Anwärter. Logischer Favorit wäre der populäre Innenminister Oskar Helmer gewesen, aber mehr Wind machte der witzige und schlagfertige Klubobmann Bruno Pittermann (52). Der gelernte Mittelschullehrer und Jurist lieferte sich legendäre Rededuelle mit Hermann Withalm von der ÖVP, während Helmer eine ausgleichende Rolle in der Koalitionsregierung mit den „Schwarzen“ spielte. Am 8. Mai 1957 erkor ein Parteitag also Pittermann zum neuen Chef. Ohne jede Diskussion war dies mit der Funktion des Vizekanzlers verbunden.

Heute ist das Bild Pittermanns in der Erinnerung unscharf, meistens überstrahlt von seinem Nachfolger, Bruno Kreisky. Aber Pittermann war anfangs durchaus erfolgreich. Seine SPÖ konnte am 10. Mai 1959 erstmals die Volkspartei an Stimmen überflügeln. Allein die Wahlarithmetik verschaffte der ÖVP um ein Abgeordnetenmandat mehr. So blieb es beim Vizekanzler. Immerhin aber hatte Pittermann eine gute Verhandlungsposition: Das Außenministerium fiel an die SPÖ. Und der bisherige Staatssekretär Kreisky ersetzte Leopold Figl.

Olah, Habsburg, Wahlniederlage

In den Turbulenzen der Sechzigerjahre hingegen machte Bruno Pittermann als ewiger Juniorpartner eine wenig glückliche Figur. Die hysterische Agitation gegen eine allfällige Heimkehr des Kaisersohnes Otto von Habsburg, die fast tödliche Parteikrise um Franz Olah, der an die Macht drängte, die Reformunwilligkeit, was den Proporz im staatlichen Rundfunk betraf – all dies hatte Pittermann an der Parteispitze zu verantworten. Und als 1966 die SPÖ katastrophal abstürzte, war klar, dass sich Pittermanns Tage dem Ende zuneigten.

Doch was war zu tun? Wie sollte man einen verdienten Parteiführer absägen, der sich kaum einsichtig zeigte? Das Parteiorgan „Arbeiter-Zeitung“ unter der Chefredaktion Franz Kreuzers initiierte eine „Zukunftsdiskussion“, die Genossen Norbert Leser und Ernst Koref brachten erstmals den Namen von Bruno Kreisky (55) als Anwärter ins Spiel. All dies zum großen Verdruss des Apparats, den Pittermann immer noch meisterhaft beherrschte.

Czettel versus Kreisky

1967 war das Spiel vorbei. Der große alte Mann mit der meisten Reputation, Karl Waldbrunner, sollte an die Spitze treten. Doch er schlug das Angebot aus gesundheitlichen Gründen aus. In letzter Not zauberten die Gewerkschafter den amtierenden Innenminister Hans Czettel aus dem Hut, der aber eine Kampfabstimmung auf dem Sonderparteitag 1967 ablehnte. Dass er damit der Partei einen guten Dienst erwies, sollte erst später bekannt werden: Kleine Jugendsünden während der NS-Zeit hätten wohl kein gutes Bild auf einen sozialistischen Parteiführer geworfen.

Pittermann musste sich ins Unvermeidliche fügen, der strahlende Sieger Bruno Kreisky gewann die Nationalratswahl 1970 und beschwichtigte den verdienten Vorgänger mit dem Posten des Klubobmanns. Traurig vertraute Pittermann einmal der „Presse“ an: „Das Ende der Ära Kreisky wird fürchterlich sein.“ Versöhnt waren sie also nicht. Kreisky tat ein Übriges, um den Alten in die Pension zu schicken: Der Parteitag beschloss ein Alterslimit für Neukandidaturen, so durfte Pittermann 1971 nicht mehr antreten. Das Alterslimit blieb in den Statuten, Kreisky übersah dies völlig unbeeindruckt, als für ihn die Zeit gekommen wäre . . .

Kreisky ohne Nachfolger

Dass es 1983 nach Götterdämmerung aussehen würde, war schon lang vor dem Rücktritt Kreiskys zu ahnen. Mit dem Hinauswurf seines früheren Ziehsohns Hannes Androsch aus dem Regierungsteam 1980 hatte den alten kranken Mann das Glück verlassen. Plötzlich stand er ohne logischen Nachfolger da und quälte sich nochmals in einen Persönlichkeitswahlkampf. Als „Die Presse“ vor der Wahlniederlage (die ja nur eine kleine war, immerhin behielt Kreisky die relative Mehrheit) titelte, dass Karl Blecha Parteiobmann werden könnte, war Feuer am Dach. Kreisky wütete, der Unglücksbote in Gestalt des „Presse“-Redakteurs wurde ins Parlament zitiert, dort musste Blecha all seine Ambitionen sofort dementieren, die er tags zuvor geoffenbart hatte. Dabei wäre das Arrangement durchaus sinnvoll gewesen. Kreisky aber – krank und sehr reizbar – wollte autonom entscheiden.

Und so entschied er nach der Wahl 1983 – falsch. Er zwang Fred Sinowatz das Kanzleramt und den Parteivorsitz auf, arrangierte mit FPÖ-Obmann Friedrich Peter eine rot-blaue Koalition, was ständige Spannungen zwischen diesen ungleichen Partnern zur Folge hatte.

Sturmtief aus Mallorca

Und der abgetretene Parteiführer tat ein Übriges. Aus der Armbrustergasse oder aus Mallorca feuerte er ständig böse Interview-Salven gegen seine Epigonen ab, die er allesamt als unfähig abqualifizierte. Ein Fressen für die Zeitungen, eine Qual für die Akteure, die lang stillhielten, weil Kreisky immerhin Ehrenvorsitzender der Partei war.

1986 war die Qual – wenigstens für Sinowatz – vorbei. Im Gefolge des Waldheim-Wirbels (in den sich der Kanzler aus Parteiräson verstrickt hatte) trat Sinowatz zunächst vom Kanzlerposten zurück, nach einem Jahr auch als Parteichef. Immerhin konnte er noch selbst den Nachfolger bestimmen, nämlich Franz Vranitzky. Dass dieser mit der Volkspartei eine rot-schwarze Koalition einging und seinem Vizekanzler, Alois Mock, das Außenamt überließ, erboste Kreisky derart, dass er den Ehrenvorsitz zurücklegte und dem Parteiarchiv einen bitterbösen Beschwerdebrief übersandte, der dort heute noch eingesehen werden kann.

Die lange Ära Vranitzky

Den früheren Bankmanager Vranitzky irritierten derlei Querschläger kaum. Er behielt in der Partei und am Ballhausplatz das Heft in der Hand, manövrierte das Land während Waldheims Präsidentschaft geschickt durch alle Untiefen. Selbst die Linken in der Partei, zutiefst misstrauisch wegen Vranitzkys Pragmatismus, hielten still. Dessen Antifaschismus war nämlich die einigende Klammer.

1997 ging Vranitzky nach zehn Jahren Kanzlerschaft aus eigenem Entschluss von Bord. Er müsse jetzt endlich die Weinflaschen in seinem Keller zählen, scherzte er. Und erkor ohne wesentlichen Widerspruch seinen Finanzminister, Viktor Klima, zum Nachfolger. Aus Kreiskys trauriger politischer Endzeit hatte er Wichtiges gelernt: Er enthielt sich in der Pension jeglicher Kommentare aus der „Muppet-Loge“.

Der frühere OMV-Manager Klima tat sein Bestes, konnte jedoch die Seele der Partei nicht wirklich erreichen. Die Partnerschaft mit der ÖVP unter dem besserwisserischen Vizekanzler Schüssel gestaltete sich unbehaglich – auch für das Land. Die EU-Ratspräsidentschaft absolvierte man aneinandergekettet nolens volens mit Anstand, doch 1999 ging man getrennte Wege.

Klima gab entnervt auf

Schüssel hatte vor der Nationalratswahl angedroht, Oppositionsführer zu werden, sollte seine Partei nur drittstärkste Fraktion werden; nachdem das eingetreten war, entnervte er den Bundespräsidenten Klestil und sein Verhandlungsgegenüber Klima, bis dieser aufgab. Während Schüssel mit Jörg Haiders Hilfe Bundeskanzler wurde, ging die Suche nach einem Klima-Nachfolger in der SPÖ los. Der linke Flügel favorisierte den adeligen schöngeistigen Wissenschafts- und Verkehrsminister Caspar Einem; die rechte, pragmatische Schwinge hätte lieber Innenminister Karl Schlögl gesehen. Die Kluft war nicht zu überbrücken.

Notlösung Gusenbauer

Statt dass Heinz Fischer damals zugegriffen hätte, suchte man verzweifelt nach einer Notlösung. Kantiger Oppositionsführer – das wäre nicht nach dem Geschmack Fischers gewesen. So kam der frühere Juso-Chef und frischgebackene Bundesgeschäftsführer Alfred Gusenbauer zum Zug. Er schaffte sogar den Sprung ins Kanzleramt, verspielte aber seinen Kredit bei den Genossen recht bald, sodass ihn Michael Häupl vom Spielfeld nehmen musste. Durch die Schachfigur Werner Faymann hatte sich der Bürgermeister den einzigen Stadtrat vom Hals geschafft, der unverhohlen die Nachfolge im Rathaus anstrebte. Im Nachhinein ist man stets gescheiter: Wahrscheinlich wäre dies für beide Teile die bessere Lösung gewesen – für Faymann und für Michael Häupl.

Nächsten Samstag:
Ein anderes „Haus der Geschichte“ – Das 125-Jahr-Jubiläum des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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