Die Welt bis gestern

Gut gemeint ist auch schlecht getan

Durchhaltepropaganda war Sache des Kriegspressequartiers.
Durchhaltepropaganda war Sache des Kriegspressequartiers.(c) Privat
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April 1917. Karl I. von Österreich-Ungarn wollte ein Friedenskaiser sein – doch all seine Versuche gingen kläglich schief. Die christliche Milde gegenüber den kämpfenden Soldaten wurde ihm von den Militärs als Schwäche ausgelegt.

Die Strafen für Österreich-Ungarns Soldaten während des Ersten Weltkriegs waren gefürchtet. Seit jeher galt bei Insubordination die Praxis des „Anbindens“: Dem gemeinen Soldaten wurden die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden, und dann wurde der Körper an den Armen hochgezogen, das qualvolle Auskegeln der Schultern war einkalkuliert. Maximaldauer: zwei Stunden.

Aber auch das Schließen in Spangen war eine Marter: Für höchstens sechs Stunden wurden dem Mann die rechte Hand und der linke Fuß aneinandergekettet. Nur der einfache Soldat durfte solcherart bestraft werden. Auch die Prügelstrafe gab es selbstverständlich, wenn auch inoffiziell.

Wir halten in unserer Schilderung des Ersten Weltkriegs nun im April 1917. Vor genau hundert Jahren wollte der neue Kaiser Karl ein Zeichen seines guten Willens setzen: Er verbot mit sofortiger Wirkung diese grausamen Bestrafungsarten (später musste er das Dekret wieder rückgängig machen).

Was Karl gut gemeint hatte, wurde überhaupt nicht honoriert, schreibt Manfried Rauchensteiner in seinem Standardwerk über den Ersten Weltkrieg (Böhlau, 2013). Denn wie, so fragten sich die Truppenführer, solle dann ein renitenter Bursche zur Räson gebracht werden? Der Arrest – so vorhanden – wurde ja von vielen Aufsässigen geradezu provoziert. Der seit November 1916 regierende Monarch entbehrte nach so wenigen Monaten des wichtigsten Faktors, der eine Apostolische Majestät erst ausmacht: Autorität.

„Karl der Plötzliche“

„Der Eindruck von einem liebenswürdigen, jungen, frischen, besonders höflichen und zuvorkommenden Kaiser und König wurde dahingehend ergänzt, dass seine Unstetigkeit und Sprunghaftigkeit kritisiert wurden, seine Unpünktlichkeit und vor allem die Art, aufgrund seiner vielen Besuchsreisen die Monarchie gewissermaßen vom Zug aus regieren zu wollen“, sagt Rauchensteiner. Jede Maßnahme sei gut gemeint und für sich genommen auch richtig gewesen. Trotzdem herrschte rundum Unruhe.

Auch die Entscheidung Karls, dem Armeeoberkommando Kompetenzen wegzunehmen und höchstselbst die unmittelbare Verantwortung für alle militärischen und politischen Fragen zu übernehmen, fand geteilte Aufnahme. Der Schritt wurde begrüßt, abgelehnt, diskutiert, als zu spät, als falsch, zu weitreichend oder ungenügend kritisiert. „Es war eben nicht leicht, Friedensfürst und Oberster Kriegsherr zu sein“, formulierte der spätere Direktor des Kriegsarchivs, Edmund Glaise-Horstenau.

Dabei strebten sowohl der junge Kaiser als auch seine resolute Gemahlin, Zita, doch nur Milde an. Aber selbst die Anordnung, dass Väter von sechs oder mehr unversorgten Kindern nicht der „ständigen feindlichen Einwirkung“ ausgesetzt werden sollten, wurde kritisiert: Warum ausgerechnet sechs Kinder?

Was die Zivilbevölkerung und die Militärs in die Person des jungen Kaisers gern projiziert hätten, das konnte ihnen Karl nicht bieten: Die Unantastbarkeit der Herrscherperson, die hoch über den Dingen steht. „Karl der Plötzliche“, spottete man im Armeeoberkommando. Nicht nur das: Man mokierte sich über die Kaiserin aus dem Hause Bourbon-Parma, die sich einfach das Recht herausnahm, bei hochpolitischen Konferenzen mit Militärs und Diplomaten in der Ecke zu sitzen und zuzuhören. Dass zwei ihrer Brüder in der feindlichen belgischen Armee dienten, kreidete man ihr an; dass ein weiterer Bruder – Elias – sehr wohl in der k.u.k. Armee gedient hatte und 1916 getötet wurde, das vergaß man gern.

Um die üblen Gerüchte (Trunksucht, sexuelle Ausschweifungen) zu stoppen, wurde im Februar 1917 ein „Pressedienst für die Allerhöchsten Herrschaften“ eingerichtet.

Aber auch das verhinderte weitere Kritik keineswegs. Als Karl einen Amnestieerlass für politische Delikte verkündete, brachen sich der aufgestaute Unmut und Spott erst recht Bahn. Denn das kaiserliche Handschreiben an Ministerpräsident Ernst v. Seidler lautete wie folgt: „Ich erlasse den Personen, die von einem Zivil- oder Militärgericht wegen einer der folgenden im Zivilverhältnisse begangenen strafbaren Handlung verurteilt sind, die verhängte Strafe: Hochverrat, Majestätsbeleidigung, Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses, Störung der öffentlichen Ruhe, Aufstand, Aufruhr. Ich wähle den heutigen Tag, an welchem Mein innigstgeliebter ältester, durch Gottes Gnaden Mir geschenkter Sohn die Feier seines heiligen Namenspatrons begeht. So führt die Hand eines Kindes, welches berufen ist, dereinst die Geschicke Meiner Völker zu leiten, Verirrte ins Vaterhaus zurück.“ Man spottete über die „Hand des Kindes“, die als Karls eigene und nicht die des Kronprinzen Otto verstanden wurde.

Auch das ging also schief. Graf Ottokar Czernin von und zu Chudenitz, immerhin Außenminister und Minister des kaiserlichen und königlichen Hauses, war nicht gefragt worden. Er bot seinen Rücktritt an. Der wurde nicht angenommen. Das Spiel wiederholte sich mehrmals.

Und die Tschechen wetterten im Abgeordnetenhaus dagegen, obwohl tausend ihrer Landsleute dadurch pardoniert wurden. Deutschösterreichische Kreise sahen in der Amnestie eine Bestätigung dafür, „dass ihre der Dynastie anhängende Treue immer wieder enttäuscht, die staatsgefährliche Haltung der Slawen dagegen belohnt wird“. Rauchensteiner: „Was ein Beispiel hätte sein sollen und ein besonderes Zeichen der Versöhnung, wurde lediglich als unglückliche Geste eines unerfahrenen und verängstigten Monarchen verstanden.“

In der Osterausgabe von Chiavaccis „Wiener Bildern“ erfahren wir weniger Hochpolitisches. Im Gisela-Appartement der Hofburg zu Wien etwa empfing Kaiserin Zita eine Abordnung des Husarenregiments Nr. 16. Der Kaiser hat nämlich kürzlich „seiner hohen Gemahlin das 16er-Husarenregiment verliehen, und mit berechtigtem Stolze führen diese tapferen Krieger nun den erlauchten Namen ihrer Oberstinhaberin.“ Ordentlich adjustiert, präsentierten sich der Oberst v. Horvath, der Major v. Brennerberg, der Rittmeister v. Szentkiralyi, der Oberleutnant v. Pauli sowie ein namenloser Wachtmeister und ein Zugsführer. Sie überreichten ihr das Regimentsabzeichen, natürlich ein ganz besonderes, nämlich mit Brillanten geziert, von einem Lorbeerkranz umgeben und einem großen „Z“ überragt. Die hohe Frau dankte bewegt . . .

Enver Pascha in Baden

Am gleichen Tag kam in Baden bei Wien Enver Pascha, der türkische Kriegsminister und Vizegeneralissimus, zur Audienz bei Kaiser Karl. Von allen Kreisen der Bevölkerung sei er mit huldigender Sympathie aufgenommen worden, berichtet uns das Blatt. Am Abend musste der osmanische Verbündete den „Liebestrank“ von Donizetti über sich ergehen lassen, tags darauf ein Diner im Augartenpalais, das Erzherzog Max, des Kaisers Bruder, gab. Dann durfte er am Nordbahnhof den Balkanzug besteigen.

Fünf Tage dauerte ein Sensationsprozess in Wien wegen Preistreiberei bei Bier, Rum, Himbeersaft und Marmelade. Die Angeklagten waren nicht irgendjemand, sondern der Exchef der Depositenbank, Josef Kranz, sein Direktor, Richard Freund, der Holzhändler Eisig Rubel, der Kaufmann Fritz Felix und die Agenten Norbert Perlberger und Leo Schwarzwald. Da auch das Bankhaus M. & L. Reitzes verwickelt war, ist der antisemitische Ton im Gerichtssaalbericht unüberhörbar. Die Strafen mit bis zu neun Monaten Haft und Geldbuße waren drakonisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2017)

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