Tschechien: Erbitterter Streit um historisches Erbe

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Die Feiern zum 20. Jahrestag des Sturzes der KP werden von einer alten Feindschaft überschattet: Die zwischen dem Ex-Schriftstellerpräsidenten Václav Havel und seinem Nachfolger Václav Klaus .

Um die St.Anna-Kirche in Prag macht der tschechische Präsidenten Václav Klaus immer einen großen Bogen: Denn das Gotteshaus ist heute ein Begegnungszentrum – umgebaut wurde es von der Stiftung seines Vorgängers im Präsidentenamt, Václav Havel. Hierhin lädt der Ex-Präsident regelmäßig hochrangige Freunde aus dem Ausland ein, um mit ihnen über seine Lieblingsthemen zu debattieren: wie moralisch und sittlich die Politik sein müsse und wie wenig sie es tatsächlich sei.

Das sind nicht die Themen, die Václav Klaus beschäftigen. Er ist ein Pragmatiker mit einem ausgeprägten Machtinstinkt. Vor allem aber ist er von sich selbst überzeugt. Klaus brauche keine Diskussionspartner, sagen Menschen, die den Präsidenten gut kennen. Er wisse ohnehin alles immer selber. Dazu ein Kritiker: Klaus halte die Tatsache, dass er nicht Gott sei, für ein Versehen.

So hat der Präsident bisher auch noch nie Havels Kirche betreten – bis zum vergangenen Wochenende: Havel hat dort mit 500 Freunden und Künstlern wie Joan Baez, Lou Reed oder Renee Fleming den Beginn der Samtenen Revolution vor 20 Jahren gefeiert. Auch Klaus hat eine Einladung bekommen. Absagen konnte er nicht. Als der Staatschef von Havel angekündigt wurde, gab es einige „Pfui“- und „Schande“-Rufe aus dem Publikum. Klaus überhörte diese. Seinem Rivalen streute er Rosen: Wenn jemand mit den Ereignissen von vor 20 Jahren verbunden sei, dann Havel. Er wolle ihm „für all das danken, was er für die Freiheit der Tschechen“ getan habe, pries er seinen Erzfeind.

Zu einem versöhnlichen Händedruck der beiden Václavs kam es aber nicht.

Macht der „normalen“ Bürger

Dass sich die beiden nicht mögen, hat auch historische Gründe: Klaus arbeitete während der Samtenen Revolution beim „Prognostischen Institut“ der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. Vor allem interessierte er sich für die Marktwirtschaft. Von den Barrikaden hielt er sich fern. Dort protestierten Havel und andere Dissidenten gemeinsam mit Studenten.

Vor fünf Jahren brach Klaus eine Debatte darüber vom Zaun, wer die Grundlagen für die Revolution gelegt habe. Seiner Meinung nach waren es „normale“, nicht besonders engagierte Bürger: Leute wie er. Havel reagierte empört. Diese Interpretation wiederholte Klaus unlängst während einer US-Reise. Klaus machte trotz seines mangelnden Politengagements schnell Karriere. Bereits 1992 wurde er Premier. Denn er hatte etwas, was die Dissidenten nicht hatten: einen Plan, wie man das Land wirtschaftlich umkrempeln müsse. Havel freilich hat sich die neue Gesellschaft ganz anders vorgestellt. Bis heute beklagt er, dass der Transformation die moralische Komponente gefehlt habe. Wie früher werde auch heute noch immer „gestohlen“, und wer das kritisiere, werde ausgelacht. Klaus kann mit solchen Ansichten gar nichts anfangen. Er kenne kein schmutziges Geld, hat er Anfang der 1990er-Jahre den Leuten vorgehalten, die seinen Reformkurs kritisiert haben.

Wie groß die Feindschaft zwischen Havel und Klaus nach wie vor ist, wird auch im neuesten Buch des Präsidenten deutlich: Im heutigen Tschechien gebe es keine politischen Ideen mehr, kritisiert der Präsident. Und diese „Leere“ drohe von einer Ideologie ausgefüllt zu werden, die ähnlich gefährlich sei wie seinerseits der Kommunismus: dem „Havelismus“. Havel konterte mit einer TV-Rede. Darin gab er zu verstehen, wie er sich sein Land in 20 Jahren wünschen würde. Ohne den Namen von Klaus auch nur zu erwähnen, rechnete er erneut mit dem Kurs seines Nachfolgers auf der Prager Burg ab: Er wünsche sich, dass die Zivilgesellschaft ausgebaut werde. Die Zivilgesellschaft gehört übrigens zu den Lieblingsfeindbilder von Präsident Václav Klaus.

Öffentlich punkten konnte im Havel-Klaus-Match bisher vor allem der Ex-Schriftstellerpräsident: 40 Prozent halten ihn für die „prägende Figur der vergangenen 20 Jahre“ – über Klaus sagten das nur zwölf Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2009)

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