Die wählende Frau, das unbekannte Wesen

Symbolbild: Das Historische Museum Frankfurt am Main widmet der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren eine Sonderausstellung
Symbolbild: Das Historische Museum Frankfurt am Main widmet der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren eine Sonderausstellung(c) imago/epd (Thomas Rohnke)
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Vor 100 Jahren durften Frauen in Österreich erstmals wählen und gewählt werden. Der Weg dorthin war ein äußert steiniger. Heute beträgt der Frauenanteil im Nationalrat 37,2 Prozent - und ist damit so hoch wie nie zuvor.

"Den höchsten Kurswert auf dem neu eröffneten politischen Markt besitzt gegenwärtig unzweifelhaft die große Masse der nunmehr wahlberechtigten Frauen. Alle diejenigen, denen die Sorge um die stetige friedliche Entwicklung unserer jungen, freiheitlichen Staatsbildung am Herzen liegt sowie diejenigen, denen die Republik die günstige Konjunktur für die Erwerbung eines Abgeordnetenmandates zu bieten scheint, stehen jetzt vor der bedeutungsvollen Frage: 'In welchem Sinne werden die Frauen ihr Wahlrecht ausüben?' – eine Frage, bei der sehr oft übersehen wird, daß die Frau nicht nur als Wählerin, sondern auch als Mandatswerberin die politische Arena betritt."

Diese Zeilen stammen aus der "Neuen Freien Presse" vom 24. November 1918 - und sie machen auf einen Umstand aufmerksam, der die Welt der Frauen, der Männer und der Politik als Ganzes verändern sollte: jahrzehntelang hatten Frauen in Europa dafür gekämpft - die Einführung des Frauenwahlrechts. Nach dem offiziellen Beschluss im Herbst 1918 durften Frauen schließlich am 16. Februar 1919 erstmals wählen und selbst gewählt werden. Ein Umstand, der bei den Politikern Nervosität hervorrief, konnte man das unbekannte Wesen Frau schließlich nicht einschätzen. Wo würden die Frauen ihr Kreuzerl machen?

Die Antwort: Die Sozialdemokraten erreichten mit 72 Mandaten die relative Mehrheit. Die Christlichsozialen kamen auf 69 Mandate. Zusammen bildeten sie bis 1920 eine Regierungskoalition.

Frauenanteil so hoch wie nie

Heute, 100 Jahre später beträgt der Frauenanteil im Nationalrat aktuell 37,2 Prozent und ist damit so hoch wie noch nie. Ein Rückblick:

Die Argumente und Befürchtungen, mit denen das Frauenwahlrecht im Vorfeld des Beschlusses verhindert werden sollte, waren vielfältig. So hieß es etwa, dass die Frauen noch nicht so weit seien oder es der weiblichen Natur widerspreche. Allem Widerstand zum Trotz setzten sich die Frauen und Befürworter mit ihrer Forderung aber durch, denn angesichts ihres Einsatzes in der Kriegshilfe und -industrie konnten ihnen politische Rechte nicht länger verwehrt werden: Das Wahlrecht wurde mit der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 gewährt (im "Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich").

Am 18. Dezember erging die Wahlverordnung und im darauffolgenden Februar konnten Frauen schließlich ihr neu gewonnenes Recht auch zum ersten Mal ausüben.

Die Wahlbeteiligung war dabei eine hohe: Bei der Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 gaben laut Parlament 82,10 Prozent aller wahlberechtigten Frauen und 86,98 Prozent der Männer ihre Stimme ab. Im März 1919 zogen acht Frauen ins Parlament ein, sieben sozialdemokratische Abgeordnete und eine christlichsoziale. Das entsprach bei damals 159 Mandataren einem Frauenanteil von 5,03 Prozent. Eine weitere Frau rückte später nach.

Übrigens: Um das Wahlverhalten der Geschlechter besser einschätzen zu können, wurden ab 1920 Kuverts in unterschiedlichen Farben verwendet. Das Ergebnis: Die Frauen favorisierten eher die CSP. Die Zeiten der Kuvertfarben sind mittlerweile zwar vorbei, das Wahlverhalten lässt sich dennoch nachzeichnen. So stimmten bei der vergangenen Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 vor allem Männer (35 Prozent) für die Volkspartei. Bei den Frauen lagen ÖVP und SPÖ bei indes nahezu gleichauf (30 zu 29 Prozent).

Marga Hubinek, erste Frau im Parlament

Die erste Frau im Präsidium des Nationalrates war Marga Hubinek (ÖVP), die 1986 bis 1990 die Funktion der Zweiten Präsidentin innehatte. Die erste Nationalratspräsidentin wurde Barbara Prammer (SPÖ), sie übte das zweithöchste Amt im Staat von 2006 bis 2014 aus. Im Bundesrat hatte Olga Rudel-Zeynek schon in der Ersten Republik zweimal (1927/28 sowie 1932) für die Steiermark jeweils für sechs Monate das Amt als Vorsitzende inne.

Frauenanteil in Prozent 1918 bis 2019
Frauenanteil in Prozent 1918 bis 2019APA

Der österreichische Bundesrat war damit laut Parlamentsangaben weltweit das erste nationale parlamentarische Organ, das von einer Frau geführt wurde. Seit 1918 wurden insgesamt 327 Frauen in den Nationalrat gewählt. Ihnen steht die Zahl von 1575 Männern gegenüber.

Ein zweistelliger Frauenanteil im Nationalrat wurde erst in den 1980er-Jahren erreicht. Selbst zum 50. Jahrestag des Frauenwahlrechts waren es 1969 nur knapp 5 Prozent. Aktuell sind 68 der 183 Abgeordneten Frauen.

Den höchsten Frauenanteil weisen mit 50 Prozent die Neos auf, fünf von zehn Mandataren sind Frauen. Mit 48 Prozent ist die SPÖ auf dem Weg zur Geschlechterparität. Die Liste Jetzt (früher Liste Pilz) kommt auf einen Wert von 43 Prozent. Die größte Fraktion, die ÖVP, hat einen Frauenanteil von 36 Prozent und bei den Freiheitlichen sind zwölf der 51 Mandatare Frauen. Außerdem gibt es aktuell eine Frau und einen Mann ohne Klubzugehörigkeit.

Neben zahlreichen Veranstaltungen zum Jubiläum hat auch der ORF einen Programmschwerpunkt zum 100. Jahrestag angekündigt.

Auf einen Blick

Das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen wurde erstmals bei der Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung im Jahr 1919 angewandt. In der Verfassung wurde 1920 das Verhältniswahlrecht festgeschrieben. Allerdings: Nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 gab es keine bundesweiten Wahlen mehr. Erst mit Errichtung der Zweiten Republik 1945 waren die Österreicher und Österreicherinnen wieder berechtigt, eine Volksvertretung zu wählen.

(APA/hell)

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