Frau Matysek und ihre Machos

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Schicksalsjahr 1986 (5): Der Jüdische Weltkongress in den USA forscht weiter über den ÖVP-Kandidaten Kurt Waldheim. Im Burgenland ballt sich indes eine Lokalposse zur Gewitterwolke für Fred Sinowatz zusammen.

Wien, im März 1986 – der Wahlkampf um die Hofburg biegt in die Zielgerade ein. Die Aufregung um die Kriegsvergangenheit des ÖVP-Kandidaten Kurt Waldheim hat zwar internationale Ausmaße angenommen („Die Welt bis gestern“, 12. März 2011), aber es tauchen keine neuen Indizien auf. Der Jüdische Weltkongress in den USA hält den früheren österreichischen Außenminister und UN-Generalsekretär für einen Kriegsverbrecher, sucht aber noch die „rauchende Pistole“; die ÖVP wieder kämpft mit Brachialgewalt für die Reinwaschung ihres Bewerbers, die Beobachter erstaunen macht: Schließlich gehört Kurt W. gar nicht der ÖVP an, gehörte ihr nie an, war stets bestrebt, Mitgliedschaften auszuweichen, wann und wo es ging.

Der Scharfmacher in dieser laufenden Kampagne ist der VP-Generalsekretär Michael Graff. Der Advokat holzt wie ein Berserker durchs innenpolitische Gebüsch. Weil der (noch) amtierende SPÖ-Chef Fred Sinowatz die Volkspartei als „Scharf- und Miesmacher“ kritisiert hat, reicht Graff flugs eine Klage wegen Verleumdung ein. Das hat es noch nie gegeben.

In dieser Phase des Wahlkampfs sind es zwei Personen, denen diese Art von Auseinandersetzung zuwider ist. Da ist zunächst ÖVP-Chef Alois Mock, der Oppositionschef. Er will zwar bei nächster Gelegenheit Erster – und damit Regierungschef – werden. Aber nicht mit dieser forschen Gangart, die selbst eingefleischte Parteigänger zunehmend abstößt. Er schwächt ab: Man könne Graffs Klage ja auch wieder zurückziehen...

Steyrer hält sich zurück

Da ist aber auch Kurt Steyrer, der Gegenkandidat Waldheims. Der Facharzt für Hautkrankheiten war im Krieg Sanitäter an der Ostfront, barg bei Charkow einen Schwerverletzten aus dem Artilleriefeuer und bekam dafür das Eiserne Kreuz II. Klasse. Der SPÖ-Gesundheitsminister fühlt sich jetzt in diesem bösen Krieg der Worte in den Schützengraben zurückversetzt. Er duckt sich, um nicht in „freundliches Feuer“ zu geraten, hält sich aus der erbitterten Hetze heraus. Denn er ahnt: Mit dieser Schmutzkübelkampagne kann man keine Wahl gewinnen.

Wir sind mit dem Steyrer-Tross in Wien unterwegs. Steyrers junger „Reisemarschall“ gibt mir seine Karte: „Mag. Karl Schlögl, Leitender Sekretär, SPÖ“. Für alle Fälle. Den Namen muss man sich merken. Steyrer ist im Gespräch mit der „Presse“ unglücklich. Die Anti-Waldheim-Kampagne seiner Parteifreunde geht ihm auf die Nerven. Er bemüht sich, landauf, landab ein staatsmännisches Image zu pflegen und Attacken auf den Mitbewerber aus dem Weg zu gehen. Mehr noch: Er schlägt via „Presse“ ein Treffen mit Waldheim vor. Ich betätige mich als Vermittler – eine journalistisch ungewohnte Tätigkeit, aber es klappt. Waldheim reagiert erfreut, wenige Tage später kreuzen sich die Pfade der beiden Kandidaten, man spricht freundlich miteinander (Elisabeth Waldheim ist wie immer dabei) – das war's dann auch schon.

Inzwischen haben sich noch zwei weitere Kandidaten zur Wahl gestellt und die nötigen Unterschriften beigebracht: Freda Meissner-Blau als Vorhut der grünbewegten Szene, die sich innerhalb der nächsten paar Monate zu einer echten Partei fusionieren sollte; Otto Scrinzi als Vertreter einer rechten Plattform, die mit dem liberalen FPÖ-Kurs Norbert Stegers, Friedhelm Frischenschlagers, Erich Reiters und Volker Kiers nichts am Hut hat. Die FPÖ hat keine Wahlempfehlung ausgesprochen und auch keinen Bewerber aufgeboten. So werden bei der Wahl mehr als 50.000 FP-Wähler ins Scrinzi-Lager überwechseln und Steger innerparteilich weiter schwächen.

Was Steyrer nicht ahnen kann, ist ein Drama, das sich währenddessen in den Kulissen aufbaut – und 1987 für einen Knalleffekt sorgen sollte. Ein halbes Jahr vor dem Wahlgang, im Herbst 1985, hatte Fred Sinowatz seine nervösen Genossen bei einer burgenländischen SP-Vorstandssitzung beruhigt: Man werde rechtzeitig die „braune Vergangenheit“ Waldheims enthüllen.

Alle haben das damals gehört, 52 Vorstandsmitglieder. 51 von ihnen werden das später leugnen, als sie unter Eid vor dem Richter aussagen müssen: „Nein . . . niemals . . . hätte ich hören müssen...“ Sinowatz dementiert wütend. Nur eine Person kann sich sehr genau und detailliert daran erinnern: Ottilie Matysek, bis vor Kurzem SP-Klubchefin im Eisenstädter Landtag. Ihren Sturz durch die dortigen „Machthaberer“ ließ sie nicht auf sich sitzen. Sie rächte sich.

Denn der „Profil“-Journalist Alfred Worm hat über diesen unüberlegten „Sager“ des Kanzlers berichtet. Er wurde von Sinowatz, der inzwischen Pensionist geworden war, geklagt – und so kam es zum Prozess.

Die äußerst attraktive Dame, gelernte Schneiderin, verheiratet, zwei Söhne, hatte eine schwindelerregende Karriere hingelegt. Berufsschuldirektorin, Landtagsabgeordnete, Klubobfrau ab 1982. Umgurrt von den Mannsbildern in der Partei.

Eindeutig zweideutige Offerte hochgestellter SP-Männer ließ sie ungerührt abblitzen, dennoch hielt Landesfürst Theodor Kery weiterhin seine schützende Hand über die schwarzhaarige Dame. Da wurde zwar gemunkelt, aber nichts war handfest. „Es hätte genügt, zu nicken, zu lächeln, Ja zu sagen und das Salär vom Bankkonto zu holen“, sagte sie später im Prozess. Als Zeugin.

Da war sie schon total „abmontiert“. Mit 51 Jahren hatte man sie in Frühpension geschickt. Die „graue Eminenz“, der Bundeskanzler am fernen Ballhausplatz, hatte dafür gesorgt. Er hatte schon in den Fällen „Nenning“ und „Meissner-Blau“ als Parteichef die harte Hand des Apparatschiks gezeigt: Parteiausschluss wegen grüner Verirrungen. Nur Juso-Chef Alfred Gusenbauer protestierte seinerzeit dagegen.

Theodor Kery und die Frauen

Bei Ottilie Matysek steckten andere Gründe dahinter: unerwiderte Sex-Angebote. „Ich habe noch immer die süffisante und irritierende Art des Landesrates Vogel im Ohr, als er mir erklärte, was ich als Frau zu tun hätte, um Karriere zu machen“, sagte sie kurz vor ihrem Sturz 1985. Gegenfrage des Reporters: „Ihm gegenüber zu tun?“ – „Also, er wäre als Zwischenstation gedacht gewesen. Eine Frau kann sich gegen solches Reden nicht wehren . . . Das, was sich die Männer immer noch als eine Art Federl auf den Hut stecken, ist für die Frau im öffentlichen Leben beinahe ein Todesurteil. Denn würde ich jetzt sagen, die Matysek hat tatsächlich ein Verhältnis gehabt mit dem Kery und sie wird aus dem Grund gekillt, ja dann müsste doch der Kery...“

Am 29. April 1987, im Wiener Landesgericht, genießt Frau Matysek dann ihre süße Rache. Da ist die Hofburg-Wahl schon seit einem Jahr geschlagen, da hat Waldheim knapp, aber doch gesiegt. Die Geister hingegen, die Sinowatz rief, die holen ihn ein Jahr später ein. Das ist freilich schon eine ganze andere Geschichte.

Nächsten Samstag:

Der Kampf um die US-„Watchlist“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2011)

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