Grazer Oper: Einen Stern erhascht mit Strauss

Grazer Oper Einen Stern
Grazer Oper Einen Stern(c) APA (MAnninger Peter)
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Marc Arturo Marelli inszeniert, Johannes Fritzsch dirigiert "Die Frau ohne Schatten", ein Stück, das höchste Anforderungen an ein Ensemble stellt. Das Publikum bejubelte einen immensen, uneitel erzielten Erfolg.

Die Grazer Oper greift mit Richard Strauss' „Frau ohne Schatten“ nach den Musiktheatersternen. Es gibt wenige Stücke, die höhere Anforderungen an ein Ensemble stellen als dieses, entstanden während des Ersten Weltkriegs, 1919 in Wien uraufgeführt. Die Zeiten waren keineswegs ideal für ein so bilderreiches, äußerlich wie innerlich anspruchsvolles Werk. Strauss-Verehrer halten es für seine bedeutendste Komposition. Doch hat erst der Einsatz des Dirigenten Karl Böhm ein halbes Jahrhundert nach der Entstehung dafür gesorgt, dass die „Frau ohne Schatten“ Einzug in die Spielpläne hielt. Seit damals demonstrieren Intendanten, Generalmusikdirektoren damit gern die Leistungsfähigkeit ihres Hauses.

Graz darf sich über einen immensen Erfolg freuen – und über eine Produktion, die uneitel versucht, das vielschichtige Märchen verständlich zu erzählen. Marco Arturo Marelli hält sich ziemlich präzis an die Vorgaben von Textdichter Hugo von Hofmannsthal, zeichnet die Charaktere liebevoll und detailversessen, verfällt nirgendwo ins Plakative – wozu die oft heftigen Aufwallungen von Strauss' Musik verführen könnten. Vielmehr durchleuchtet er Hofmannsthals sensible Wortgespinste, hellt mit Kammerspielaktion auf, was im melodischen Schwung der Musik verloren gehen könnte.

Das setzt den Dirigenten instand, aus dem Vollen zu schöpfen. Johannes Fritzsch hat mit den Grazer Philharmonikern gewiss nicht ein in allen Stimmen edelst timbriertes Orchester zur Verfügung, aber eine Musikergemeinschaft, die sich spürbar mit Feuereifer ins Zeug legt. Und er versteht es, Stimmungen zu evozieren, nutzt die Chancen, die oft grellen Farben und Dissonanzwirkungen der Partitur ebenso wie die pastellig-impressionistischen Kolorierungskünste des unerreichten Instrumentations-Genies Strauss. Vor allem gelingt es Fritzsch, die emotional bewegendsten Augenblicke ruhig strömen zu lassen: Da bleibt wohl kaum jemand im Auditorium ungerührt. Das Publikum jubelt. Auch über die Leistungen der Sänger. Intendantin Elisabeth Sobotka hat es geschafft, ein Ensemble aus Debütanten zu gewinnen, die den mörderischen Anforderungen ihrer Partien wirklich gewachsen sind. Die Kaiserin von Marion Ammann, mädchenhaft verspielt zunächst, koloraturgewandt bis zum hohen D, gewinnt ihrem Sopran mit der Verwandlung zur liebenden Frau heldische Qualitäten ab und absolviert die heftigen Ausbrüche im zweiten und dritten Akt leuchtkräftig.

Dem Schluss-Tableau fehlt Transzendenz

Stephanie Friede ist die dunkler timbrierte, noch dramatischere Gegenspielerin, eine Färbersfrau voll Saft und Kraft, herrisch und dabei doch im Grunde gutmütig, wie Hofmannsthal sie (als Porträt der exzentrischen Strauss-Gemahlin Pauline) angelegt hat. Von den üblichen Kürzungen profitiert auch die Amme, Michaela Martens, präsent und rechtschaffen dämonisch, leichte Unschärfen lässt sie immer wieder durch eindrucksvoll attackierte Töne vergessen.

Jugendlich frisch tönt der Kaiser von Corey Bix, bei ihm wird – nicht zuletzt aufgrund nicht ganz präziser Intonation – am deutlichsten, dass alle Beteiligten bis an die Grenzen ihrer vokalen Belastbarkeit gehen. Am souveränsten hält sich der sonore Barak von James Rutherford. Gut sämtliche mittleren Partien, voran der machtvolle Geisterbote Aik Akdukayumov, der auch die Stimmen der Wächter (die leider – Marellis einzige Entgleisung – in Provinz-Regiemanier im Zuschauerraum auftauchen) anführt.

Lucia Kim wandert als trauriger Falke durch die Traumlandschaften der ständig bewegten Drehbühne, gibt zuletzt auch den Hüter der Schwelle des Tempels und strahlt, wenn am Ende alle einig an der Tafel sitzen, auch das darbende Volk, das sich als Konstante durchs Stück zieht. Hofmannsthals abgehoben-symbolistischem Text ist solch sozialkritische Tendenz allerdings fremd.

Mit dem transzendenten Schluss-Tableau tun sich Regisseure freilich allenthalben schwer. Das kann den positiven Gesamteindruck dieser Produktion kaum trüben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2010)

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