Gastbeitrag

Wie die EU zu einer „ethischen Union“ werden will

Die frühere Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili steht in „Katargate“ unter Korruptionsverdacht. Katargate ist einer der Skandale, die das Vertrauen in die EU-Institutionen geschwächt haben.
Die frühere Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili steht in „Katargate“ unter Korruptionsverdacht. Katargate ist einer der Skandale, die das Vertrauen in die EU-Institutionen geschwächt haben.APA / AFP / Frederick Florin
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Rechtszeitig vor den Europawahlen haben wichtige EU-Institutionen ein neues Ethikgremium geschaffen. Ein wichtiger, aber noch kein perfekter Schritt.

Für viele Menschen ist die Europäische Union (EU) sowohl geographisch als auch emotional weit weg. Bekanntlich braucht es Jahre, um Vertrauen aufzubauen, Sekunden, es zu zerstören, und ewig, es wiederherzustellen. Diverse Skandale (zB rund um Dalli-, Barroso-, bzw. zuletzt Katargate) haben dieses Vertrauen mit Sicherheit nicht gestärkt.

Nach Aufforderung des Europäischen Parlaments im September 2021, ein unabhängiges Ethikgremium zu errichten, legte die Europäische Kommission schließlich im Juni 2023 einen Vorschlag für die Einrichtung eines interinstitutionellen Ethikgremiums vor. Nun liegt das Ergebnis des Abstimmungsprozesses zwischen den wesentlichen EU-Institutionen vor; es soll Mitte Mai feierlich unterzeichnet werden.

Vertragsparteien dieses Inter-Institutionellen Abkommens (IIA) sind alle in Art. 13 EU-Vertrag genannten Einrichtungen, abzüglich des Europäischen Rates und teilweise des Ministerrates. Deshalb teilweise, da nur der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik betroffen sein wird, nicht aber Minister oder Staatsekretäre oder deren Regierungskolleginnen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit als Beobachter beteiligt.

Regeln brauchen Inhalte und Durchsetzung. Ein selbst von manchen EU-Abgeordneten erwähntes Problem ist die mangelhafte Durchsetzung der im Laufe der Zeit schrittweise verbesserten Regularien. In der EU wie auch in den Mitgliedstaaten gibt es sowohl unterschiedliche als auch unterschiedlich gute Beispiele für ähnliche Gremien, die sich um Fragen wie Interessenskonflikte, Drehtür-Effekte, Erklärungen von finanziellen und nicht-finanziellen Interessen etc kümmern. Wie eine für das Europäische Parlament erstellte Studie des Autors vom Oktober 2020 analysiert hat, ist innerhalb der EU die Europäische Zentralbank (EZB) ein Beispiel für einen ambitionierteren Ansatz. Auf nationaler Ebene kann man die französische „Haute Autorité pour la transparence de la vie publique“ sowie den kanadischen „Conflict of Interest and Ethics Commissioner“ als Best-Practice-Beispiele identifizieren.

Was ist von dem neuen EU-Ethikgremium zu halten?

Was die erwähnte Durchsetzung der Regelungen betrifft, fällt die Analyse sehr kurz aus, da das Ethikgremium für die Anwendung der internen Vorschriften einer Vertragspartei auf Einzelfälle nicht zuständig ist. Aufgabe des Ethikgremiums ist es vielmehr, gemeinsame Mindeststandards für das Verhalten der Mitglieder der Vertragsparteien zu entwickeln. Die Angestellten der Vertragsparteien sind von diesem Abkommen und den dort zu entwickelnden Mindeststandards nicht umfasst. Für diese gilt das EU-Beamtenstatut. Hätten diese theoretisch inkludiert werden können? Ja, da Art. 2(2) dieses EU Beamtenstatuts die Möglichkeit vorsieht, dass ein oder mehrere Organe etwa einer gemeinsamen Einrichtung „einige oder alle Befugnisse übertragen, die der Anstellungsbehörde übertragen wurden“; ausgenommen sind lediglich „Entscheidungen über die Ernennung, die Beförderung oder die Versetzung von Beamten“. Auch hier wäre also mehr möglich gewesen.

Aufgabe des Ethikgremiums nach Artikel 8(2) ist es, wie erwähnt, gemeinsame Mindeststandards für das Verhalten der Mitglieder der Vertragsparteien zu entwickeln. Diese Mindeststandards umfassen Erklärungen über finanzielle und nichtfinanzielle Interessen (lit a). Für die Zeit während der Amtszeit sollen die Mindeststandards Regelungen zu folgenden Themen umfassen: externe Aktivitäten (lit b), die Annahme von Geschenken (lit c) und Auszeichnungen (lit d). Darüber hinaus Regelungen für Aktivitäten nach dem Ende der Amtszeit (lit e). Schließlich soll das Ethikgremium im Rahmen des IIA über das obligatorische Transparenzregister (das auch auf Ethik und Transparenz verweist) Mindeststandards für „Konditionalität und ergänzende Transparenzmaßnahmen“ (lit f) ausarbeiten.

Unter „Konditionalität“ versteht man den Grundsatz, wonach die Eintragung in das Transparenzregister eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass Interessenvertreter bestimmte abgedeckte Tätigkeiten ausüben können (zB die Eintragung in das Register als Voraussetzung für ein Treffen Lobbyisten und Entscheidungsträgern, oder spezielle Mailinglisten).

Explizite Regeln über Interessenskonflikte fehlen

Was in dieser Auflistung fehlt, sind explizite Regelungen über Interessenkonflikte. Fast alle der vom Autor untersuchten EU-Einrichtungen hatten diesbezüglich Regelungen vorgesehen. Nunmehr sind Interessenskonflikte lediglich für die im Ethikgremium tätigen Personen, die dann diese Mindeststandards entwickeln sollen, ein Thema.

Wer wird dort überhaupt tätig? Bezeichnenderweise wurde aus dem vom Europäischen Parlament 2021 geforderten „unabhängigen“ Ethikgremium im Vorschlag der Europäischen Kommission, bzw im Endergebnis, ein „interinstitutionelles“ Ethikgremium. Von jeder der erwähnten Vertragsparteien wird eine hochrangige Person (auf Ebene Vizepräsidentschaft) im Ethikgremium vertreten sein. Darüber hinaus wird das Gremium von fünf unabhängigen Fachleuten unterstützt, die an den Sitzungen (so wie vorstehend erwähnt auch der EuGH) beobachtend teilnehmen. Sowohl die von den Vertragsparteien stammenden Mitglieder als auch diese fünf unabhängigen Fachleute müssen Interessenkonflikte vermeiden. Für die zu entwickelnden Mindeststandards hätte das Thema Interessenkonflikte auch explizit erwähnt werden sollen.

Es wäre mehr möglich gewesen – theoretisch

Wäre mehr möglich gewesen? Klare Antwort: ja. Kritiker könnten diese Tatsache als ein „failing forward“ bezeichnen, wonach unzureichende Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu weiteren Krisen führen, die auch in nächsten Schritten nur unzureichend gelöst werden.

Warum war dennoch nicht mehr möglich? Einerseits bestand mit Sicherheit der Wunsch, noch vor den EU-Wahlen im Juni ein Ergebnis liefern zu können. Andererseits war dies offenkundig der Preis, um möglichst viele EU-Institutionen und beratende Einrichtungen an Bord zu haben, immerhin alle bis auf den Europäischen Rat und teilweise den Ministerrat. Wenn man bedenkt, dass beim Lobbying-Register zuerst nur Parlament und Kommission an Bord waren und der Rat erst 2021 dazustieß, ist die jetzige Anzahl von acht EU-Institutionen bzw. beratenden Einrichtungen bemerkenswert. Damit ist dieses Projekt ein weiteres Beispiel des für die europäische Integration insgesamt kennzeichnenden „step-by-step“-Ansatzes und kann nicht als ein „failing forward“ bezeichnet werden.

Oft werden zwei Argumente geliefert, warum nicht mehr möglich wäre. Ende der 1950er Jahre hatte der EuG in den sog Meroni-Fällen (C-9/56 und C-10/56) Fragen zur Übertragbarkeit von Zuständigkeiten von (heute:) EU-Institutionen auf eine andere Entität zu entschieden. Einerseits ging es damals um die Übertragung von Zuständigkeiten auf private (!) Einrichtungen und nicht um ein unabhängiges EU-Ethikgremium. Zum anderen hat der EuGH in dieser Rechtsprechungslinie die Möglichkeit betont, „bestimmte mit diesen Zuständigkeiten verbundene Befugnisse unter Beachtung der Anforderungen des Vertrages und unter Bedingungen, die es selbst festsetzt, zu übertragen“ (C‑301/02 P, Rn. 41). Auch eine Analyse der EuGH-Rechtsprechung zum „interinstitutionellen Gleichgewichts“ kann nicht wirklich Argumente gegen ein unabhängiges Ethikgremium liefern.

Abschließend kann man festhalten: Mit dem jetzigen Ergebnis ist ein erster wichtiger Schritt getan (Vereinheitlichung von gemeinsamen ethischen Mindeststandards), wobei weitere künftige Schritte (Monitoring, Sanktionen, etc.) rechtlich möglich sind und auch erfolgen sollten.

Autor

Dr. Markus Frischhut ist Jean Monnet Professor und Fachbereichsleiter EU-Recht am MCI Management Center Innsbruck. Er hat im Oktober 2020 für das Europäische Parlament eine Studie zum Thema „Strengthening transparency and integrity via the new ‘Independent Ethics Body’ (IEB)“ erarbeitet, bzw. zu dieser Thematik im April 2024 bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt referiert.

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