Libro: Gutachter unter Begutachtung

Das Gutachten zur Libro-Pleite ist endlich fertig. Jetzt wird auf den Prozess gewartet. Derweil wird auf anderer Ebene scharf geschossen.

Das Konvolut hat 591 Seiten. Der „Anhang“, der es auf mehrere hundert Seiten bringt, ist da noch gar nicht mitgerechnet. Alles in allem benötigt das Opus drei große Aktenordner. Deren Beförderung empfiehlt sich nur für Personen mit einwandfreier orthopädischer Anamnese.

Es ist mit größter Spannung erwartet worden. Jetzt ist das vom Landesgericht Wiener Neustadt in Auftrag gegebene Libro-Gutachten endlich fertig – nach gut drei Jahren. War ja auch eine Heidenarbeit: Es ging um die Durchleuchtung eine der verworrensten und spektakulärsten Großpleiten der österreichischen Wirtschaftsgeschichte – und möglicherweise auch um einen nicht minder Aufsehen erregenden Fall von Wirtschaftskriminalität. Doch das wird die Justiz zu klären haben.

Mit Schulden von 334 Mio. Euro schlitterte die damals börsenotierte Buchhandelskette im Juni 2001 in die Insolvenz. Und schon bald danach tauchten für Libro-Chef André Marteen Rettberg äußerst unangenehme Fragen auf: War betrügerische Krida im Spiel? Sind Bilanzen geschönt worden, um den wahren Zustand des Unternehmens zu verschleiern?

Gutachter Martin Geyer kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Der Libro-Jahresabschluss 1998/99 spiegelt die wahren Vermögens- und Ertragsverhältnisse des Unternehmens nicht wider. Vermögenspositionen seien zu hoch, Positionen auf der Passivseite zu niedrig ausgewiesen worden. Und dadurch sei auch die seinerzeit ausgeschüttete Sonderdividende an die Eigentümer in Höhe von 440 Mio. Schilling unzulässig gewesen. Sie habe zu einer „massiven Belastung“ von Libro geführt, weil sie in Wahrheit mit Fremdkapital finanziert werden musste.

Zitat aus dem Gutachten: „Wie aus der umfangreichen Bestandsaufnahme ersichtlich ist, muss (...) davon ausgegangen werden, dass es sich nicht einfach nur um ,Schlampereien‘ handelt, sondern dass wesentliche Positionen im Jahresabschluss gezielt verändert wurden.“

Jetzt wird das Konvolut von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt durchgeackert, die dann entscheiden wird, gegen wen Anklage erhoben wird: Zur Debatte stehen neben Rettberg auch Aufsichtsräte von Libro sowie eine Handvoll Wirtschaftsprüfer.

Das Gutachten spielt also eine Schlüsselrolle in dem bevorstehenden Monster-Prozess. Keine Frage also, dass Gutachter Geyermomentan keinen Beliebtheits-Wettbewerb gewinnen würde. Kritik an ihm ist daher in Zeiten wie diesen nicht sonderlich überraschend, geschweige denn der Rede wert. Wäre da nicht ein interessantes Faktum: Geyers härteste Kritiker sind ausgerechnet seine Branchen-Kollegen.

Und damit könnte die schärfste Waffe der Anklage – nämlich das Gutachten – durchaus zu Reibereien im Prozess führen. Denn dass Geyer in seiner Branche höchst umstritten ist, hat sich natürlich längst herumgesprochen. Und das ist der größte Trumpf der Verteidigung.

Martin Geyer, Jahrgang 1965, ist seit rund zehn Jahren als Sachverständiger tätig. Dazu hat er mit Partner Matthias Kopetzky die Business Valuation GmbH gegründet. Das Unternehmen hat auch schon etliche brisante Causen durchleuchtet: Bei der spektakulären Pleite des Kunststoff-Unternehmens Steiner Freizeitmöbel im Jahre 2001 evaluierten Geyer und sein Team ebenso die Ereignisse wie beim Bank-Burgenland-Skandal oder bei der Linzer Imperial-Finanzgruppe, die 2002 des gewerbsmäßigen Betrugs und der Untreue verdächtigt wurde.

Eine bemerkenswerte Liste an Referenzen. Möglicherweise ist gerade sie der Grund, wieso Geyers Firma der Konkurrenz so ein Dorn im Auge ist. „Da ist sicher ein gewisse Neidfaktor dabei“, meint denn auch Geyer. Immerhin soll er für die Libro-Expertise gut 700.000 Euro in Rechnung gestellt haben. Und: Geyer hat sich im Laufe der Jahre auch selbst angreifbar gemacht.

Das liegt unter anderem daran, dass Geyer in seinen beruflichen Anfängen von Richtern gerne als Sachverständiger beigezogen wurde – obwohl er auf der Liste des Hauptverbandes der Sachverständigen gar nicht aufschien. Was einen simplen Grund hatte: Es fehlte ihm die entsprechende Prüfung. Die hat er dann in Innsbruck nachgeholt. Weil er sie in Wien nicht bestanden hat, verlautet aus dem Hauptverband. Weil er in Wien gar nicht angetreten sei, entgegnet Geyer.

Jedenfalls ist Geyer seit dem Jahr 2003 eingetragener Sachverständiger. Die Imageprobleme sind aber geblieben. „Geyer ist weder Steuerberater noch Wirtschaftsprüfer – sondern Unternehmensberater“, mokiert sich ein anderer Sachverständiger. „Und so jemand soll die komplizierte Bilanzierung bei Libro durchleuchten?“

Genüsslich wird auch erzählt, dass sich Geyer vor Jahren auf offiziellen Schriftstücken als „Magister“ tituliert hat. Dabei hat er den Titel auf der Fachhochschule Wiener Neustadt erworben. Nach einer Klage wegen Unlauteren Wettbewerbs musste Geyer die Sache berichtigen: Seitdem lautet sein offizieller Titel „Mag. (FH)“. Geyer will das heute nicht so dramatisch sehen: „Ich wusste damals halt nicht, dass ich den Zusatz ,FH‘ führen muss.“ Die Richter ficht all das jedenfalls nicht an: Geyer wird von ihnen nur zu gerne als Sachverständiger herangezogen. Das liegt daran – wie ein Sachverständiger zugeben muss – dass Geyer in seinen Gutachten pointiert und leicht verständlich formuliert. „Er schafft es zweifellos, komplizierte Sachverhalte einfach darzustellen“, sagt einer.

Für Richter, die mit komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen möglicherweise etwas überfordert sein können, ist das natürlich äußerst bequem. Allerdings hat die Sache auch einen Haken: Geyers Gutachten, so wird behauptet, seien oft manipulativ – sie enthielten bisweilen juristische Bewertungen.

Was objektive Gutachter tunlichst zu unterlassen haben. Geyer ist sich der Problematik bewusst: „So was kann einem schon mal passieren“, sagt er, „weil die Grenze zwischen betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Beurteilung verschwommen ist.“ Doch mit dem Problem würden sich auch andere Sachverständige herumschlagen.

Trotzdem hat vor allem Geyer den Ruf, ein verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft zu sein. Seine Gutachten sollen stets gute Munition für die Anklage liefern, heißt es. Das sei seine Strategie, um zu weiteren Aufträgen zu kommen. Stimmt nicht, empört sich Geyer. Bei der seinerzeitigen Pleite des Reiseveranstalters Itas habe er das Gutachten verfasst – Itas-Chef Basile Varvaressos sei damals freigesprochen worden.

Doch die Konkurrenz bleibt dabei: Weil Geyers Gutachten so scharf sind, bekomme er so oft Aufträge von den Gerichten. Mag sein, ist aber nur die halbe Wahrheit: Geyer soll auch sehr aktiv bei den Gerichten um Aufträge „keilen“. Darüber hinaus bietet er den Vorteil, relativ rasch zu liefern. „Seine Firma ist eine echte Gutachten-Fabrik“, meint ein Sachverständiger. Kunststück – mit 25 Mitarbeitern.

Was nicht heißt, dass seine Expertisen makellos sein müssen. So hat ihn etwa der Chef der Imperial-Gruppe, Faramarz Ettehadieh, wegen Rufschädigung geklagt – weil das Imperial-Gutachten Behauptungen aufstelle, die nicht den Tatsachen entsprechen sollen.

Auch der erste Zwischenbericht zur Causa Libro wurde beanstandet. Wirtschaftsprüfer Karl Bruckneretwa zeigte in einem Gegen-Gutachten „Fehlberechnungen“ und „methodische Fehler“ in Geyers Werk auf.

Trotzdem sind die beanstandeten Zahlen unverändert im nun vorliegenden Endbericht.

Inline Flex[Faktbox] DIE LIBRO-AFFÄRE("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2007)

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