Monochrom: Die Pioniere des wilden Worldwideweb

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Das Künstler-Kollektiv ist Chronist und Vorreiter der Digitalkultur.

Es war 1998. Zum ersten Mal wurde das Künstler-Medien-Kollektiv „monochrom“ von einer etablierten Institution eingeladen, ein Online-Projekt zu zeigen – einen Roboter, der via Chat fernzusteuern war. Bloß: „Als wir ankamen“, sagt Johannes Grenzfurthner, merkten wir, dass es keinen Internet-Anschluss gab.“

Ein Einzelfall? Gar nicht. Anekdoten wie diese vermitteln, im Gegenteil, realistisch, wie steinig der Wiener Boden war, den der im Museumsquartier beheimatete Verein urbar für die digitale Kultur machte. Seit mittlerweile 15 Jahren arbeiten sich neun Leute (und das nur im „Kernteam“) an ihm ab: Johannes Grenzfurthner, Günther Friesinger, Franz Ablinger, Evelyn Fürlinger, Harald List, Anika Kronberger, Daniel Fabry, Roland Gratzer und Frank Schneider.

Trotzdem, sagt Grenzfurthner, „wissen viele bis zu einem gewissen Grad bis heute nicht genau, was wir tun“. Und bis zu einem gewissen Grad ist das in Ordnung, weil: Wenn es für etwas fixe Begriffe gibt, kann es dann neu sein? Sieht man sich die Arbeit von „monochrom“ an, besteht sie im Wesentlichen darin, den Weg der Digitalkultur aus dem „Technik-Eck“ in die Mitte des Alltags (und des Kunstbetriebs) zu begleiten, zu reflektieren, vorwegzunehmen. Man sieht sich auch als Chronist: „Wir sind die erste Generation, die nicht nur Fernsehen hatte.“

Die monochrom-Arbeitsmittel sind dabei schwer überschaubar: Hat es 1993 simpel – mit einem Magazin – begonnen, nutzt monochrom heute alle Darstellungsformen und Medien: Man betreibt einen Blog, verfasst Filmbeiträge für boingboing, eines der weltweit meist besuchten Web-Journale. Man gibt Bücher und Musik-CDs heraus, veranstaltet ein Roboter-Festival, kassierte für das Musical Udo 77 den Nestroy-Theaterpreis und organisiert Ende September die Arse Electronika in San Francisco, eine Konferenz zum Thema Sex und Technologie.

„Digitale Aufklärung fehlt“

„Sich verzetteln“ nennen das Kritiker. „Konsequent und logisch“ nennt es monochrom: Suche man stets nach dem gerade „richtigen“ Medium. Und bei all den im Kollektiv vertretenen Brotberuf-Professionen (Philosophen, Elektrotechniker, Linguisten, Musiker) sei Vielfalt kein Wunder. Dem breiteren Publikum bekannt ist „monochrom“ durch provokante Aktionen: So erfand man für die Kunstbiennale 2002 einen Künstler samt Biografie. Der „Seelenverkauf“ (in dem „spirito-kapitalischen Experiment“ versuchte man Passanten ihre Seele abzukaufen bzw. diese weiterzuverkaufen) ist Vorlesungsstoff auf der Uni. Dass monochrom wegen der Lust an der Aktion unter Ironie- und Spaßverdacht steht, ist Friesinger gewohnt: „Das geschieht, wenn man Projekte oberflächlich ansieht.“

Schaut man genau, findet man Gesellschaftskritik (Grenzfurthner: „Wir sind klassisch alte Linke“) und gründliche Auseinandersetzung mit kulturellen „Nebeneffekten“ digitaler Technologie. Darin besteht wohl das große Verdienst von „monochrom“: Während andere dem technischen Fortschritt hinterherjagen, betreibt man soziokulturelle „Grundlagenforschung“. Bei aller Affinität zum Internet sieht man das Worldwideweb nicht erst seit Olympia-Zensur kritisch und bemängelt fehlende digitale „Aufklärung“: „Der Mensch“, so Grenzfurthner, „hat keine digitalen Grundrechte, weil er sie auch nicht versteht.“

Apropos verstehen: Das sei bei monochrom-Projekten nicht immer leicht, gibt Friesinger zu. „Wir könnten vieles einfacher ausdrücken, aber wir wollen nicht.“ Warum? „Theorie hat etwas Poetisches“. Und sich Schubladen zu entziehen gehört zum Konzept.

Was nichts daran ändert, dass monochrom-Mitglieder gern gesehene Referenten bei Konferenzen und Thinktanks sind. War man früher „schräge“ Mitternachtseinlage, sitzt man jetzt als Experte am Tisch.

AUF EINEN BLICK

monochrom
Das Medien-Künstler-Kollektiv „monochrom“ reflektiert seit
15 Jahren Digitalkultur.

Zum Kernteam, das vor allem in Wien, aber auch Graz und Bamberg sitzt, gehören Johannes Grenzfurthner, Günther Friesinger, Franz Ablinger, Evelyn Fürlinger, Harald List, Anika Kronberger, Daniel Fabry, Roland Gratzer und Frank Schneider.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2008)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.