Der Wiederaufbau der Ukraine werde mindestens 500 Milliarden Euro kosten, sagt Weltbank-Vizepräsidentin Anna Bjerde.
Die Presse: Beim Krieg in der Ukraine steht natürlich das menschliche Leid durch die militärischen Auseinandersetzungen im Vordergrund. Die Menschen dort leiden aber auch aufgrund der wirtschaftlichen Folgen des Kriegs. Sie waren kürzlich dort, wie ist die Situation?
Anna Bjerde: Die Weltbank hat immer gesagt, dass die humanitären Folgen dieses Kriegs katastrophal sind. Nur um Ihnen ein paar Zahlen zu nennen: Per Ende 2022 werden in der Ukraine acht Millionen Menschen in Armut leben. Das Armutslevel steigt dadurch von zwei auf 25 Prozent der Bevölkerung. Es gibt einen radikalen negativen Einfluss auf die Einkommen und den Lebensstandard der Menschen in der Ukraine.
Russland zerstört derzeit die Energie-Infrastruktur der Ukraine. Es ist also schon eine große Herausforderung, die Menschen mit Strom und Wasser zu versorgen. Inwieweit ist in dieser Situation noch wirtschaftliche Aktivität – etwa Industrie – möglich?
Die Ukrainer machen hier einen wunderbaren Job beim Reparieren der Zerstörungen. Aber wenn diese so weitergehen, werden sie bald ihre Vorräte an Ersatzteilen verbraucht haben. Wir arbeiten daher zusammen mit anderen Partnern an einer Notfallhilfe, um sowohl Equipment als auch Liquidität zur Verfügung zu stellen, damit die Reparaturen weiterlaufen können. Aber natürlich hat die Situation massive Auswirkungen auf die ökonomische Aktivität in der Ukraine. Wir haben vor dem Beginn der aktuellen Angriffe auf die zivile Infrastruktur mit einem Rückgang des BIPs von 35 Prozent im heurigen Jahr in der Ukraine gerechnet. Dieser Wert wird nicht zu halten sein.