Tempeltüren, wie von Geisterhand bewegt

Schon in der Antike nutzten geniale Ingenieure die Dampfkraft – bevor sie wieder vergessen wurde.

Fast zwei Jahrtausende vor der Industriellen Revolution, im 1.Jahrhundert n.Chr., baute der antike Ingenieur Heron von Alexandria eine Maschine, die die Geschwindigkeit beziehungsweise den Impuls des aus einer Düse austretenden Dampfes in eine Drehbewegung umsetzte. Aeolipile hieß seine mit Wasserdampf betriebene Drehkugel, sie war aber nur als Spielerei gedacht. Auf Dampfkraft beruhten auch die versteckten Tempeltüröffner der Antike, sie wurden von Priestern bedient und ließen das Volk staunen – weil sich die Türen öffneten, als wären sie von Geisterhand bewegt.

Auch aus dem alten Rom sind Experimente mit Dampfkraft bekannt. Der Architekt Artemisius demonstrierte sie unter Kaiser Justinian, indem er mit Wasser gefüllte Kessel heizte, in deren Deckel (nach oben hin enger werdende) Schläuche eingebaut waren. Von den Schläuchen wurde der Dampf weiter durch Röhren geführt, die mit den Dachsparren eines benachbarten Hauses verbunden waren. Der Dampf hob die Sparren an und ließ das Haus wackeln.

„Ich bin nicht verrückt!“

Dann aber schweigt die Weltgeschichte lange Zeit zur Dampfmaschine. Bis ein Marquis de Worcester Mitte des 17.Jahrhunderts von einem Mann namens „Solomon de Cause“ berichtet, den er bei einem Besuch im Irrenhaus kennengelernt habe. „Ich bin nicht verrückt“, habe ihm der Mann durch die Gitterstäbe zugeschrieen und ihm von seiner Erfindung erzählt; sie könnte seine Heimat Frankreich reich machen und beruhe auf Wasserdampf. Aber als er deswegen den König habe sprechen wollen, sei er von Kardinal Richelieu abgewiesen worden. Und weil er keine Ruhe gegeben habe, habe ihn Richelieu ins Irrenhaus sperren lassen.

Daraufhin errichtete der Marquis 1656 eine Maschine, die „Wasser über vierzig Fuß hochbeförderte, nur mit der Kraft eines Mannes“. Wofür die Maschine benutzt wurde, weiß man nicht. Aber schon Ende des 17.Jahrhunderts arbeiten Denis Papin (1690) und Thomas Savery (1698) fast gleichzeitig an Dampfmaschinen – doch die erste praktisch verwendbare konstruierte erst 1712 der Brite Thomas Newcomen (zum Abpumpen von Wasser im Bergwerk). Ein halbes Jahrhundert später verbessert der Schotte James Watt den Wirkungsgrad, spart damit ein Vielfaches an Wärmeenergie und macht die Dampfmaschine so wirtschaftlich nutzbar. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2007)

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