Last Krissmess

Die Dauerbeschallung mit Weihnachtsliedern beim Einkaufen kann schon nerven. Doch wer geht soweit und zerstört eine CD?

Oberinspektor Otto Doblhofer war ganz privat auf einer der vielen Einkaufsstraßen Wiens unterwegs, die dazu beigetragen haben, der Stadt den Ruf einer Weltmetropole zu verleihen – er ging vorbei an Massagestudios, Internetcafés, Handyshops und Läden, in denen (fast) alles einen Euro kostete, als er aus einem Geschäft Lärm heraus hörte. Nicht den üblichen vorweihnachtlichen Lärm, sondern den Lärm, der ihn sonst beruflich beschäftigte.
Daher öffnete Doblhofer die Tür zu dem Laden – ein Schuhgeschäft der höheren Preisklasse – und sah, wie ein Mann Schuhe an die Decke warf – mit dem erkennbaren Ziel, den Lautsprecher, der dort oben angebracht war und aus dem das Lied „Last Christmas“ der Gruppe Wham ertönte, zu treffen und außer Betrieb zu setzen. Dazu schrie er: „Ich halte diese Folter nicht mehr aus!“
„He, was ist da los“, rief Doblhofer. Er verzichtete darauf, seine Waffe zu ziehen – wohl auch deshalb, weil er unbewaffnet seinen Einkaufsbummel angetreten hatte. „Dauernd diese Beschallung mit Weihnachtsliedern!“, brüllte der Mann hysterisch, aber immerhin von weiteren Schuhwürfen Abstand nehmend. „Ich kann ,Last Krissmess‘ nicht mehr hören!“
Auch der Inhaber des Geschäfts war mittlerweile herbeigeeilt und betrachtete missbilligend das Durcheinander, das der Mann angerichtet hatte. „Den Schaden werden Sie mir ersetzen!“, sagte er nach einem Blick auf einen eleganten Herrenschuh, der nach Doblhofers Einschätzung zwar völlig unbeschädigt von der Decke auf den Fußboden zurückgeknallt war, aber möglicherweise einen winzigen Kratzer abgekriegt hatte. „Sonst hole ich die Polizei.“
„Schon da“, sagte Doblhofer und gab sich als Oberinspektor zu erkennen. „Vielleicht schalten Sie wirklich einmal kurz das Radio ab“, setzte er dazu, als José Feliciano ,Feliz Navidad‘ zu wünschen anfing.
„Kein Radio, eine CD“, entgegnete der Geschäftsinhaber. „,Best of Christmas-Songs‘. Hab' ich erst heute in der Früh gekauft. Ich will vor Weihnachten nicht vom Radioprogramm abhängig sein. Man könnte der CD auch einen deutschen Titel geben, ,Die besten Weihnachtslieder‘, aber auf Englisch verkauft sich das offenbar besser.“
„Man könnte aber auch sagen ,Die nervigsten Weihnachtslieder‘“, warf der Kunde ein. „Ich warte jetzt seit einer halben Stunde hier herunten, dass sich meine Frau oben im ersten Stock endlich ein Paar neue Stiefel findet. Seit dreißig unendlich langen Minuten bin ich dieser Weihnachtsliederberieselung ausgesetzt. Das ist auf die Dauer nicht auszuhalten.“
„Deshalb müssen Sie nicht gleich meine Lautsprecher mit Schuhen beschießen“, schalt der Schuhladenchef, während er auch schon einen weiteren der geworfenen Schuhe einer genauen Überprüfung unterzog, ob er nicht Schaden gelitten hatte. „Betty, schalten Sie den CD-Player aus!“
Eine Verkäuferin, die sich in ihrer Nähe aufgehalten hatte, nickte, begab sich in den hinteren Teil des Geschäfts, wo sich in der Nähe der Treppe die Musikanlage befand, und wenig später hörte Herr Feliciano zu singen auf. Nun war er nicht nur blind, sondern auch stumm. Wohltuende Stille machte sich breit. „Was ist denn passiert?“, rief eine andere Verkäuferin, die über die Treppe vom oberen Stockwerk heruntergelaufen kam. „Nichts, Sonja, alles in Ordnung“, beruhigte sie ihr Chef. „Wieso?“
„Na, weil das Radio auf einmal aus ist!“, gab Schuhverkäuferin Sonja zur Antwort. „Da schreckt man sich ja direkt. Von 9 bis 19 Uhr ist man ununterbrochen der Musikberieselung ausgesetzt, da kriegt man einen Riesenschreck, wenn plötzlich kein ,Last Krissmess‘ mehr zu hören ist.“
„Nervig, diese Weihnachtsmusik?“, fragte Doblhofer mitfühlend. „Ja. Ich freu' mich schon auf den ersten Arbeitstag nach Weihnachten. Da kommen zwar dann alle Gutscheine einlösen und Schuhe umtauschen, auch wenn sie sie über die Feiertage getragen haben, aber man hört wenigstens wieder was Normales aus dem Radio. Den Hansi Hinterseer etwa.“
Verkäuferin Betty trat wieder zu ihnen. „Pah, ist das herrlich. Kein Weihnachtsmusikgedudle. – Äh, Sonja, die Frau, die schon zwanzig Paar Stiefel probiert hat, lässt fragen, ob du sie vergessen hast“, flüsterte sie. „Ich geh' schon wieder rauf“, sagte Sonja und verschwand in Richtung Treppe.
„Und was soll ich jetzt mit den Schuhen anfangen, die Sie kaputtgemacht haben?“ Der Geschäftsführer kratzte sich unschlüssig am Kopf.
„Was heißt da kaputt?“, warf der Schuhwerfer ein. „Ich bezweifle, dass auch nur ein einziger Schuh kaputtgegangen ist. Sie werden ja wohl nur Qualitätsware verkaufen, die so einen Absturz aus drei Metern Höhe unbeschadet übersteht!“ Von der Treppe waren Schritte zu vernehmen, offenbar hatte seine Frau sich stiefelmäßig entschieden. „Könnten wir das bitte nachher klären“, zischte er nervös, „meine Frau braucht von meinem kleinen Gefühlsausbruch nichts zu erfahren!“
Als die Frau, von der Verkäuferin Sonja begleitet, im Erdgeschoß angelangt war und ihrem Mann zurief: „Schatz, ich habe mir vier Paar Stiefel gefunden, eines schöner und teurer als das andere!“, nickte der Geschäftsinhaber eifrig, sagte „Schwamm drüber“ und begab sich mit den Worten „So ganz ohne Musik halt' ich es aber nicht aus“ in Richtung CD-Player.
„Er will offenbar, dass sich seine CD amortisiert“, bemerkte Sonja scherzhaft zu Doblhofer. Wenig später – der vom Schuhwerfer zum Stiefelkäufer mutierte Mann zückte soeben seine Kreditkarte – erklang ein gequälter Schrei durch das Geschäft.
Doblhofer lief zu der Stelle, von wo der Schrei gekommen war. Der Ladeninhaber kniete vor dem CD-Player und betrachtete die Überreste der Weihnachts-CD, die offenbar jemand aus dem CD-Player genommen und in der Mitte geknickt hatte. „17 Euro hat mich die CD gekostet!“, rief er. „Was soll ich damit machen?“
„Von der Steuer abschreiben“, riet Doblhofer. „Und vielleicht ersetzt Ihnen Ihre Verkäuferin den Schaden?“ ?

Welche Verkäuferin verdächtigt Doblhofer?

Lösung der vergangenen Woche:

Paula verdächtigt Steins junge Frau. Bis zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand etwas Konkretes über die Brandursache. Sie spricht jedoch sofort und ausschließlich von Brandlegung.

Der Autor

Harald Mini lebt in Linz und arbeitet als Richter. Neben juristischer Fachliteratur schreibt er u. a. Satiren („Männer beim Friseur“ und „Goldhauben für Sibirien“) und Krimis (u. a. zwei ORF-„Tatort“-Krimis) und erfindet Kinderspiele. Im Leykam-Verlag sind die Thrillersatiren „Der Da Linzi-Code“ und „Innominati“ erschienen.

www.krimiautoren.at

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