Von Kindern und Vätern

Ein Foto von einem leicht bekleideten Mädchenlandet auf Facebook. Außerdem wird eine Autobatterie abgeklemmt.

Lösen Sie den Fall
Wer war der Facebook-Poster?

Anna Bergmann, die Kommandantin der Polizeiinspektion Schladming, hatte eine Tochter und zwei Söhne im fleißigsten Facebook-Alter. Sie kommunizierte erst im Antwortmodus mit ihren Kindern. Die Erstkommunikation war bei ihr immer noch das Mobiltelefon im Sprachmodus oder höchstens ein kurzes SMS. Sie war eben älter als die Kinder.

„Ihre Tochter wurde also nach einer Nacktfotoserie auf Facebook in der Schule gemobbt?“ – „Fast Nacktfoto, sie hatte ihr Bikinihöschen an“, antwortete der Mann im Stuhl gegenüber. Irgendwie hatte Anna das Gefühl, dass er sich gemobbt fühlte und sie auf jeden Fall mit seiner Tochter reden müsste. „Sie müssen etwas unternehmen, Frau Kommandantin. Ich lasse meine Tochter auf keinen Fall im Stich.“– „Das sollten Sie auf keinen Fall“, baute Anna eine Vertrauensbrücke.

„Schuld ist sicher der junge Mann, mit dem sie jetzt unterwegs ist.“ Das konnte Anna weder bestätigen noch verneinen. Sie kannte ihn nicht. „Sie müssen ihn verhören.“ Er verlangte nicht, sie sollte ihn einsperren, bis er gestand. Aber die Gesichtszüge des Mannes waren eindeutig. Anna versprach, mit seiner Tochter zu reden und den jungen Mann ernsthaft zu befragen. Der Mann verließ die Polizeiinspektion, gemäßigt zufrieden. Mehr nicht.

Die Tochter Bianca traf Anna in Zivil, im Cafe Biochi in der Martin-Luther-Straße. Es war bio und Bistro, und Anna war nicht regelmäßig, aber doch öfter dort. Bianca saß mit einem jungen Mann beim gemischten Obstsaft. Bio natürlich. „Hans“, stellte sie vor.

Ganz offensichtlich der junge Mann, um den es ihrem Vater ging. Ganz offensichtlich war Bianca ganz anderer Meinung als der Vater. Sie schien ausreichend verliebt. Und er auch. Anna war zufrieden. Mit etwas Glück war nur ein Cappuccino mit einem wirklich hervorragenden Apfelstrudel für die Ermittlung nötig.

Nach anfänglichem Zögern, vor allem Hans war der Polizeichefin der Stadt Schladming gegenüber etwas misstrauisch, kristallisierte sich der Tathergang aus der Sicht der beiden so heraus: Sie hatten die Fotos gemacht. Nicht nur dieses. Aber es war freudiger Leichtsinn gewesen. Bianca gestand, dass sie das Fotografieren mit Hans sehr erotisch gefunden habe. Wie das Ganze auf Facebook gekommen sein sollte, war beiden unklar. Sie war es nicht gewesen, und er auch nicht, legten sich beide fest. Das wirklich Besondere an ihren Aussagen war, dass sie meinten, sie würden jetzt zwar in der Schule von einigen Mitschülerinnen und Mitschülern gehänselt, aber das würden sie locker durchstehen. Sie seien keine unreifen Teenies, sie seien beide siebzehn, knapp davor jedenfalls. Sie seien sehr froh, dass Anna ein dem Anschein nach privates Treffen gewählt hatte, um sie zu befragen.

Bianca legte auch eine neue Spur. „Es ist so, bitte verraten Sie mich nicht, unsere Väter vertragen sich überhaupt nicht.“ Hans unterstützte sie. „Sie sind beide Steuerberater, und mein Vater hat ihrem vor gut einem Jahr einen wichtigen Kunden abspenstig gemacht. War nicht gerade fein, aber auch nicht strafbar. Mein Vater war richtig stolz, dass er geschickter gewesen war.“

Anna bat Hans' Vater ein paar Tage später zum Gespräch in die Bäckerei Lasser. Dort konnten die beiden so tun, als ob das Treffen zufällig wäre. Der Vater von Hans bestätigte den geschäftlichen Vorfall. Der Kunde sei mit dem Vater von Bianca schon lange unzufrieden gewesen und habe ein Treffen auf der Hochgolling-Hütte benutzt um vorzufühlen, was er von einem Wechsel der Firma halten würde. Die Firma sei eine gute und wichtige und lukrative, und so habe er sich sehr gefreut, das Angebot annehmen zu können. Der Wechsel sei keine Existenzfrage für die Firma von Bianca Vater gewesen, wohl aber eine hochrangige Prestigefrage, gab der Mann zu.

Die Beziehung seines Sohnes zu Bianca sah er neutral. Es hätte keinen Sinn, dagegen zu sein. Die Kinder seien Jungerwachsene und würden sich ohnehin nichts sagen lassen. Es würde gutgehen oder auch wieder aufhören. Das Übliche halt. Seine Frau befürworte die Beziehung, auch die Mutter von Bianca habe nichts dagegen. Sie habe schon Krach mit ihrem Gatten gehabt. Deshalb.

Dann wurde Anna einige Wochen vom Nigth Race, dem großen Weltcupereignis in Schladming, davon abgehalten, den Fall weiterzuverfolgen. Die Schistars und fünfzigtausend Besucher verlangten den totalen Einsatz aller Polizeikräfte.

Bald danach wurde Anna von Hans informiert, dass die Batterie des Autos seines Vaters abgeklemmt worden wäre. Es war Anfang Februar, und der Fall wäre sehr lästig gewesen. Der Vater hätte sich darüber gewaltig geärgert und den Vater von Bianca verdächtigt. Er würde sich zu revanchieren wissen. Anna sollte etwas unternehmen.

Aber was, fragte sich Anna. Ermittlungen über eine abgeklemmte Batterie waren finanziell nicht tragbar und die mögliche Drohung viel zu vage. Sie bat Biancas Vater zu einem Gespräch. Sie bat. Das kam bei ihm gut an. Sie ging sogar nach Dienstschluss in seine Kanzlei, um jedes Aufsehen zu vermeiden.

Biancas Vater schien resigniert zu haben, zumindest dies. Die beiden jungen Leute seien nicht zur Vernunft zu bringen. Er hoffe auf die Zukunft, die manchen Irrtum von verliebten jungen Leuten heilen würde. Anna fragte so nebenbei, nachdem sie ihm wegen der Zukunft verliebter Beziehungen zugestimmt hatte, ob Bianca ihren Computer leichtsinnig herumstehen ließe. Das hatte Anna von deren Mutter erfahren. „Das Kind ist daheim schlampig und lässt das Gerät stets ungeschützt auf ihrem Tisch stehen. Jeder könnte die Bilder abgeschickt haben.“

Anna war sich im Klaren. Sie sah Biancas Vater sehr ernst an. „Kommen Sie morgen nach siebzehn Uhr in die Schulgasse 47. Der Vater von Hans wird auch dort sein.“ In ihrer Wohnung würde sich der Fall leichter lösen lassen. Sie stand auf, bedankte sich für den guten Kaffee und ging.


Wo war in dem anscheinend umfassenden Idyll der stinkende Kern?

Der Autor

Günter Lehofer
war Politik-Redakteur in der „Kleinen Zeitung“. In der Pension begann er, Krimis zu schreiben. Sein erster liegt nun vor: „Anna und die Südwand“, ein Schladmingkrimi. Besonders freut ihn, dass er eine Frau als Kommandantin einer Polizeiinspektion durchsetzen konnte.


Fischer

www.krimiautoren.at


Lösung der vergangenen Woche:

Martin verdächtigt Palffy. Bei Bayer war die Schrift insgesamt zerronnen, was indiziert, dass der Text bereits vor der Kaffeepanne so da stand. Die Korrekturen hingegen, die Palffy gemacht hat, waren nicht verschwommen, was Martin vermuten lässt, dass diese erst dann gemacht wurden, nachdem Zernak die Hefte getrocknet hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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