Franz im Glück

Eine Frau stirbt an ihrem eigenen Schwammerlgulasch. Ein Knollenblätterpilz war diesem untergemischt.

Lösen Sie den Fall
Wo war der entscheidende Hinweis?

Endlich“, murmelte Franz Enter erleichtert und atmete die frische Morgenluft am offenen Fenster ein. Endlich hatten die Gewitter der vergangenen Nacht, die der letzten Hitzewelle gefolgt waren, der Stadt die – im wahrsten Sinn des Wortes – heiß ersehnte Abkühlung gebracht.

Bei 36 Grad Celsius zu arbeiten war wahrlich kein Vergnügen. Es sei denn, man war Badewaschl in einem der zahlreichen Wiener Freibäder und obendrein stressresistent. Weder das eine noch das andere traf auf den Kriminalinspektor der Mordgruppe zu. An den letzten Hundstagen war er daher zum Leiden verurteilt gewesen, worauf er sich allerdings bestens verstand.

Heute war endlich Schluss mit der Bullenhitze der vergangenen Tage und Nächte. Das Thermometer zeigte angenehme 19 Grad im Schatten. Mehr als 24 sollten es laut Wettervorhersage an diesem Sonntag, der ausschließlich ihm gehörte, nicht werden.

Nach der Morgentoilette gönnte Enter sich ein ausgiebiges Frühstück mit Eierspeise und knusprig gebratenem Speck zur „Presse am Sonntag“. Danach zog er seine beige Bermudashorts, das khakifarbene Polohemd, ein Paar neue weiße Sportsocken und die Trekkingsandalen an. Draußen war es viel zu schön, um zu Hause zu bleiben.

Heute war Bewegung an der frischen Luft angesagt. Diesmal nicht nur seinem Arzt zuliebe, sondern ganz und gar freiwillig. Zuerst wollte Enter mit der U-Bahn nach Hütteldorf fahren, danach eine Wienerwaldwanderung unternehmen. Wenn er Glück hatte, würde er vielleicht sogar ein paar Schwammerln finden. Er kannte einige Stellen, an denen die Pilze nach dem Regen nur so aus dem Boden schossen.

Blieb zu hoffen, dass diese nicht schon von anderen Spaziergängern, die früher als er unterwegs waren, entdeckt und gebrockt wurden. Auf alle Fälle nahm er eine Leinentasche mit, wie sie heutzutage jeder einigermaßen umweltbewusste Konsument im Supermarkt erwerben konnte. Dass Plastiksackerln ein Fluch für den Planeten waren, hatte sich mittlerweile bis zu Franz Enter herumgesprochen. Dass sie zum Schwammerlsammeln gänzlich ungeeignet waren, wusste er schon länger. Kamen die Pilze erst einmal ins Schwitzen, verdarben sie rasch. Und das wäre ewig schade gewesen.

Da Enter an diesem Sonntag bei bester Laune war, landete ein Euro im Pappkarton des Akkordeonspielers in der U-Bahn-Endstation. Wenigstens tat der Mann etwas für sein Geld und lungerte nicht nur mitleidheischend herum, um Passanten anzubetteln. Das gehörte gesetzlich verboten, fand Enter. Mit dem Bus fuhr er zwei Stationen bis zur Bujattigasse, wo er seine Wanderung startete. Unmittelbar nach der Ernst-Fuchs-Villa, einem Jugendstiljuwel, das dem bedeutenden Maler und Mitgründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus als Museum diente, bog er in den schmalen Waldweg ein, der sogleich ziemlich steil bergan ging.

Es dauerte nicht lang, und dem Inspektor lief trotz der relativ milden Temperatur im schattigen Wald der Saft über Stirn und Rücken. Doch ohne Schweiß kein Preis. Und siehe da: Bald schon leuchtete ihm der erste helle Hut etwas abseits des Weges entgegen. Enter verließ den markierten Pfad und steuerte auf den Parasol zu. Besonders groß war er nicht, zählte er doch zu den frühen Exemplaren, dennoch eindeutig identifizierbar. Immer wieder verwechselten Leute Parasole mit giftigen Knollenblätterpilzen. Dabei war der Ring am Stil des schmackhaften Speisepilzes doppelrandig und in beide Richtungen verschiebbar, während der Giftpilz an der Stilbasis über der namensgebenden Knolle eine kelchartige Hülle aufwies.

Freilich waren diese Merkmale gerade im jungen Stadium nicht immer ganz eindeutig. Im Zweifelsfall ließ man eben die Finger davon, wollte man keine folgenschweren Organschäden oder gar den Tod riskieren.

Erst im vergangenen Herbst hatte es der Kriminalinspektor mit einer tödlichen Pilzvergiftung zu tun gehabt. Drei Tage lang hatte eine Frau nach dem Verzehr ihres selbst zubereiteten Schwammerlgulaschs unter Magenkrämpfen gelitten. Erst am vierten Tag war sie ins Spital eingeliefert worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Gift bereits ihre Leber angegriffen. Zwei Tage später, unmittelbar vor der rettenden Organtransplantation, war sie verstorben. Ihr Mann, der ebenfalls von dem Gulasch gegessen hatte – was seine Gattin vor ihrem Ableben noch bestätigt hatte –, war ohne Beschwerden davongekommen. Offenbar hatte die Frau den einzigen Giftpilz im Gulasch erwischt. Dabei war sie die Schwammerlkennerin gewesen.

Der Mann gab an, keine Ahnung davon zu haben. Ausschließlich seine Frau habe daher die Pilze gesammelt und zubereitet. Er habe sie lediglich in den Wald begleitet. Ausgerechnet ihm zu unterstellen, seine Frau vorsätzlich vergiftet zu haben, sei eine bodenlose Frechheit.

Niemals hätte er von dem Schwammerlgulasch gegessen, wenn er gewusst hätte, dass sich Knollenblätterpilze darin befinden. Das klang so weit plausibel. Dennoch war sich Enter sicher, dass der Mann hinter der tödlichen Vergiftung seiner Frau steckte. Nach dreistündigem Verhör bestätigte sich schließlich sein Verdacht. Der Mann gestand, die zerkleinerten Hüte zweier Knollenblätterpilze in einem unbeobachteten Moment in den Gulaschteller seiner Frau gegeben zu haben. Sicher war sicher. Das brachte ihn für mehrere Jahre hinter Gitter.

Franz Enter zählte an diesem Sonntag sieben prachtvolle Parasole, deren Hüte er zu Hause panieren und herausbacken wollte. Mit Sauce Tartare und Petersilerdäpfeln würden sie ein köstliches Abendessen ergeben. Glücklich über die Ausbeute setzte er seinen Weg fort. Noch ein kurzes steiles Waldstück lag vor ihm, dann erreichte er die Wiese. Von dort ging es nur noch eben oder bergab weiter, über den Silbersee bis zum Kleinen Schutzhaus im Rosental, wo es die besten Heidelbeerpalatschinken der Stadt gab. Allein beim Gedanken daran lief Franz Enter das Wasser im Mund zusammen.


Wieso wusste Enter schon vor dem Geständnis des Mannes, dass dieser seine Frau vorsätzlich vergiftet hatte?

Die Autorin

Claudia Rossbacher
hat in Städten von Teheran bis Osaka gelebt und als Model, Texterin und Kreativdirektorin gearbeitet. Seit 2006 schreibt sie Kurzkrimis und Kriminalromane. Ihr erster Alpenkrimi, „Steirerblut“, wurde verfilmt, „Steirerkreuz“ 2014 mit dem „Buchliebling“ ausgezeichnet. Auch ihr aktuelles Werk, „Steirerland“, hält sich seit Monaten in den österreichischen Bestsellerlisten.
Rafaela Pröll


Lösung der vergangenen Woche:

Doblhofer verdächtigt den Hilfsarbeiter. Denn jener weiß offenbar, dass der Bauherr mit einem Ziegel erschlagen worden ist, obwohl dies Doblhofer gar nicht erwähnt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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