Der Bass des Falken

Martin betrat die Musikalienhandlung. Eine altmodische Glocke über der Tür ertönte. Die Einrichtung wirkte, wenn man das bei einem in den 1970ern in der Szene zu ähnlichem Ruhm wie die von ihm ausgestatteten Stars gekommenen Laden überhaupt sagen konnte, altmodisch.

Oder abgehalftert, wie die damaligen Stars nach mittlerweile drei Jahrzehnten im Music-Biz; wenn sie überhaupt noch lebten.
Dennoch herrschte eine besondere Magie, die von den vielen Instrumenten, Lautsprecherboxen und großformatigen Werbeplakaten auszugehen schien. Martin war diesem Zauber verfallen. Schon seit frühester Jugend. Die Nase hatte er sich an der Auslagenscheibe platt gedrückt, wenn einer der bekannten Musikgrößen seine Ausstattung für die nächste Tournee hier ausgesucht hatte. Wie viele angehende Musiker hatte er gehofft, dass etwas von dem Glanz dieser Größen auf ihn abstrahlen würde. Ein leises Schimmern musste es noch geben, sonst hätte Martin diesen Auftrag kaum angenommen. Aus der Musikerkarriere war nichts geworden, dafür lag sein Tagessatz heute weit über dem jährlichen Tantiemenbezug eines Durchschnittmusikers. Für Lars Egger, den Chef, machte er heute eine Ausnahme.
Dieser kam auf ihn zu. In einem in Rottönen gemusterten Hemd, mit ausgebeulter dunkler Hose. Er sah aus wie vor zwanzig Jahren, als sie einander kennen gelernt hatten - um dreißig Jahre gealtert.
„Gut, dass du da bist!" Musiker, auch ehemalige oder verhinderte, duzten einander, unabhängig vom Alter.
„Was ist denn passiert?", fragte Martin. „Am Telefon warst du ja ganz aus dem Häuschen."
„Was passiert ist? Da sieh her!" Lars Egger deutete auf die vom Rauch der letzten Dezennien verfärbte Wand. Also auf einen leeren Fleck darauf.
„Ich sehe nichts", war Martins ehrliche Ansage.
"Eben. Sie ist weg." Egger schien verzweifelt. Sein Blick wanderte hektisch zwischen Wand und Martin hin und her. Der war immer noch nicht im Bilde, was fehlte. „Falcos Bassgitarre. Da ist sie gehangen. Bis gestern Abend. Du musst mir helfen!", flehte Egger Martin an.
Der österreichische Kommerz- wie Kulturbetrieb schmückt sich gerne mit Ikonen. Am besten mit solchen, die tot sind. Die können sich nur selten gegen ihre Vereinnahmung wehren.
„Warum holst du nicht die Polizei?"
„Das kann ich nicht. Der Bass war eine Leihgabe. Wenn ich dem Besitzer erklären muss, dass er weg ist, bekomme ich große Probleme."
„Du wirst ja nicht dein Fleisch auf den Rippen verpfändet haben", stellte Martin in Anspielung auf den Kaufmann von Venedig fest.
„Nein, aber mein Geschäft."

Martin ließ sich den Tagesablauf schildern. Er stellte die üblichen Routinefragen. Nach einer Alarmanlage, die es zwar im Geschäft, aber nicht an den einzelnen Objekten gab.
„Es muss jemand gewesen sein, der Zugang zum Geschäft hat", erklärte Egger, der angeblich als Letzter die Tür versperrt hatte.
„War wirklich nichts Ungewöhnliches an diesem gestrigen Tag? Etwas, das ein wenig von der sonstigen Routine abweicht?", befragte Martin abermals Lars Egger. Der strich sich über das Kinn. „Naja, viele Leute im Geschäft, ein Konzert am Abend, also mit dem PA-Verleih, ...ah ja deswegen ist auch der Fidschi was holen gekommen, und dann die Lieferung von den Tschechen. Superröhrenverstärker bauen die jetzt dort. Aber die sind im Schneechaos hängen geblieben, und ich musste bis weit nach Geschäftsschluss warten. Als s' dann da waren, haben s‘ die Sachen ins Magazin geliefert und sind weg, na und dann bin auch ich gegangen."
„Hat jemand einen Schlüssel?"
„Ja, meine Putzfrau, aber die kommt nur jeden zweiten Tag. Sonst die Leute vom Verleih."
Das war immerhin eine Spur, dachte Martin, der sich die Namen der Angestellten geben ließ. Zwei hatten an diesem Tag Dienst. Der dritte frei.
„War gestern etwas ungewöhnlich?", fragte Martin Ronnie, einen Mittfünfziger, dessen Wölbung um die Mitte über den Bund der hautengen Jeans trat. Das verbeulte T-Shirt wirkte, als ob es seit Eröffnung des U4 nicht mehr gewechselt worden wäre. Gewaschen auch nicht. Marco rümpfte die Nase, was Ronnie nicht entging.
„T´schuidige, oba wir ham gestern a PA aufbaut, es is spät wurdn und i woar no ned daham."
Das war immerhin ein Alibi, dachte Martin.
„Mitten in der Nacht hab ich des Grafl wieder ins Lager g'ramt." Also doch kein Alibi seufzte Martin innerlich.
„Waren Sie allein?"
„Na, der Fidschi, unser Lehrbua, hot ma g'hoifn. Der hat deswegen heut schon wieder frei."
Der zweite Verkäufer, Max, wegen seines aristokratisch gestutzten Oberlippenbärtchens auch der „Baron" genannt, konnte wenig zu den Vorfällen sagen. „Hören S', gestern war ein großer Andrang, weil wir knapp vor Weihnachten immer viele Kunden haben. Außerdem, was sollt ich mit dem Ruder vom Falken? Ich spiel Gitarre, außerdem bin ich froh, wenn ich's nimmer sehn muss. Weil rausg'haut hat er mich, nachdem sei Karriere begonnen hat."
Auch kein schlechtes Motiv dachte Martin.

Bislang waren die Ergebnisse so dünn wie der Klang seiner ersten selbst gebauten Gitarre. Martin musste wohl oder übel auch den Lehrling befragen, bevor er erste Rückschlüsse anstellen konnte.
Er suchte ihn an seiner Wohnadresse, die er von Egger erhalten hatte, auf. Sein Mitbewohner erklärte Martin, dass Herr Fidler, wie der Bursche mit bürgerlichem Namen hieß, im Cafe Hummel säße. Beim Frühstück.
Martin hatte ihn anhand der erhaltenen Beschreibung schnell ausgemacht und setzte sich zu ihm an den Tisch. Er erzählte, was vorgefallen war, und dass er ihm ein paar Fragen stellen müsste.
„Was, ich hackel die ganze Nacht für ein Butterbrot, das kaum die Miete trägt, und jetzt kommen Sie mit Ihrem Verdacht zu mir?", reagierte der junge Mann heftig. „Das ist ja stark, da treiben sich am Abend die Ostler herum, und ich, der sich nichts zu schulden hat kommen lassen, werde jetzt von Ihnen verdächtigt? Also das muss ich mir nicht anhören."
„Nein, müssen Sie nicht." antwortete Martin, „entschuldigen Sie die Störung."
Martin kontaktierte Egger und erzählte ihm, dass es eine heiße Spur gäbe.

Wieso war Martin so schnell sicher auf der richtigen Fährte zu sein?

>>Zur Lösung

Der Autor:

Christian Klinger, Jahrgang 1965, ist Jurist im öffentlichen Dienst, spielt E-Bass in mehreren Bands und schreibt seit 2001 Kurzgeschichten und Romane („Die Spur im Morgenrot", „Tote Augen lügen nicht").

www.krimiautoren.at

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