Ausweg aus der Knappheit: Es reicht nicht

Knappheit
Knappheit(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
  • Drucken

Egal wie viel Geld wir ansammeln, das Gefühl, zu wenig zu haben, bleibt. Knappheit im Kopf ist auch gefährlich. Sie lässt uns schlechte Entscheidungen treffen, macht uns schwach und ein wenig dümmer. .

Wir leben wie Könige. Wir fliegen über Ozeane. Maschinen mähen unseren Rasen und singen uns Lieder vor. Den Großteil des Wissens der Menschheit tragen wir in der Hosentasche mit uns herum. Wir gehören zu den Menschen, die ein Leben im Überfluss führen. Und doch werden wir das Gefühl nicht los, dass wir irgendwo immer zu kurz kommen.

Das Geld ist knapp – zumindest gegen Monatsende –, Zeit ist sowieso immer knapp, ja selbst der Platz für diesen Artikel ist wieder einmal zu knapp bemessen. Knappheit regiert die Welt. An dem Phänomen arbeiten sich Ökonomen seit Jahrhunderten ab. Knappe Güter effizient zu verteilen ist die Kernaufgabe der Wirtschaftswissenschaften.

Und doch greift die klassische Ökonomie damit mitunter zu kurz. Denn in vielen Teilen der Welt gibt es die klassische Knappheit nicht mehr. In Industrieländern fehlt weder Essen noch Energie, und im Internet wäre sogar für diesen Artikel mehr als genug Platz. Was bleibt, ist das Gefühl der Knappheit. Warum das so ist, fragen sich Ökonomen nur selten. Zwei US-Wissenschaftler haben es nun doch getan und herausgefunden: Die Knappheit im Kopf wird uns so bald nicht verlassen. Und das ist auch gefährlich.


Warum Arme oft arm bleiben. Egal ob es an Essen, Geld, Zeit oder Freunden mangelt, das Gefühl, zu kurz zu kommen, löst in den Köpfen der Menschen immer die gleichen Muster aus, sagen der Harvard-Ökonom Sendhil Mullainathan und der Princeton-Psychologe Eldar Shafir. In ihrem Buch „Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben“, liefern sie eine Antwort auf die Frage, warum Arme arm sind, warum sie es meist bleiben und was man tun könnte, um das zu ändern.

Schon aus früheren Studien war bekannt, dass arme Menschen meist weniger langfristig in die Zukunft planen, sich ungesünder ernähren und eine schlechtere Bildung haben. Aber warum ist das so? Provokant gefragt: Tendieren dümmere und dickere Menschen zur Armut? Oder macht die Armut Menschen dick und dumm?

Die Antwort der Autoren – gespeist aus Dutzenden Experimenten – fällt eindeutig aus: Knappheit regiert unser Denken. Sie engt unseren Blick ein und kostet uns so viel IQ-Punkte wie eine durchgemachte Nacht. Wer auf Diät ist, denkt an den vollen Kühlschrank, wer zu viel arbeitet, denkt an den vollen Terminkalender, wer kein Geld hat, an das leere Konto. Dieser Tunnelblick ist manchmal nützlich, weil er uns effizienter macht. Ohne Deadline wäre wohl keine Zeitung dieser Welt je erschienen. Gleichzeitig bringt uns das Gefühl der Knappheit aber dazu, schlechtere Entscheidungen zu treffen. So kommt es, dass Schuldner bei teuren Kredithaien landen oder überarbeitete Menschen es für die beste Idee halten, eine Nachtschicht einzulegen. Sind wir einmal in einer Situation des Mangels, finden wir so schnell nicht mehr hinaus. Dabei spielt es keine Rolle, wie reich, gesund oder gebildet wir sind.

Das zeigte etwa ein Experiment, das die Wissenschaftler mit jungen Studenten der Elite-Uni Princeton durchführten. Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen geteilt und mussten gegeneinander bei einer simulierten TV-Gameshow antreten. Eine Gruppe wurde künstlich „reich“ gemacht. Sie erhielten mehr Zeit für die Beantwortung der Fragen. Die andere Gruppe „verarmte“ künstlich und musste mit weniger Sekunden auskommen. Das Ergebnis war verblüffend: In den ersten Runden räumten die „Armen“ ab. Der Zeitmangel machte sie effizienter, sie erzielten deutlich mehr Punkte pro Sekunde.

Doch sobald die Versuchsleiter die Anordnung etwas modifizierten und allen die Chance gaben, hoch verzinste Zeitdarlehen für die kommenden Runden zu kaufen, änderte sich das Bild schlagartig. Die Armen gierten förmlich nach den teuren Sekunden, kauften exzessiv zusätzliche Zeit und verloren klar.


Knappe Kekse schmecken besser. Das zeigt ein zweites Phänomen auf, das in der Wissenschaft schon länger bekannt ist: Knappheit fasziniert uns. Je schwieriger etwas zu haben ist, desto dringender wollen wir es. Gibt es ein Spielzeugauto vor und eines hinter der Schaufensterscheibe, wollen Kleinkinder zielsicher das hinter der Scheibe haben, zeigen Experimente. Auch Erwachsene sind da nicht viel souveräner. In einem Experiment sollten Probanden Kekse verkosten. Geschmacklich waren alle gleich. Und doch gab es große Unterschiede bei den Bewertungen: Je weniger Kekse auf dem Teller lagen, desto besser schmeckten sie. Am euphorischsten benoteten die Probanden die Kekse, wenn die Versuchsleiter das Keksangebot mit dem Hinweis verknappt hatten, man brauche das Gebäck für andere Teilnehmer. Je größer der Wettbewerb, desto begehrter die Kekse.

Diese künstliche Verknappung machen sich Firmen auch heute zunutze. Gut zu beobachten ist das alle paar Monate, wenn Apple ein neues Handy auf den Markt wirft und sich leider, leider wieder einmal verkalkuliert und zu wenig Geräte liefert. Obwohl dieser PR-Schmäh hinlänglich bekannt ist, finden sich immer noch hunderte Menschen, die eine Nacht lang vor den Apple Stores campieren, um nur ja nicht ohne neues iPhone nach Hause zu gehen. Gegen die Anziehungskraft knapper Güter sind viele scheinbar machtlos.

Ausweg aus der Knappheit. Doch Mullainathan und Shafir liefern auch Auswege aus dem Teufelskreis – wenn auch wenig bahnbrechende: Menschen sollen gute Handlungen automatisieren. Also etwa regelmäßig Geld auf ein Sparbuch überweisen oder die Miete automatisch abbuchen lassen.

Den weitaus originelleren Umgang mit dem Problem der Knappheit finden stattdessen immer mehr Menschen von sich aus. Sie machen sich selbst rar, werden so zum knappen Gut. Personalchefs stellt das vor neue Hürden. Alte Muster von Karrieremännern und Familienfrauen gelten nicht mehr. Auch junge Männer sind nicht mehr automatisch gewillt, 70 Stunden die Woche in der Arbeit zu verbringen. Gesellschaftlich ist das akzeptiert. Wer freiwillig weniger arbeitet, steigert zwar nicht zwingend seinen Marktwert, im Idealfall aber Selbstwert und Wohlbefinden – vorausgesetzt, er kann es sich leisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.