Helmut Lang. Der Wiener Designer wird in Paris gefeiert. Eine Weltkarriere beginnt sich abzuzeichnen.
[23. Mai 1987] Helmut Lang, der „Wiener in der Mode“, wie ihn ein Pariser Magazin genannt hat, ist nur für eine knappe Woche in Wien. Ich treffe ihn in seiner Atelierwohnung im ersten Bezirk, regengrau schimmert es durch die Dachschräge. Wir sitzen an einem runden Tisch, wo es gut ist, sich zu sammeln; aus dem Wehrmachtsblechnapf nicken die roten Tulpen. Helmut Lang ist braun gebrannt von einigen wenigen Tagen am Dachstein, ist ruhiger, gelassener und etwas kompakter als auf dem nicht ganz letzten Foto „von jugendlicher Schöne“, wie er ironisiert. Für ein neues bleibt keine Zeit und noch weniger Animo.
Ja, das Tempo werde immer rascher, und jeder müsse für sich persönlich herausfinden, was er mit seiner Zeit mache. Nach der ersten Kollektion in Paris hätten die Interviewer ihn überrannt, mittlerweile sei er sparsam geworden mit Öffentlichkeitsterminen, mache keine Cocktails und Eröffnungen und kein „Durchschneiden des Bandes“ mit. Über die Zeit neben der Arbeit, die ja sein Leben sei, müsse er frei verfügen, da müsse er Reserven schöpfen.
„Das Kreative macht unruhig, zweifelnd, als Gegengewicht braucht es Ruhe.“ Er lässt sich nicht überrollen, will trotz allem ein gesundes, natürliches Leben leben, was nichts mit „grün“ zu tun habe. „Nur das wiederfinden, was wir verloren haben, wie meine Großmutter es gemacht hat. Das Stück Fleisch war klein, das Gemüse aus dem Garten war ,bio‘.“
Helmut Lang ist am 10. März 1956 in Wien geboren, aufgewachsen ist er am Dachstein, bei den Großeltern. Das „herbe Antlitz der Landschaft“ habe ihn geprägt, ebenso die Bekanntschaft mit der Wiener Werkstätte und der Secession, steht in seiner Kurzbiografie.
Premiere im Centre Pompidou
Die Ausstellung aus eben dieser Periode, nämlich „Traum und Wirklichkeit“, hat ihm schließlich zu dem verholfen, was er den „Brückenschlag zwischen Wien und Paris“ nennt, was ihm den, in diesem Ausmaß nicht vorhersehbaren, internationalen Erfolg und Durchbruch gebracht hat: eine kleine Kollektion, durch Vermittlung des österreichischen Handelsdelegierten im Kaffeehaus der Ausstellung und – als erste Modeschau überhaupt – im Centre Pompidou gezeigt. Mit einem enthusiastischen Echo seitens der internationalen Presse wie seitens der Einkäufer. Der Preis für den besten ausländischen Modeschöpfer wurde ihm ex aequo mit Romeo Gigli verliehen, der damals noch ein Geheimtipp war und jetzt der große Star der Mailänder Modeszene ist.
Inzwischen arbeitet Lang an einer italienischen Konfektionskollektion, für die noch vor Kurzem Gianni Versace zuständig war, und verkauft die Helmut-Lang-Damenkollektion – erstmals in dieser Saison nach den Wiener Anfängen hat er auch Herrenmode gezeigt – in Amerika, Japan, Italien, in der Schweiz, in Deutschland, Holland, Belgien, Frankreich. Und in Österreich, natürlich, wo er noch immer seine Basis hat. „Wien ist schon eine gute Basis.“ Und wo die Mode entsteht. Eine Mode, die vor allem im Ausland als sehr österreichisch empfunden wird, eine „österreichische Botschaft“, wozu er bemerkt: „Das nicht verlieren, was uns groß gemacht hat“, was er wohl nicht oder nicht nur persönlich meint.
Ein Stil, eine ganze Handschrift, die die „alpenländischen, ursprünglichen Formen reduzieren zu einer neuen Modernität“. So nimmt er das Hemd oder die Bluse aus einer Tracht, oder Details von einer Uniformjacke, die uns vertraute Rundnaht, Kniehosen, und nennt den kurzen Mantel „Hubertusstutzer“. Die Stoffe kommen natürlich aus Österreich und aus österreichischer Tradition. Alles himmelweit entfernt von dem, was man als österreichische Trachtenmode anbietet. (Seine als Trachtencouture apostrophierte Kollektion für eine österreichische Industriefirma ist ebenso reduziert, arbeitet aber mit offensichtlicheren Details.)
Durchhalten hieß es nach dem ersten Pariser Erfolg, der unbestechlichen internationalen Kritik standhalten, eine Kontinuität finden, das eigene Profil. „Die Zeit ist reif für Eindeutigkeit, Verrücktheiten im Design sind vorbei“ – und ebenso die „theatralische Überdimension“ der Modeschauen, mit denen er in Wien sein Renommee begründet hat. Modeschauen heute liebt er zurückhaltend, ruhig. Die zweite fand im Pariser Kunstbuchverlag Éditions du Regard statt, die letzte im verglasten Hof der Akademie der Schönen Künste. Er hat sie der „femme généreuse“ gewidmet, was „die großzügige Frau“ bedeutet, aber auch „die üppige Frau“. Er interessiert sich jetzt auch für die weibliche Anatomie, spricht von einer neuen „Abrundung“, weich und gleichzeitig reduziert, und hat begonnen, 50er-Jahre-Vasen zu sammeln, weil sie dem Umbruch in der Mode entsprächen, einer neuen Weichheit.
„The expatriates“ lautet ein weiteres Motto, die Exilanten im Paris der 1930er-Jahre bis zum Existenzialismus: Gefühlsbetont ist diese Frau, welterfahren, mit einer zumindest kurzzeitigen „Heimatlosigkeit, die extreme Gefühlslagen begünstigt“. Mode als ein Ausdruck der Emotionen, der Gegensätze; Ruhe und Bewegung, statische und elastische Stoffe, Männermode mit sehr männlicher Aussage und eine ausgeprägt weibliche Mode der Frau. Denn „wenn von irgendwo bis zu dieser Jahrtausendwende eine neue Kraft kommt, kommt sie von der Frau, sie hat Reserven, hat Integrität gesammelt“.
Monique Traska schrieb von den Siebzigerjahren bis 2001 für „Die Presse“ über Mode.
("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)