Herr Udo: Zuckerbäcker als Schifferlversenker

Archivbild UDO PROKSCH zu Buchpraesentation
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Geheimbund. Mit dem Club 45 in der Konditorei Demel kreierte Udo Proksch einen Zirkel, der in der Form einmalig war. Dort wurde rote Politik gemacht – dort tüftelte Proksch den mörderischen Versicherungsbetrug mit der Lucona aus.

Die Touristen, die sich täglich die Nase an den Auslagen des Barockhauses am Kohlmarkt 14 in der Wiener Innenstadt platt drücken, stoßen Entzückensschreie aus. Heerscharen von Japanern drängeln sich, um die einzigartigen Kunstwerke aus Marzipan und Zuckerguss, wahre Inszenierungen, die sich an aktuellen Ereignissen der Weltgeschichte orientieren, digital festzuhalten. Sie wissen höchstens, dass die Konditorei Demel „sehr alt“ ist – mit 227 Jahren sogar älter als „Die Presse“. Und sie kennen vielleicht ein paar G'schichterln, die die wunderschönen Räume dieses Süßigkeiten-Imperiums erzählen: von den Grafen und Prinzesschen, die sich vom „Küß' die Hand, haben schon gewählt?“ schmeicheln ließen. Und vom Kaiser Franz Josef, der sich zum Rendezvous mit seiner Geliebten vom Demel Krapfen liefern ließ.

Der schillerndste Gast, zudem fast 20 Jahre Hausherr des Kalorientempels, passt indes so gar nicht in das imperiale Fremdenverkehrsklischee. Hat er doch weniger durch neue Kuchenkreationen als durch die Lucona-Affäre – bei der absichtlichen Explosion eines Transportschiffes starben sechs der zwölf Besatzungsmitglieder – die Republik in ihren Grundfesten erschüttert. Udo Proksch und der Demel – das ist eines der aufregendsten Kapitel der „K. u. K. Hofzuckerbäckerei Ch. Demel's Söhne GmbH“, wie die noble Konditorei offiziell heißt. Ein Kapitel, das heute lieber nicht erwähnt wird.

Begnadeter Drahtzieher

Der „Herr Udo“, wie ihn die stets in schwarzes Tuch mit weißem Spitzenkragen gehüllten Demelinerinnen nannten, kaufte den Demel 1972 von Baron Berzeviczy-Pallavicini. Nicht direkt, sondern über die Schweizer Gesellschaft Lylac, bei der Gräfin (sic!) Cecilie zu Salm-Reifferscheidt das Sagen hatte. Ihr nicht so nobler Freund machte bald weniger durch Tortenkreationen denn als begnadeter Drahtzieher von sich reden.

In dem von Proksch 1973 gegründeten „Club 45“, der im zweiten Stock des Demel residierte, traf sich alles, was in der SPÖ damals Rang und Namen hatte. Der rote Adel hielt in jenen Räumen Hof, die noch heute das Flair der Monarchie ausstrahlen – welch eine Ironie des Schicksals, möchte man fast sagen, wenn eine Konditorei ein Schicksal hätte. Dem Klub gehörten unter anderem die damaligen Minister Karl Blecha, Helmut Zilk, Karl Sekanina, Günther Haiden, Herbert Salcher, Franz Kreuzer, Willibald Paar, Gerhard Weißenberg, Karl Lausecker, Erwin Lanc, Leopold Gratz und Karl (von) Lütgendorf an. Sie trafen dort auf Topmanager aus Industrie und Bankenwelt: Walter Flöttl, Karl Vak, Helmut Kienzl, Theodor Mellich, Walter Fremuth, Heribert Apfalter. Die Promi-Dichte in dem Netzwerk, das mit der geheimnisumwitterten italienischen Loge P2 verglichen wurde, war groß. Denn auch Anwälte, Journalisten und Künstler drängten sich um die „Proleten“, wie Proksch selbst despektierlich die Herren nannte, die an den Regierungshebeln saßen.

Proksch, der sich selbst als Enfant terrible der österreichischen Gesellschaft gefiel, der politisch nicht einzuordnen war, aber besonders gute Kontakte in die rote Reichshälfte unterhielt, profitierte natürlich von den „Klubaktivitäten“. Er soll  sogar die Treffen heimlich gefilmt haben, um das Material erpresserisch einzusetzen, als sein Versicherungsbetrug mit der Lucona aufflog. So ging jedenfalls das Gerücht.

Gerettet haben Proksch die Freunde nicht, schließlich mussten sie selbst um ihren Job bangen. Letztlich kostete die Lucona-Affäre, die Proksch zwischen Schokospitz und Esterházytorte austüftelte, 16 Politiker und Spitzenbeamte den Posten. Die Demelinerinnen hissten 1989 bei der Verhaftung des Herrn Udo schwarze Fahnen.

Noch einmal sollte das Tortenimperium kräftig wanken: Der neue Eigentümer Günter Wichmann (schon wieder ein „Piefke“, auch Demel-Gründer Ludwig Dehne und auch Proksch waren gebürtige Deutsche) agierte so glücklos, dass der Zuckerguss bald ab war. 1993 kam es zur Insolvenz. Das Kommando übernahm die Hauptgläubigerin Raiffeisen. Da war Proksch schon zu lebenslänglicher Haft verurteilt und sein „Club 45“ Geschichte.

Die Bankengruppe versuchte sich nicht sehr lange als Zuckerbäcker, sondern holte einen Spezialisten an Bord: 2002 übernahm das Catering-Unternehmen Do & Co den Demel. Dessen Chef Attila Dogudan hat viele Pläne, aber sicher nicht die Wiederbelebung eines Geheimbundes. Die Räume in den oberen Geschoßen vermietet er – für Hochzeiten und andere Events.

Auch Politik wird im Demel schon lange nicht mehr gemacht. Obwohl man die Frage „Haben schon gewählt?“ durchaus politisch interpretieren könnte . . .

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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