Vermögensberater: "Selbstbedienungsläden der Politik"

Selbstbedienungslaeden Politik
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Undurchsichtige öffentliche Bilanzen sind das Grundübel der Schuldenkrise, sagt der Vermögensberater Philipp Weckherlin. Er plädiert für einen Geschäftsbericht für Staaten und eine persönliche Haftung für Politiker.

Das Sparen hat noch gar nicht richtig begonnen, da ist es vielleicht schon wieder vorbei. Kommt das schuldengeplagte Europa nach dem Wahlsieg des Sozialisten François Hollande in Paris und dem politischen Chaos in Athen wieder vom Konsolidierungspfad ab? Der Schweizer Vermögensberater Philipp Weckherlin sieht das gelassen: Im Grunde sei es weitgehend egal, wer an der Spitze der Staaten stehe. Das Kernübel des europäischen Schuldendilemmas liege ohnedies woanders begraben: in den Bilanzen der Länder. Die seien nämlich so undurchsichtig, wenn sie überhaupt existieren, dass nicht einmal die Politiker selbst den nötigen Durchblick haben, um wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Von ihren Financiers, also den Steuerzahlern und internationalen Geldgebern, ganz zu schweigen. Abhilfe schaffen könnte nur eines: ein Geschäftsbericht für Staaten.

Versteckter Schuldenrucksack. „Undurchsichtig geführte Staatsbilanzen können oft zu Selbstbedienungsläden der Politik werden“, warnt der Mitbegründer der Schweizer CE Asset Management AG. Auch hierzulande können Politiker in ihren Bilanzen schalten und walten, wie sie wollen. Jeder der neun „Landesfürsten“ hat eine eigene Bilanzierungsvariante parat. In der Folge hat der heimische Rechnungshof schon Probleme damit, die Schuldenstände verschiedener Bundesländer zu vergleichen. Allein die Beamten in St. Pölten, Klagenfurt und Innsbruck kennen sechs unterschiedliche Arten, Schulden zu verbuchen.

Verbindlichkeiten, die erst in der Zukunft schlagend werden oder in staatsnahe Unternehmen ausgelagert wurden, scheinen in den Berichten gar nicht erst auf. „So können Belastungen auf künftige Generationen verschoben werden – und niemand bemerkt es.“ Das jüngstes Beispiel dazu lieferte das österreichische Parlament: Unter dem Titel „Belastung zukünftiger Finanzjahre“ haben die Abgeordneten künftige Mehrausgaben von rund 33 Mrd. Euro für die Bundesbahnen beschlossen. Was mit dem Geld genau geschehen soll, erfuhren die Parlamentarier auch auf Drängen der Opposition nicht. Beschlossen wurde die Mehrbelastung mit den Stimmen der Regierungsparteien trotzdem. Lediglich der (damals noch) ÖVP-Abgeordnete Ferdinand „Ferry“ Maier lehnte den Gesetzesentwurf ab.

Die Entwicklung ist erstaunlich: Von 2007 bis 2011 packte die Republik 55,8 Prozent an zusätzlichen Schulden in die Bilanzposition „Belastung künftiger Finanzjahre“. Mittlerweile dürfen sich künftige Generationen auf einen 193,6 Mrd. Euro schweren Schuldenrucksack von ihren Vorfahren freuen. Damit hat Österreich für die Zukunft schon fast so viel an zusätzlichen Schulden geplant, wie die Republik heute in Summe in der Kreide steht (siehe Grafik).


Verleitet, zu viel zu versprechen. Für Weckherlin sind solche Zahlenschiebereien schlichtweg untragbar. „Es macht keinen Unterschied, ob ich ein Unternehmen führe oder einen Staat“, sagt er. „Auch das System Österreich, Schweiz oder Griechenland muss wirtschaftlich vernünftig geführt werden. Und das ist ein Managementjob.“ Finanzminister, die einräumen müssten, dass nur zehn Prozent der Bürger tatsächlich Steuern bezahlen, würden sich damit selbst für den Job disqualifizieren.

Erst wenn Politiker regelmäßig für ihre wirtschaftlichen Entscheidungen Rechenschaft ablegen müssten, könne sich etwas ändern. So wie jedes Unternehmen, das auf dem Kapitalmarkt Geld aufnehmen wolle, sollten auch Staaten aussagekräftige und nachvollziehbare Geschäftsberichte vorlegen. Davon würden letztlich alle profitieren: Steuerzahler und Kreditgeber bekommen erstmals eine Ahnung davon, was mit ihrem Geld passiert. Und Politiker erhalten endlich einen klaren Überblick über den wahren Zustand der öffentlichen Finanzen.

Ohne saubere Bilanzen und ohne Cashflow-Rechnungen seien Volksvertreter immer verleitet, mehr zu versprechen, als das System leisten kann. „Sie können den fähigsten Mann an die Spitze eines intransparenten Unternehmens setzen“, sagt Weckherlin. „Er wird es früher oder später an die Wand fahren.“

Jährliche Geschäftsberichte würden Politiker aber nicht nur zwingen, darüber Rechenschaft abzulegen, was sie mit dem Volksvermögen gemacht haben, sie böten auch die Chance, regelmäßig zu prüfen, welche Vermögenswerte der Staat noch selbst halten muss und was er vielleicht besser auslagern sollte. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen sollte abgestoßen und zur Reduktion der Schulden verwendet werden, rät der Schweizer und rührt damit an ein Reizthema: Immer noch ruft der Verkauf von Staatseigentum reflexartige Abwehrreaktionen hervor. „Ich habe null Verständnis dafür, wenn aus dem Staatshaushalt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vor allem ein emotionelles Thema gemacht wird.“ Wer sich kein eigenes Hallenbad leisten könne, dürfe eben keines bauen. Mit emotionalen Argumenten könne man „fünf, zehn oder hundert Milliarden verbauen“. Ausgegeben werde damit aber immer das Volksvermögen.


Haftung für Politiker. In letzter Konsequenz kann aber auch die stärkere Transparenz in den Bilanzen nur ein erster Schritt sein. Um das Verantwortungsgefühl der Politiker gegenüber ihren Geldgebern zu erhöhen, kann sich Weckherlin vorstellen, sie für grob fahrlässige wirtschaftliche Fehlentscheidungen persönlich haftbar zu machen.

So geschehen vor wenigen Wochen in Island. Der frühere Premier Geir Haarde wurde wegen der verheerenden Bankenpleiten im Jahr 2008 von einem Sondergericht schuldig gesprochen. Er habe es verabsäumt, eine Kabinettssitzung einzuberufen, als sich die Lage verschärfte, urteilte der Richter. In vier weiteren Punkten wurde Haarde freigesprochen, er kam letztlich straffrei davon. Die Symbolkraft aber bleibt: Erstmals musste sich ein Politiker vor Gericht für seine Rolle in der Finanzkrise verantworten.

In der Schweiz ist die persönliche Haftung für Volksvertreter nichts Neues mehr. Kleine Gemeinden müssen jedes Jahr ihr Finanzgebahren vom Volk absegnen lassen, sich quasi wie der Vorstand eines Unternehmens die Entlastung der Eigentümer holen. Verantwortlich für die Korrektheit der Rechnung ist der Chef der Rechnungsprüfungskommission, erzählt Weckherlin, der früher selbst in dieses Amt gewählt wurde. Gibt es grob fahrlässige Fehler, haftet der gewählte Volksvertreter persönlich.

Mit dem Export seiner Idee, Staaten stärker wie Unternehmen zu führen, hat der Schweizer bisher nur teilweise Erfolg. „Bei Beamten stoßen wir meist auf Verständnis“, sagt Weckherlin. „Politiker sind schwieriger zu überzeugen. Sie bedanken sich zwar auch für die ,Vorlesung‘, melden sich danach aber wieder ab.“

(c) Die Presse / HR

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)

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