Gastarbeiterkind sub auspiciis praesidentis

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Hüseyin Özcelik hat als erster Türke in Österreich seinen Bildungsweg mit der höchstmöglichen Auszeichnung abgeschlossen. Er wünscht sich ein Ende der frühen Trennung in der Schule.

Eigentlich standen die Zeichen ja nicht sonderlich gut, dass Hüseyin Özcelik es überhaupt an eine Uni schaffen würde: Sohn türkischer Gastarbeiter, Eltern bildungsfern, einfache Verhältnisse – der heute 37-Jährige war eines jener Kinder, die es sämtlichen Bildungsstudien zufolge am schwersten haben. Trotzdem hat er die Uni vor inzwischen neun Jahren letztlich mit der höchsten möglichen Auszeichnung abgeschlossen hat – mit einer Promotion sub auspiciis praesidentis an der TU Wien –, als erster Türke in Österreich.

„Im Nachhinein war es eine Reihe glücklicher Zufälle“, sagt Özcelik heute, wenn man ihn nach seinem Weg fragt. Da waren die Eltern, die viel Wert auf Bildung legten – auch, wenn ihre eigene Bildung mit der Volksschule zu Ende war. Das Umfeld in Wien-Wieden, in einem durchmischten Bezirk („Wäre ich in einem Bezirk aufgewachsen, wo es eine Art Ghettoisierung gibt, wäre es vielleicht anders verlaufen“). Schließlich der Professor an der TU, der ihn zu einem Doktorat motivierte. Und wohl auch Ehrgeiz und Begabung.

Doch von vorne. „Ich hatte das Glück, dass unsere Eltern uns sehr früh in den Kindergarten geschickt haben“, sagt Özcelik. „Meine beiden Geschwister und ich sind mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten gekommen, damit wir die Sprache lernen.“ Inhaltlich – bei Hausübungen, beim Lernen – konnten die Eltern nicht wirklich helfen. „Aber sie haben geschaut, dass wir in den Hort gehen, dass wir in der Schule alles haben, was wir brauchen. Und mein Vater hat keinen einzigen Elternabend verpasst – wir Kinder sind eben zum Übersetzen mitgekommen, ein typisches Gastarbeitersyndrom.“


Leistung war da. Angesichts seiner Startbedingungen ist es trotzdem ungewöhnlich, wie lapidar Hüseyin Özcelik über seinen Weg erzählt. Wenn es zum Beispiel um jene Hürde geht, die für viele den weiteren Bildungsweg (mit)bestimmt – und die für Kinder aus bildungsfernen Familien, mit ausländischen Wurzeln bisweilen schwer überwindbar ist – Talent hin oder her: der Übergang von der Volksschule in das Gymnasium. „Bei mir war das eigentlich nicht wirklich ein Problem“, sagt Özcelik.

„Am Papier bietet das System allen die gleichen Chancen“, sagt er. „Dann gibt es meiner Meinung nach eben drei Aspekte: die Begabung, den Ehrgeiz, den Hintergrund. Was letzteres betrifft, hatte ich keinen Vorteil, wenn ich mich – sagen wir – mit einem Kind aus einer Akademikerfamilie vergleiche. Bei mir waren aber der Ehrgeiz und die Begabung da. Und damit konnte ich das kompensieren.“ Hüseyin Özceliks Leistung war nicht bloß gut, sondern ausgezeichnet, die Empfehlung für die AHS insofern automatisch.

„Wäre es knapper gewesen, hätte ich vielleicht einen Nachteil gehabt“, sagt er heute. „Meine Eltern wussten davor ja überhaupt nicht, dass es ein Gymnasium gibt.“ Und hatten daher auch keine Ahnung, dass sie – wie fünf Jahre später, bei Özceliks jüngerem Bruder – darauf drängen könnten, dass das Kind nicht in die Hauptschule geschickt wird. „Bei meinem Bruder hat sich eine Lehrerin anfänglich quer gelegt, er musste eine Aufnahmsprüfung fürs Gynmasium machen. Später hat er an der ETH Zürich promoviert.“ Seine ältere Schwester – die es letztlich trotzdem bis zur Matura und weiter schaffte – war in die Hauptschule gekommen.

Auch, wenn es bei ihm selbst relativ reibungslos funktioniert hat – die Trennung in Hauptschule und Gymnasium mit zehn Jahren hält Hüseyin Özcelik für problematisch. „Da wird stark gefiltert – was der Chancengleichheit abträglich ist. Diese Trennung würde ich auflösen.“


Auf HTL folgt die Uni. Bei Özcelik selbst folgt auf das Gymnasium die HTL für Elektrotechnik „Die Entscheidung war eigentlich blind, ich hatte nur gehört: Eine HTL sei eine Art Gymnasium mit einer technischen Ausbildung, und unheimlich schwierig – und das hat mich gereizt.“ Von da ist der Weg an die Uni nicht mehr allzu weit: Er schreibt sich für Nachrichtentechnik an der TU ein. („Das Studium ist auch gut gelaufen.“).

Dass er das Doktorat macht, liegt allerdings nicht mehr nur am eigenen Ehrgeiz – sondern (mit) an seinem Professor. Der Özcelik zuvor bereits ein Stipendium für die Diplomarbeit organisiert hatte, nun eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter, um seine Dissertation zu schreiben, die Özcelik mit Sehr gut abschließt (wie so ziemlich alles zuvor). Nach einigen Jahren als Unternehmensberater bei McKinsey und Chef einer der führenden Möbelketten in Osteuropa ist er inzwischen zurück in Wien und führt eine Baufirma.

Dass er sein Studium sub auspiciis abschließen würde, war übrigens auch für ihn überraschend. „Wenn man sich für die Promotion anmeldet, muss man ankreuzen, ob man ein Kandidat für sub auspiciis ist. Ich wusste gar nicht, dass es das gibt. Ich habe gefragt, was es dafür braucht – alle Oberstufenklassen und Matura mit Auszeichnung, Einser auf Fachprüfungen, Diplomarbeit, Dissertation – und bin draufgekommen, dass ich das bin.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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