Smart Factory: Europa verpasst die Revolution

CHENGDU CHINA JULY 31 CHINA OUT The inside view of China s first self developed air bus ARJ
CHENGDU CHINA JULY 31 CHINA OUT The inside view of China s first self developed air bus ARJimago/China Foto Press
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Die vierte industrielle Revolution, deren Kernpunkt die total vernetzte Produktion ist, läuft gerade an. Europa droht den Wettlauf mit den USA und Asien zu verlieren.

Wien. Die vernetzten Maschinen in der Fabrik kommunizieren selbstständig miteinander und mit dem gerade bearbeiteten Werkstück. Der Status von Produktion, Lagerhaltung etc. ist für Mensch und Maschine immer völlig transparent, nachbestellt wird automatisch von den beteiligten „smarten“ Maschinen. Logistik, Maschinenumrüstung, Kleinstserien – alles kein Problem: Wird von der smarten Fabrik prompt, selbsttätig und vor allem kostengünstig erledigt.

Was wie Science-Fiction klingt, ist in vielen Unternehmen schon Realität und erobert nun auch unter dem in Deutschland geprägten Etikett „Industrie 4.0“ die wirtschaftspolitische Diskussion. Experten sind sich einig, dass diese vierte industrielle Revolution auf Arbeit und Produktionsprozesse stärkere Auswirkungen als die Erfindung der Fließbänder im frühen und der Einsatz von Elektronik und Informationstechnologie im späten 20. Jahrhundert haben wird.

Sie meinen, dass damit die unter Abwanderung leidende europäische Industrie gerettet werden könnte. Und sie fürchten, dass die europäische Politik durch zu langsames Agieren auch diese Chance vermasseln wird – und die vierte industrielle Revolution vor allem außerhalb Europas stattfindet.

Dabei sind die Regierungen ja nicht ganz untätig. Österreich beispielsweise will eine Breitbandmilliarde investieren, um das Land lückenlos mit Hochleistungsinternet (die Basisvoraussetzung für die Industrie 4.0) zu überziehen. In den kommenden Jahren will das Infrastrukturministerium 250 Mio. Euro in Industrie-4.0-Projekte stecken. Und eben erst hat Noch-Infrastrukturministerin Doris Bures angekündigt, dass zwei Millionen Euro in den Aufbau einer Art Musterfabrik an der Technischen Universität Wien gesteckt werden sollen, in der das Zusammenwirken und Funktionieren solcher „Cyber Physical Systems“, wie Industrie 4.0 außerhalb des deutschen Sprachraums heißt, ohne Störung von echten Produktionsprozessen studiert werden können.

Allerdings: Smarte Fabriken sind auch in Österreich schon im Echtbetrieb zu sehen. Der oberösterreichische Büromöbelhersteller Hali etwa hat seine Produktion längst smart gemacht – und dabei enorme Effizienzverbesserungen erzielt. Die Anwendung solcher Technologien geschieht also ganz von allein.

Dass Problem ist, meinen Experten, dass europäische Unternehmen bei der Entwicklung solcher Systeme nicht dabei sind. Dass die Industrie des alten Kontinents sich also, vereinfacht gesagt, darauf beschränkt, in China gefertigte Maschinen mit amerikanischer Software einzusetzen, ohne selbst bei den Innovationstreibern dabei zu sein. Eine tödliche Situation für eine Hochlohnregion, die ihre Konkurrenzfähigkeit bisher damit halten konnte, dass sie unter den Innovationsführern war.

Im Bereich der für die vierte industrielle Revolution maßgeblichen Informationstechnologie und des Big Data fällt Experten spontan nur ein europäischer Mitspieler ein: der deutsche Software-Gigant SAP. Der Rest – von Oracle bis Google – sitzt in den USA. Und China beginnt langsam, in diesen Bereich hineinzudrängen.

Das hat im Wesentlichen drei Gründe: Zu geringe Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, eine zu geringe Wertigkeit der Informatiker- und Technikerausbildung an den Universitäten und fehlende Finanzierungsmöglichkeiten für Start-up-Unternehmen.

Ersteres lässt sich noch am leichtesten lösen: Die EU-Länder geben (gemessen am BIP) einen Prozentpunkt weniger als die USA und rund eineinhalb Prozentpunkte weniger als asiatische Topländer wie Japan für F&E aus. Das lässt sich mit einer besseren Dotierung von Forschungsbudgets lösen. Zweiteres ist schon schwieriger: Technikerausbildung hat in den USA und in Asien einen wesentlich höheren gesellschaftlichen Stellenwert als bei uns, entsprechend höher ist der Techniker-„Output“.

Das größte Problem ist die Start-up-Finanzierung: In den USA ist das Volumen der Wagniskapitalfinanzierung mit 20 Mrd. Dollar im Jahr fünfmal so hoch wie in Europa. Bill Gates, Steve Jobs und Mark Zuckerberg wären hierzulande wohl schon an der Finanzierungshürde gescheitert.

Die schwerste Hürde für die Industrie 4.0 ist aber wohl das Fehlen eines Binnenmarkts für die Telekommunikation: Grenzüberschreitende Datenkommunikation verursacht selbst innerhalb der EU exorbitante Kommunikationskosten – die Unternehmen in den USA, aber auch in China schlicht nicht haben. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger müsste Europa an die 1300Milliarden Euro investieren, um die Telekommunikationsinfrastruktur auf US-Niveau zu bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2014)

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