Sagen Sie stets "Åibecka" zu ihnen

Mitglieder der Schützenkompanie Alpbach
Mitglieder der Schützenkompanie Alpbach(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Die Alpbacher Mundart klingt "weich" und ist "konservativ". Das heißt, sie hat sich im Lauf der Zeit kaum verändert. Noch heute trifft man sich am "Erchtåg" und kauft "Mäaö". Selbst der Kaiser hinterließ ein sprachliches Andenken.

Wer Alpbacher sagt, kann kein Alpbacher sein. Tatsächlich rufen sich die Einwohner des Tiroler Bergdorfes nämlich „Åibeckarinna“, respektive „Åibecka“ – geschrieben durchaus auch Oipbecka. „Bereits in den Nachbarorten hört man das fast nicht mehr“, sagt David Gschösser, „schon sie sprechen uns als Åipåcher oder Ålpåcher an“. Der wissenschaftliche Projektmitarbeiter am Tiroler Dialektarchiv der Universität Innsbruck hat sich der Mundart seines Heimartortes verschrieben. Dessen Name, „Åibåch“, geht übrigens nicht auf die Alpbacher Ache zurück, die unweit aus der Schlucht heraustritt, sondern bezeichnete einst die hier befindliche „Ansammlung von Almen“.

Die Alpbacher Mundart hat ihre Wurzeln indes im Mittelbairischen, das von den Großstädten München und Wien in die Alpen ausstrahlte, und das auch den Salzburger Raum prägte. „In Innsbruck werde ich deswegen des öfteren für einen Salzburger gehalten“, sagt Gschösser. Unangenehm sei ihm das aber nicht. Immerhin hätten die Hauptstädter nicht ganz unrecht – zumindest aus kirchlicher Sicht: Die Gemeinde Alpbach liegt im Bezirk Kufstein und der gehört, neben 16 weiteren Dekanaten (darunter auf Tiroler Seite noch Brixen im Thale, Reith im Alpbachtal, St. Johann und Zell am Ziller), zur Erzdiözese Salzburg. „Die Grenze ist der Ziller – ein rechter Nebenfluss des Inn –, das erkennt man auch an den Kirchturmdächern“, so der Linguist, „wir haben grüne, die dahinter sind rot“.

2581 verschiedene Dialekte

Zurück zum Dialekt: „Eigentlich haben wir in Alpbach 2581 verschiedene Dialekte“, sagt Gschösser. So viele, wie es Einwohner gibt. „Wenn man wirklich genau ist, dann hat jeder von uns seine ganz individuelle Art zu reden – und das nicht nur in Alpbach.“ Freilich gebe es auch lokale Besonderheiten. „Die Grenzen sind aber nicht scharf, sondern sie verschwimmen.“ So sagt man im Bergdorf etwa „Hoiz“ und „Müch“. „Ein Tal weiter hört man hingegen schon Holz und Milch.“ Weitere Beispiele: „Wir sagen nicht, dass wir ein kaltes Wetter haben, sondern 'a kåids Weda'.“ Während die Wiedergabe der Witterungsverhältnisse recht einfach scheint, verlangt die Küchensprache Nachahmern mehr Lautakrobatik ab. „Wir backen mit ,Mäaö'“, sagt Gschösser – Mehl ist gemeint.

Die Sprachwissenschaft macht für die Tiroler Sprecharten vier Varianten aus: Zu Zeiten des Frühmittelalters prägten die Alemannen die Sprache im Außerfern (Bezirk Reutte), während sich in Osttirol die Slawen aufhielten und ausdrückten. Im übrigen Tirol entwickelten sich indes Dialekte, die in der bajuwarischen und romanischen Sprache wurzeln. Letzteres lässt sich bis heute in der Alpbacher Umgebung feststellen. „Es gibt Flurnamen, die nach wie vor endbetont ausgesprochen werden, etwa Mareit, zu dem man ,Maráit' sagt“, so Gschösser.

Je westlicher, desto härter

Als sich die Römer schließlich in großen Teilen Tirols breitmachten, brachten sie das Vulgärlatein mit. „Das hat sich im sechsten Jahrhundert mit den ersten deutschen Worten der Bajuwaren, die sich im Tiroler Inntal niederließen, vermischt“, erzählt Gschösser. In den einzelnen Regionen entstanden dann über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg, wieder eigene Ausprägungen. Als Faustregel gilt seither: Je westlicher, desto härter die Aussprache – auch über die Grenzen des Bundeslandes hinweg: „Gibt es in Imst ,Knödl' zum Mittagessen, sind es in Innsbruck ,Cknödl', die in Alpbach zu ,Knedl' werden, bis man in Wien ,Gneel' serviert bekommt. Ein Mädchen ruft man im Westen ,Gitsche', während in Alpbach das weit weichere Wort ,Dinnl' gebraucht wird.“

Dieses Phänomen beschrieb Jacob Grimm schon im 19. Jahrhundert: „Die Erfahrung lehrt, dass Bergluft die Laute scharf und rau, das flache Land sie weich und blöd macht.“ Wobei er unter blöd nicht dumm verstand, sondern sanft und schwach. „Sprache wird stets auch von der geografischen Struktur einer Region beeinflusst“, sagt Gschösser. Das zeige sich zum Beispiel an Innsbruck, das aufgrund seiner Position als Verkehrsknotenpunkt und Tourismusstadt einem regen sprachlichen Austausch ausgesetzt ist. Der Alpbacher Dialekt sei da weit konservativer. „Das liegt daran, dass wir im Talschluss liegen.“

Aufgrund dieser Abgeschiedenheit konnte sich auch so mancher „Spezialausdruck“ halten: Meint ein Alpbacher gestern, sagt er ,nacht'. „Die alten Germanen zählten die Tage in Nächten“, klärt der Linguist auf. Vergangenes Jahr heißt kurzum „feascht“, hinter dem Wort „Erchtåg“ verbirgt sich der Dienstag. Verabredet man sich erst für „Pfinztåg“, ist bis Donnerstag Zeit.

Wie schreibt man im Dialekt?

Viele Alpbacher machten sich übrigens erst Gedanken über die Schreibung ihres Dialekts, als Handys Einzug in das Dorf der Denker hielten, wie Gschösser erzählt. „Die Feldpost, die meine Großmutter von meinem Großvater erhalten hat, war auf Hochdeutsch verfasst, auch meine Mutter wäre nie auf die Idee gekommen, einen Brief in der Mundarzt zu schreiben. Erst mit den SMS wurde aus dem gesprochenen Wort ein geschriebenes.“

Schon lange davor gab es hingegen Zuschreibungen, von denen sich manche bis heute gehalten haben. So wird den Alpbachern nachgesagt, „wunnåa“ zu sein. Die hochdeutsche Entsprechung wäre wunderlich, gemeint ist, dass wir sehr neugierig sein sollen. Angeblich sind die Ortseinwohner auch eher kleinwüchsig. So lautet ein böser Witz, der allenthalben die Runde macht: „Alles, was größer ist als 1,20 Meter, kann kein Alpbacher mehr sein.“ Eine andere Anekdote geht auf Franz Joseph I. zurück. „Bei der Einweihung der Zillertalbahn sollen dem Kaiser einige Alpbacher als ,Alpböcker' vorgestellt worden sein, da man sich vornehmer ausdrücken wollte“, so Gschösser. „Er verstand als passionierter Jäger aber Alp-Böcke und forderte dazu auf, den Böcken doch Heu zu geben.“ Geblieben ist der Spottname „Alpböck“.

Digitaler Sprachatlas für Tirol

In den frühen 1970er Jahren haben Sprachforscher der Uni Innsbruck damit begonnen, den Einwohnern von etwa 120 Tiroler Gemeinden und fünf Ortschaften je 2200 Fragen zu stellen. Deren Antworten wurden in einer Lautschrift notiert, um den Klang der Sprache und die Ausdrücke festzuhalten. Die Aufzeichnungen wurden zu einem analogen Archiv – dem Tiroler Dialektarchiv – zusammengetragen. Ziel ist es nun, daraus einen digitalen Sprachatlas für Tirol zu kreieren, auf dem die verschiedenen Nuancen der Tiroler Dialekte in interaktiven Karten abgebildet werden. Wann das Projekt finalisiert wird, ist aber noch offen.

>>> Tiroler Dialektarchiv

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