"Will Europa in der Lage sein, ein zweites Syrien zu verhindern?"

EUROP€ISCHES FORUM ALPBACH 2016 - NEUES CONGRESS CENTRUM
EUROP€ISCHES FORUM ALPBACH 2016 - NEUES CONGRESS CENTRUM(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Johann Frank, Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, über Herausforderungen für EU und Österreich.

Die Presse: Vor zwei Jahren in Alpbach sagten Sie: „Die sicherheitspolitischen Herausforderungen waren nie so groß wie jetzt.“ Würden Sie den Befund für die heutige Zeit wiederholen, oder haben sich die Herausforderungen nur verlagert?

Johann Frank: Die Herausforderungen haben sich verschärft, vor allem im Migrationsbereich und im Terrorismus. Vor zwei Jahren fragte man sich noch: Was können wir tun, um Krisen in den betroffenen Regionen einzudämmen? Jetzt sind wir damit konfrontiert, dass Krisenherde auf die innereuropäische Sicherheit übergreifen.


Diese Krisen sind in Europa angekommen.

Genau, und auch Österreich ist davon betroffen.


Ist das die Konsequenz daraus, dass Europa nicht in dem Maße sicherheitspolitisch zusammengearbeitet hat, wie es vielfach gefordert wurde?

Es hängt insbesondere damit zusammen, dass der Westen in den Krisenregionen an Einflussmöglichkeiten verloren hat. Es wäre zu einfach zu sagen: Die Amerikaner sind an allem schuld. Es liegt auch an der Handlungsschwäche der Europäer.


Die Staaten in Europa konzentrieren sich nun verstärkt auch auf die eigene, territoriale Landesverteidigung. Wird eine europäische Zusammenarbeit dadurch nicht noch schwieriger?

Im Gegenteil, ein verteidigungsfähiges Europa kann es nur geben, wenn die Nationalstaaten ihre militärischen Hausaufgaben erfüllen. Je handlungsschwächer die EU, desto mehr müssen die Staaten für die Sicherheit ihrer Bürger sorgen. Eine große Herausforderung besteht darin, dass einzelne Staaten von unterschiedlichen Krisen betroffen sind. Daher wurde die Zusammenarbeit von Ländern mit ähnlichen Sicherheitsinteressen wichtiger. Nach dem Motto: Europäisch denken, bilateral handeln.


Das klingt eher nach einer Verlegenheitslösung.

Das muss kein Widerspruch sein: Oft werden Projekte kleinerer Gruppen von der Europäischen Union übernommen. Verteidigungsminister Doskozil hat die Initiative gesetzt, uns stärker mit den zentraleuropäischen Nachbarn abzustimmen. In der Zusammenarbeit im Bereich der Migration und am Westbalkan wurden bereits konkrete Erfolge erzielt.


Österreich beteiligt sich derzeit an der EU-Battlegroup, also den Krisenreaktionskräften der EU. Sie waren seit ihrem Bestehen noch nie im Einsatz, weil sich die Länder nicht einigen konnten.

Die Battlegroups sind zwar nur ein Teil der raschen Krisenreaktionskräfte der EU – trotzdem gibt es Verbesserungsbedarf. Die politisch entscheidende Frage ist aber, ob Europa zukünftig in der Lage sein will, ein zweites oder drittes Syrien zu verhindern. Wenn Europa nicht tatenlos zusehen will, dann müssen die Battlegroups sogar signifikant verstärkt werden.


Inwiefern?

Österreich hat vorgeschlagen, einen zivil-militärischen Reaktionsmechanismus aufzubauen – auch für Fragen der Migration und des Terrorismus. Man könnte die Battlegroups dahingehend ausbauen.


Sie haben vor zwei Jahren gefordert, dass die EU ein stärkeres, sicherheitspolitisches Netzwerk für Kooperationen aufbaut. Was ist Ihr Fazit in der Zwischenzeit?

Die letzten zwei Jahre waren sicher von anderen Themen dominiert, Federica Mogherini (EU-Außenbeauftragte, Anm.) hat allerdings eine neue EU-Globalstrategie vorgelegt, die sich von jener aus dem Jahr 2003 unterscheidet. Darin stand noch „Europa war noch nie so frei, so wohlhabend und so sicher.“ Die neue Strategie hat eine realistischere Zielsetzung: Sie konzentriert sich eher auf das eigene Umfeld. Sie gibt einen guten Überblick über Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten der EU. Nun muss man daraus ableiten, welche Instrumente die EU in Zukunft braucht.


Was braucht sie aus Ihrer Sicht?

Unter Einbindung der Mitgliedsstaaten sollte jedenfalls eine eigene „Teilstrategie Verteidigung“ ausgearbeitet werden. Daraus muss man ableiten, in welchen Krisenregionen man wie aktiv werden will. Der Kernpunkt besteht darin, welchen Mehrwert die europäische Sicherheitspolitik für die konkreten Sicherheitssorgen der Bürger leisten kann. Die EU darf sich nicht auf die europäische Nachbarschaft beschränken, sie muss die europäischen Außengrenzen schützen und zur Terrorabwehr beitragen. Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig.


Wird der Fokus auf dem afrikanischen Kontinent liegen?

Auf der gesamten Peripherie der EU. Wir müssen Konflikte vor Ort bekämpfen. Wenn diese Maßnahmen nicht greifen, braucht es einen effektiven Schutz der EU-Außengrenzen. Kernaufgabe des Bundesheeres ist aber der Schutz der Souveränität Österreichs. Es braucht einen strategischen Dreiklang aus Ursachenbekämpfung, Sicherung der EU-Außengrenzen und Schutz Österreichs.


Wird sich der Trend, den Sie anfangs genannt haben, also noch weiter verschärfen?

Ja, unsere größte Sorge ist die Migration. Allein in Afghanistan will die Hälfte der Bevölkerung nach Europa auswandern. Laut unseren Schätzungen kann sich bis zu einer Million davon die Flucht auch leisten. Das größte Migrationspotenzial birgt jedoch der afrikanische Kontinent. In Zukunft müssen wir stärker zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten unterscheiden.


In der Praxis ist das schwierig.

Richtig. Flucht aus Afrika kann mehrere Monate bis Jahre dauern. Aus einem ursprünglichen Kriegsflüchtling wird dann ein Migrant. Die Grenzen sind fließend, trotzdem muss man differenzieren.


Wer zieht die Grenzen – und wo?

Es müssen außereuropäische Verfahrenszentren eingerichtet werden, wo entschieden wird, wer kommen darf und wer nicht. Am vernünftigsten wären solche Zentren in den Herkunftsländern, wie zum Beispiel in Staaten der Sahel-Zone. Das wäre ein humaner Ansatz. Denn eine Flucht, insbesondere durch die Sahara und das Mittelmeer, ist gefährlich.

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