Weniger Autos, mehr Bänke und ein bisschen Costa Rica als Vorbild nehmen: Jo Ivey Boufford, Präsidentin der New Yorker Akademie für Medizin, will Lebensräume gesünder machen.
Das Handy am Ohr, im Eiltempo rast der Wagen durch die Straßen. Gegessen wird am Kiosk neben der Baustelle. Schnell noch ein Zug von der Zigarette, rein ins Meeting. In anderen Worten: Abgase, Feinstaub, Strahlen, Lärm, fettiges Essen und Stress sind die Konstanten eines typischen Tages des Großstädters. Allerdings eines Tages, wie er gerade nicht beginnen sollte, wenn es nach Jo Ivey Boufford geht. Die Präsidentin der Akademie für Medizin in New York hat vier große Bedrohungen für die menschliche Gesundheit ausgemacht.
Eine davon: die (unorganisierte) Urbanisierung. Gemeint ist, dass manche Städte nicht auf den Zustrom tausender Menschen vorbereitet sind. So würden billige, weil mit ineffizienten Materialien aufgezogene Gebäude entstehen statt Park- und Sportanlagen. Konsumiert würde kostengünstiges Fast-Food statt teurerem, dafür frischem Gemüse und Obst. Die Folge: eine gefährliche Spirale. „Die Frage ist: Wie lange kann man seine persönliche Gesundheit in einer ungesunden Umgebung bewahren, die eine gesunde Wahl nicht ermöglicht?“ Die Antwort: nicht übermäßig lange.
Killer der Gesundheit
„Die Regierungen haben sich bislang wenig mit dem Thema Lebensräume auseinandergesetzt“, sagt Boufford. Dabei sei Eile geboten: „Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die die Menschen so lange wie möglich gesund halten.“ Dies beinhalte schnelle, einfache Lösungen, wie das Aufstellen von Bänken entlang von Gehwegen oder Klappsesseln in Supermärkten. „So wird es Älteren ermöglicht, ihre Wohnungen zu verlassen, am Leben teilzuhaben, anstatt zu vereinsamen und depressiv zu werden.“ Denn Gesundheitsgefahr Nummer zwei sei das Alter – speziell das Alleinsein.
Als dritte Bedrohung macht sie den Klimawandel bzw. den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt aus. Hier brauche es tiefgreifende Schritte, etwa eine Reduktion von Autos in Städten, um die Luftverschmutzung zu senken. Zudem sollten „Fußgängerzonen errichtet, Parks angelegt und Bäume gepflanzt werden“. Das würde nicht nur die Produktivität der Arbeiter steigern, sondern auch die Zahl der Krankheiten senken. Gerade letztere stellten eine enorme Herausforderung dar: „Alle Staaten der Welt sind gezwungen, sich mit einer neuen Epidemie an nicht-übertragbaren Krankheiten auseinanderzusetzen“, betont Boufford. „Global gesehen sind Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, chronische Lungenerkrankungen und Krebs die größten Killer.“ Auch psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen, gehörten zu den häufigsten Todesursachen. Um sie in den Griff zu bekommen, reichten Medikamente nicht aus: „Die Wurzel des Problems der nicht-übertragbaren Erkrankungen kann nur bekämpft werden, wenn wir die Gesellschaft verändern.“
Als Beispiel nennt sie einen an einer frühen Form von Diabetes erkrankten Mann. Würde er seine Ernährung ändern und sich mehr bewegen, könnte er eine Verschlechterung verhindern. Und chronische Lungenerkrankungen ließen sich eindämmen, indem nicht geraucht und verrauchte Luft gemieden werde. „Rauchverbote in Restaurants und auf öffentlichen Plätzen sollten weltweit ausgeweitet werden.“
„Die Lebensbedingungen der Menschen müssen verändert werden“, sagt die Expertin. Heute kämen Patienten ins Spital, würden gepflegt und kehrten dann in dieselbe krankmachende Umgebung zurück. „Sind sie der gleichen Verschmutzung, dem gleichen Stress und ungesundem Essen ausgesetzt, werden Diabetes oder Asthma nicht verschwinden.“
Bürgermeister am Wort
Doch wie die Welt verändern? Durch globale Vereinbarungen, bei deren Entstehung selbst die untersten Verwaltungsebenen mitreden, schlägt sie vor. „Gerade Bürgermeister wissen aus erster Hand, mit welchen Problemen die Menschen tagtäglich konfrontiert sind.“ Und sie würden sich schon jetzt engagieren, etwa die von New Yorks früherem Bürgermeister Michael Bloomberg ins Leben gerufene Initiative zur Bekämpfung des Klimawandels – genannt „Compact of Mayors“ –, die mittlerweile 680 Städte umfasst. Ein Beispiel nehmen könnte man sich auch an Costa Rica. Anstatt in eine Armee werde hier Geld in Pflege, Bildung und Umweltschutz gesteckt, so Boufford. „Die zwei Regierungsparteien verfolgen dieselben Gesundheitsziele, das ist Verantwortungsbewusstsein.“
Zur Person
Jo Ivey Boufford ist Präsidentin der Akademie für Medizin in New York und emeritierte Professorin für Gesundheitspolitik und Management der Robert F. Wagner Graduate School of Public Service. Zur Eröffnung der Gesundheitsgespräche diskutierte sie am Sonntag mit Catherine Bertini, Ex-Direktorin des World Food Programme, über „Gesundheitsbedrohungen nah und fern“.