„Die Realität wird Trump einholen“

Rosemary DiCarlo
Rosemary DiCarlo(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Interview. Rosemary DiCarlo war US-Diplomatin in Russland und bei den Vereinten Nationen. Heute forscht sie über die amerikanische Außenpolitik. Ein Gespräch über alte und neue Strategien.

"Die Presse": In Alpbach lautet das Thema heuer „Konflikt und Kooperation“. Mit Russland haben die USA eine konfliktreiche Geschichte, und während der letzten Obama-Jahre sind die Beziehungen mit dem Kalten Krieg verglichen worden . . .

Rosemary DiCarlo: In den späten 1990er Jahren gab es die Hoffnung, dass sich Russland Richtung Westen bewegt. Es gab viele geschäftliche Verbindungen, Personenverkehr usw. Aber leider haben wir sogar damals aneinander vorbeigeredet. Und heute sind wir betroffen von den russischen Aktionen, und die Russen sind unzufrieden mit unserer Agenda. Meine Organisation (die NGO National Committee on American Foreign, Anm.) will russische und amerikanische Experten zu verschiedenen Themen an einen Tisch bringen. Der Dialog ist wichtig.

Wie funktioniert der Dialog in schwierigen Zeiten wie diesen?

Wir haben realisiert, dass wir sehr verschiedene Interpretationen von grundsätzlichen Dingen haben. Etwa Souveränität oder territoriale Integrität. Ich glaube, wir müssen vorgehen wie zu Sowjet-Zeiten: Zusammenarbeit in Feldern mit gemeinsamen Interessen. Heute sind es der Kampf gegen Terrorismus und die Verhinderung von Nuklearwaffen. Aber es ist schwierig. Wir können nicht vergessen, was auf der Krim oder in der Ostukraine passiert ist. Ich komme gerade aus dem Westbalkan, russische Medien sind dort sehr aktiv.

Russland hat nachweislich in den US-Wahlkampf eingegriffen.

Ja, Russland hat aktiv Medien und Soziale Medien genutzt, um Fehlinformationen zu verbreiten. Früher haben wir das Propaganda genannt. Bis jetzt gibt es aber keine Beweise, dass das Wahlkampfteam von Donald Trump aktiv mit Russen zusammengearbeitet hat. Wir wissen nicht, inwieweit die russische Intervention Trump geholfen hat zu gewinnen.

Es gab Treffen zwischen Trump-Schwiegersohn Jared Kushner und seinem Sohn mit russischen Offiziellen. Offenbar waren sie auf der Suche nach kompromittierendem Material, um Hillary Clinton zu belasten. Wie gewöhnlich ist das?

Nein, es ist ungewöhnlich, mit einer ausländischen Regierung über solche Dinge zu sprechen. Während der Kampagnen wird die Opposition natürlich durchleuchtet: Finanzen, persönliche Geschichte usw. Und wenn man etwas findet, kommt es an die Öffentlichkeit. Aber das alles geht normalerweise nicht über die USA hinaus.

Trumps außen- und innenpolitische Vision lautet „America first“. Wie visionär ist diese Strategie wirklich?

Die Bezeichnung ist bedauerlich, sie geht zurück auf den Ersten Weltkrieg, als wir nicht in den Krieg wollten. Jedem amerikanischen Präsidenten sind amerikanische Interessen wichtig. Die Sache ist nicht so einfach: Amerika gewinnt hier, Amerika gewinnt da. Bei der Diplomatie geht es ja darum: Wir haben Prioritäten, und jedes andere Land hat Prioritäten. Um etwas zu bekommen, muss man etwas geben, wir müssen uns also wenigstens die Prioritäten des anderen Landes anschauen.

Wenn Trump diese Strategie durchzieht, welche langfristigen Konsequenzen wird es dann haben?

Das würde ernsthafte Auswirkungen auf die USA haben. Zum Beispiel das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta). Es würde vielleicht wirklich eine Erneuerung brauchen (Trump will Nafta neu verhandeln). Aber erstens sind Kanada und Mexiko enge Verbündete der USA. Natürlich kann man sagen: Amerikanische Arbeiter verlieren, wenn wir Firmen auslagern. Aber zweitens hat Nafta dazu geführt, dass Mexiko sich weiterentwickelt hat, und das bedeutet, dass wenige Migranten in die USA gekommen sind. Ich glaube also nicht, dass „America first“ langfristig überleben wird, die Realität wird die Regierung einholen.

Die Realität hat Trump in Afghanistan vielleicht schon eingeholt. Entgegen seiner Ankündigung lautet die neue Afghanistan-Strategie nicht, die Truppen abzuziehen, sondern sogar aufzustocken.

Das Letzte, was passieren darf, ist, dass Afghanistan wieder in die Hände von Extremisten fällt. Obama wollte aus Afghanistan abziehen, musste aber seine Richtung ändern. Trump wollte auch großflächig abziehen, musste aber seine Richtung ändern. Die Frage war: Wird es schlimmer, wenn man bleibt oder wenn man geht? Die Verantwortlichen in Washington haben entschieden: Es wird schlimmer, wenn man geht.

Afghanische Politiker sind nicht sehr glücklich über die neue Strategie.

Ja, sie mögen das nicht unterstützen, andererseits waren sie nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu halten.

Gibt es in US-diplomatischen Zirkeln Selbstreflexion, was Afghanistan betrifft? Oder die verheerende US-Politik im Irak?

Ja. Aber als wir nach Afghanistan gingen, nach 9/11, war das Ziel, al-Qaida zu zerschlagen, und nicht, Demokratie in Afghanistan zu etablieren. Erst allmählich ging es darum, Institutionen zu errichten, Wahlen abzuhalten usw. Und das können wir nicht gut. Wir haben die Gesellschaft missverstanden. Viele sagen, dass die US-Intervention im Irak die Region destabilisiert hat. Das mag sein, die Region war jedenfalls nicht die stabilste. Aber wir sind zu früh abgezogen. Und das war wieder ein Problem.

Zur Person

Rosemary DiCarlo (geb. 1947) ist Präsidentin des „National Committee on American Foreign Policy“. Die Spitzendiplomatin war unter anderem an der Botschaft in Moskau und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2017)

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