"Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von den früheren Nazi-Praktiken", beschwert sich der türkische Präsident bei den deutschen Behörden.
Istanbul. Im Streit mit Deutschland um die Auftrittsabsagen für türkische Politiker gießt Recep Tayyip Erdoğan Öl ins Feuer: Der türkische Präsident warf Deutschland am Sonntag „Nazi-Methoden“ vor. Mit Demokratie habe das Verhalten der deutschen Behörden nichts mehr zu tun, betonte Erdoğan bei einer Rede in Istanbul. Zudem deutete er an, Deutschland wolle mit den Absagen den Ausgang des türkischen Verfassungsreferendums über das Präsidialsystem im April beeinflussen. Die Vorwürfe des Präsidenten bilden das bisher drastischste Beispiel dafür, wie der Krach mit Berlin zum Wahlkampfthema in der Türkei wird. „Wir wollen diese Nazi-Welt nicht mehr sehen“, sagte er. Deutschland spiele sich als Oberlehrer in Sachen Demokratie auf, verhindere dann aber Auftritte von türkischen Ministern. Ab sofort werde die Türkei auf internationaler Ebene „diese Schande anprangern“. Zu Berichten, dass er selbst einen Auftritt in Deutschland plane, sagte Erdogan Anadolu zufolge: "Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich die Welt aufstehen lassen."
An die Deutschen gerichtet, stellte der türkische Präsident außerdem die Frage, ob wirklich angenommen werde, dass die Auftrittsverbote für die Minister die Zahl der Wählerstimmen gegen die Einführung des Präsidialsystems erhöhen werde. Hinter dem Vorwurf, die Bundesrepublik setze alles daran, Erdoğans Präsidialplan zum Scheitern zu bringen, steht die Vorstellung einer westlichen Verschwörung gegen die Türkei. Dieses Thema wird von Erdoğan und seinen Anhängern nun für den Wahlkampf genutzt.
Nicht nur um die 1,5 Millionen türkischen Wähler in Deutschland geht es dabei. Laut Umfragen können Erdoğan und seine Regierungspartei AKP nicht sicher sein, dass sie die Volksabstimmung gewinnen werden, und da kommt der neue Streit mit Deutschland gerade recht. Der Hinweis auf angebliche Ränkespiele des Westens ist geeignet, nationalistische Wähler an die Urnen zu bekommen. Diese spielen bei der Abstimmung am 16. April eine Schlüsselrolle für Erdogan.
„Neue Front“ des Westens gegen Ankara
Wie Kuzu sieht Erdoğan-Beraterin Saadet Oruç ein System hinter den Spannungen, die zuletzt auch wegen der Festnahme des Journalisten Deniz Yücel in Istanbul eskalierten.
Offenbar sei Deutschland enttäuscht, dass der Putschversuch gegen den Präsidenten im vergangenen Sommer gescheitert sei, schrieb Oruç in der Zeitung „Star“. Seit dem Tag des Putschversuchs sehe sich die Türkei „einer neuen Front“ des Westens gegenüber, betonte die Präsidentenberaterin mit Blick auf die Niederlande und Österreich.
Streit soll nicht komplett eskalieren
Ministerpräsident Binali Yıldırım und andere Regierungspolitiker schimpfen bei Wahlkampfveranstaltungen gegen die angeblich undemokratischen Entscheidungen der deutschen Behörden gegen die türkischen Ministerauftritte. Dabei muss Yıldırım aber auch darauf achten, dass die Krise mit dem wichtigsten Partner der Türkei in Europa nicht aus dem Ruder läuft. Am Wochenende verwies der Premier bei einer Rede auf das geplante Treffen der Außenminister beider Länder, Mevlüt Çavuşoğlu und Sigmar Gabriel, an diesem Mittwoch.
Für zusätzliche Aufregung sorgte die Tatsache, dass der säkularistische Oppositionspolitiker Deniz Baykal anders als Erdoğans Minister eine Genehmigung für einen Wahlkampfauftritt in Deutschland erhielt. Darin offenbare sich eine „fürchterliche Heuchelei“ der Deutschen, schimpfte Regierungssprecher Numan Kurtulmuş. Baykal, dessen Partei CHP gegen die Einführung des Präsidialsystems eintritt, sagte von sich aus seine Visite ab: Sein Besuch könnte in der Türkei innenpolitisch ausgebeutet werden.
Dass die türkische Seite möglicherweise nicht ganz unschuldig ist an der jüngsten Entwicklung, bleibt auf Regierungsseite unerwähnt. Das regierungskritische Nachrichtenportal T24 berichtete unter Berufung auf türkischstämmige Lokalpolitiker in Deutschland, die türkischen Veranstalter der geplatzten Ministerauftritte hätten die Kundgebungen als unpolitische Kulturtreffen angemeldet, nicht als Wahlkampfreden. Nur durch Zufall habe man von der Wahrheit erfahren, wurde die Grünen-Politikerin und Kölner Stadträtin Berivan Aymaz zitiert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 6.3.2017)