Niedersachsen: Schwarzer Unfall im VW-Land

Stephan Weil sorgte für eine Premiere in der Ära Schulz: Er gewann eine Wahl für die SPD in diesem Jahr – in Niedersachsen.
Stephan Weil sorgte für eine Premiere in der Ära Schulz: Er gewann eine Wahl für die SPD in diesem Jahr – in Niedersachsen. APA/AFP/RONNY HARTMANN
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Nach den Verlusten bei der Bundestagswahl setzt es für Angela Merkels CDU den nächsten Dämpfer. Die SPD feiert einen Sieg, der noch vor ein paar Wochen unmöglich schien.

Hannover. Am Sonntagabend liegen Welten zwischen Österreich und Niedersachsen. Zumindest, was die Gefühlslage der Genossen angeht. Während die SPÖ einen ihrer schlimmsten Wahlabende erlebt, strahlt Stephan Weil über beide Ohren. Seine SPD hatt eine fulminante Aufholjagd hingelegt. Zwölf Prozentpunkte war sie noch im August in den Umfragen hinter der CDU gelegen. Nun eroberte sie Platz eins. Zum ersten Mal seit 1998. Ein „großer Abend“, sagt der SPD-Ministerpräsident. Gejohle.

2013 hatte Weil die damals zweitplatzierte SPD in eine Koalition mit den Grünen geführt. Das Bündnis hing an einem einzigen Mandat Mehrheit. Als die Grüne Elke Twesten im August zur CDU überlief, löste das vorgezogene Landtagswahlen aus - regulär hätten sie im Jänner 2018 gewählt.

Eigentlich sollte die Landes-CDU vom Rückenwind der Bundestagswahl profitieren. Es kam anders. In Berlin. In Hannover. Deutschlandweit gingen für die Union 8,7 Prozentpunkte verloren, und drei Wochen später in Niedersachsen sogar Platz eins und 2,6 Prozentpunkte. Die CDU kam in Niedersachsen auf 33,4 Prozent. Der grüne Koalitionspartner der SPD war der zweite Wahlverlierer: 8,9 Prozent (minus 4,8 Prozent). Auch die FDP erlitt Verluste: 7,4 Prozent (minus 2,0) Die AfD zog in den 14. Landtag ein – ohne Glanz, ohne Glorie und mit mageren 6,2 Prozent. Für die Linkspartei reichte es für den Landtagseinzug nicht.

Bernd Althusmann, CDU-Spitzenkandidat, versuchte am Wahlabend das schlechteste Ergebnis seit den Fünfzigern schönzureden. „In Sack und Asche gehen müssen wir überhaupt nicht“, erklärte Althusmann, ein Hauptmann der Reserve (Spitzname „Panzer“) und Diplom-Pädagoge, der einst Kultusminister war und danach für die Konrad-Adenauer-Stiftung im afrikanischen Namibia arbeitete. Althusmanns persönliche Beliebtheitswerte reichten aber nie an jene des Amtsinhabers heran. Im Wahlkampf setzte er auf mehr Polizisten. Auch über den Lehrermangel wurde zwischen Harz und Nordsee gestritten. Bildung ist Ländersache und daher immer Thema. Große Agrarflächen dominieren Deutschlands zweitgrößten Flächenstaat - und VW. Der Dieselskandal lastet schwer auf Niedersachsen. An das VW-Gesetz, das dem Land eine Sperrminorität beim Autobauers sichert, wagte jedoch keine Partei zu rütteln. 100.000 Jobs hängen in Niedersachsen an VW. Als Althusmann im Wahlkampf den Amtsinhaber kritisierte, weil er VW vorab seine Reden vorlegte, verfing das nicht. Die CDU-geführten Regierungen hatten es wohl nicht anders gehalten.

Der 58-jährige Weil, lange Oberbürgermeister in Hannover, strahlt ganz norddeutsch viel Ruhe aus, was dem bekennenden Teetrinker mal als Gelassenheit, dann wieder als Blässe ausgelegt wird. Im TV-Duell mit Althusmann jedoch blitzte Angriffslust auf, etwa als Weil erklärte, der Wechsel von Twesten zur CDU würde wie „ein Mühlstein um den Hals“ seines Herausforderers hängen. Von einer „Intrige“ sprach Weil. Viele Niedersachsen sahen das ähnlich.

Atempause für Schulz

Weil wird nun an Gewicht in der SPD gewinnen. Seinem Bundesparteichef Martin Schulz verschafft er eine Atempause. Die Erleichterung sah man Schulz im Willy-Brandt-Haus an. Er sprach von einem „großartigen Sieg für die SPD“ - eine Premiere in der Ära Schulz, wo bisher noch jede Wahl verloren gegangen war. Und Niedersachsen hat Gewicht. Dort liegt eine der größten Kaderschmieden der Politik. Der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder führte einst die Staatskanzlei in Hannover genauso wie Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) oder Altbundespräsident Christian Wulff (CDU).

Für Angela Merkel dürfte es noch ungemütlicher werden. Zwar verbreitete ihr Umfeld sinngemäß die Botschaft, wonach eine Landtagswahl eben eine Landtagswahl sei. Die ohnehin geschwächte Kanzlerin geht nun mit Gegenwind aus Niedersachsen in die Verhandlungen um Jamaika.
In Niedersachsen selbst war auch in den ersten Hochrechnungen völlig offen, ob es für eine Neuauflage von Rot-Grün reichen würde. Falls nicht, werden die Regierungsverhandlungen schwierig. Die FDP schloss eine Ampel mit SPD und Grünen aus. Zugleich ist das Klima zwischen CDU und Landesgrünen vergiftet, was „Jamaika“ praktisch unmöglich macht. Bleibt rechnerisch die Große Koalition, die eigentlich keiner will.

APA

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