Iran: „Wir wollen keine Moral per Schwefelsäure“

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Säureattentate auf junge Frauen sorgen in Isfahan und Teheran für Entsetzen. Weil ihr Schleier angeblich zu locker saß, schütteten Motorradgangs ihnen Schwefelsäure ins Gesicht.

Kairo/Teheran. „Stoppt Gewalt gegen Frauen“ und „Stoppt die Säureattentate“ stand auf ihren Plakaten. „Wir wollen keine Moral per Schwefelsäure!“, skandierten die Menschen und „Tod den Extremisten!“. Mehrere tausend Demonstranten waren am Wochenende in Isfahan vor die Justizzentrale und in Teheran vor das Parlamentsgebäude gezogen. Sie protestierten gegen eine Serie von brutalen Säureattentaten gegen junge Frauen, die die Bewohner von Isfahan seit zwei Wochen in Angst und Schrecken versetzen.

„Ich hielt gerade am Straßenrand an, um meine Freundin aussteigen zu lassen, als es passierte“, sagt die 27-jährige Soheila Jorkesh, die ihr rechtes Augenlicht verloren hat. „Ich riss mir die Kleider vom Leib und warf sie auf den Boden. Passanten bildeten einen Kreis um mich. Doch niemand half mir, die Säure abzuspülen. Alle warfen mir nur schwarze Kleidungsstücke zu, damit mein Körper nicht nackt ist.“

Machtkampf gegen Rohani

Das Vorgehen der bisher unbekannten Täter ist immer das Gleiche. Sie kreisen mit dem Motorrad durch die Stadt. Wenn sie in einem Auto eine junge Frau entdecken, deren Schleier ihrer Meinung nach nicht züchtig genug sitzt, warten sie, bis ihr Opfer aussteigt – dann schütten sie ihr Schwefelsäure ins Gesicht. Nach Angaben der Polizei liegen inzwischen acht Schwerverätzte im Krankenhaus.

Präsident Hassan Rohani verurteilte die Attentate scharf und wies das Innen- und Justizministerium sowie den Geheimdienst an, alles zu tun, um die Täter zu finden. Vizepräsidentin Massoumeh Ebtekar besuchte eines der Opfer im Krankenhaus. Justizchef Ayatollah Sadeq Larijani ernannte seinen Vize zum Sonderermittler.

Iranische Zeitungen vermuten Extremisten der Gruppe Ansar al-Hisbollah hinter den Säureattentaten, eine paramilitärische Gruppe, die vor einem Monat proklamiert hatte, dass man künftig wieder für mehr Sitte und Moral vor allem bei Frauen, Akademikern und Demonstranten sorgen werde. Dagegen bestritt ein Sprecher der Justiz, die als besonders konservativ gilt, dass die Opfer wegen ihrer schlecht sitzenden Schleier ausgesucht worden seien. Das seien alles Gerüchte.

Gleichzeitig tobt zwischen Rohani und dem konservativen Establishment ein erbitterter Machtkampf. Die Konservativen lehnen den Kurs der inneren Öffnung und Annäherung an den Westen grundsätzlich ab. Erst vorige Woche debattierte das Parlament demonstrativ ein schärferes Gesetz gegen „unislamisches Verhalten“, als der Präsident ungewöhnlich hart intervenierte. (mg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2014)

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