Für Überprüfung Schutzsuchender nimmt sich Ottawa aber mehr Zeit.
Ottawa. Kanada wird im Dezember und in den ersten beiden Monaten des kommenden Jahres 25.000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Die liberale Regierung von Premierminister Justin Trudeau legte ihr Programm für die Umsiedlung von Flüchtlingen aus Lagern im Libanon, Jordanien und der Türkei vor. Die Kosten hierfür werden auf bis zu 678 Millionen Dollar, umgerechnet 475 Millionen Euro, über sechs Jahre geschätzt.
Trudeau verwies auf die 30 Jahre alte Maryam Monsef, die Ministerin in seinem Kabinett ist, und vor 19 Jahren als Flüchtlingskind aus Afghanistan nach Kanada kam. Irgendwo in einem Flüchtlingscamp in Syrien lebe ein zehnjähriges Mädchen, das träumen könne, in 20 oder 30 Jahren in Kanada am Kabinettstisch zu sitzen, meinte Trudeau. Menschen in Not aufzunehmen „ist die Geschichte dieses Landes“. Trudeau hatte im Wahlkampf für die Wahl am 19. Oktober, die die Liberalen in die Regierung brachte, die Aufnahme der Syrer versprochen. Damit setzte er sich vom Kurs des früheren konservativen Premierministers Stephen Harper ab, der nur zögernd auf die Flüchtlingskrise reagiert hatte. Trudeaus Versprechen fand bei der Bevölkerung Anklang. Ganz einhalten kann er es aber nicht: Er hat die Umsiedlung bis Ende Dezember versprochen. Nun sollen bis Jahresende 10.000 Flüchtlinge kommen, in Jänner und Februar weitere 15.000.
Frauen und Kinder haben Vorrang
Die Terrorattacke von Paris hat auch in Kanada Fragen aufgeworfen, wie sich das Land in der Flüchtlingskrise verhalten soll. Anders als in den USA gibt es aber keine generelle Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen. Der für innere Sicherheit zuständige Minister, Ralph Goodale, sagte, Sicherheit habe stets an der Spitze der Prioritätenliste gestanden, alle Neuankömmlinge würden mehrmals überprüft. Trudeau erklärte, die Entscheidung, den Prozess etwas zu verlängern, sei nach den Attacken von Paris gefallen, „aber nicht wegen der Attacken“.
Kanada nimmt Flüchtlinge auf, die sich in den Lagern in Libanon, Jordanien und der Türkei aufhalten und vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR oder der türkischen Regierung registriert wurden. Kanadische Einwanderungsbeamte überprüfen vor Ort Papiere, biometrische Daten und Biografien und führen Interviews durch. Auch medizinische Untersuchungen werden vorgenommen, um die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Frauen mit Kindern, bedrohte Frauen und ganze Familien werden zunächst als Flüchtlinge akzeptiert, ferner Menschen aus der LGBTI-Gemeinde (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle). Alleinstehende Männer werden vorerst nur dann akzeptiert, wenn sie aufgrund ihrer sexuellen Identität und Orientierung gefährdet sind. (bra)
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)