Der scheidende US-Präsident erlässt ihr einen Großteil der Strafe. Sie kann bereits am 17. Mai das Gefängnis verlassen. Liefert sich nun auch Julian Assange aus?
Der scheidende US-Präsident Barack Obama hat die Whistleblowerin Chelsea Manning begnadigt. Das Strafmaß der ehemaligen Wikileaks-Informantin wurde von 35 Jahren auf sieben reduziert. Manning soll das Gefängnis am 17. Mai 2017 verlassen dürfen, wie das Weiße Haus am Dienstag mitteilte. Wikileaks sprach in einer Twitternachricht von einem Sieg. Der Strafnachlass für Manning ist eine der letzten Amtshandlungen von Barack Obama als US-Präsident. Am Freitag wird sein Nachfolger, Donald Trump, als neuer Präsident vereidigt.
Chelsea Manning hatte als Soldat Bradley Manning im Irak gedient und der Enthüllungsplattform Wikileaks rund 700.000 geheime Militärdokumente zugespielt. Nach eigenen Angaben wollte sie damit eine öffentliche Debatte über die Kriege in Afghanistan und im Irak lostreten. Sie wurde im Mai 2010 im Irak festgenommen und 2013 vor einem Militärgericht wegen Geheimnisverrats und Spionage zu einer 35-jährigen Haftstrafe verurteilt. Zusätzlich wurde Manning unehrenhaft aus der Armee entlassen und rückwirkend im Rang degradiert.
Seine Anhänger verehren sie als Heldin, für die Staatsanwaltschaft ist die Wikileaks-Informantin Chelsea Manning eine Vaterlandsverräterin. Im Jahr 2013 wurde die US-Geheimdienstanalystin, die schmutzige Wahrheiten über die Kriege im Irak und in Afghanistan ans Licht brachte, zu 35 Jahren Haft verurteilt ´- und nun in den letzten Tagen der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama begnadigt. (c) REUTERS (ELIJAH NOUVELAGE)
Chelsea kam als Bradley Edward Manning, als Sohn einer gebürtigen Britin und eines US-Amerikaners 1987 in der Kleinstadt Oklahoma zur Welt. Ihre Kindheit war wohl keine glückliche. Die Eltern ließen sich scheiden. Die Mutter trank und war Analphabetin, der Vater ein Kontrollfreak und ständig auf Reisen. In der Schule wurde Manning oft gehänselt. Ihre erst als Homosexualität gedeutete Transsexualität machte ihr das Leben dabei nicht einfacher. (c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
Nachdem sie sich jahrelang mit Nebenjobs über Wasser gehalten hatte, erschien der begeisterten Programmiererin die US-Army als ein Ausweg. Doch als damals noch eher klein gewachsener, zurückgezogener, homosexueller Mann hatte sie es auch hier nicht leicht. Als sie 2009 mit ihrer Truppe in den Irak kam, bekam sie dort schwere psychische Probleme und erlitt einen Zusammenbruch. Manning hielt aber trotzdem durch und sicherte sich einen Posten als Nachrichtenanalyst in der Nähe von Bagdad. (c) REUTERS (JONATHAN ERNST)
Obwohl nur Obergefreiter, erhielt Manning als Geheimdienst-Analystin Zugang zu Dokumenten der höchsten Geheimhaltungsstufe. Und Manning langte zu. Sie lud die Daten von den Servern, presste sie auf CD's und beschriftete diese unter anderem mit Lady Gaga. (c) REUTERS (JAMES LAWLER DUGGAN)
Manning lieferte der Enthüllungsplattform Wikileaks etliche als geheim eingestufte Datensätze. Darunter ist auch ein Video, das einen US-Hubschrauberangriff auf dutzende Zivilisten im Irak zeigt. Im Rahmen der sogenannten „Cablegate Affäre“ wurden weitere US-Militärdokumente sowie vertrauliche Diplomatendepeschen von der Plattform veröffentlicht, die Wikileaks ebenfalls von Manning erhielt. (c) APA/AFP/SAUL LOEB (SAUL LOEB)
Durch eine Unachtsamkeit verriet sich Manning: Sie vertraute sich in einem Chat einem Hacker an, der sie verriet. Noch im Jahr 2010 folgte die Festnahme der Whistleblowerin im Irak. Sie wird zunächst zwei Monate in Kuwait festgehalten. Dann sitzt sie bis April 2011 im Militärgefängnis Quantico im US-Staat Virginia in Einzelhaft, bevor sie unter etwas gelockerten Haftbedingungen in ein Gefängnis in Kansas verlegt wird. Während der Haft in den USA hatte sich Manning über unwürdige Bedingungen beklagt. Zeitweise sei sie gezwungen worden, sich jeden Abend vor den Wärtern nackt auszuziehen. (c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
Die Liste der Vorwürfe gegen Bradley bzw. Chelsea Manning war lang. Die Anklage umfasste 21 Punkte - vom Diebstahl von Regierungseigentum bis hin zur Spionage. Der schwerwiegende Vorwurf lautet: „Unterstützung des Feindes“. Manning erklärte sich in einer Reihe von Anklagepunkten für schuldig. Sie räumte ein, 700.000 Dokumente an Wikileaks weitergeleitet zu haben. Die Kollaboration mit dem Feind weist sie zurück. (c) REUTERS (JOSE LUIS MAGANA)
Die Geheimdienst-Analystin der US-Armee beschreibt ihre Motive wie folgt: "Wenn Du freien Zugang zu Geheimdokumenten hast und Du unglaubliche, schreckliche Dinge siehst (...) Dinge, die an die Öffentlichkeit gehören (...) Was würdest Du tun?", wird Manning von Unterstützern zitiert. Und weiter: "Ich möchte, dass die Menschen die Wahrheit sehen." (c) Reuters (GARY CAMERON)
Ihre Verteidigung beschrieb Manning als einen naiven Gutmenschen, der einzig dem Ziel verfolge, eine nationale Debatte über die Rolle des Militärs und der US-Auslandspolitik auszulösen. Die Staatsanwaltschaft hingegen glaubt, in der 25-Jährigen eine Egoistin auf einem Rachefeldzug zu erkennen. Ihre Biografie diente hierbei als Argument. (c) REUTERS (JAMES LAWLER DUGGAN)
Manning wurde schließlich in 20 von 22 Anklagepunkten schuldig gesprochen. Vom Vorwurf der Feindesunterstützung sprach ihn das Gericht aber frei. Die Wikileaks-Informantin fasste 35 Jahre Haft aus. Außerdem wurde sie unehrenhaft aus der Armee entlassen. (c) REUTERS (JAMES LAWLER DUGGAN)
Nach Prozessende machte Manning ihre Transsexualität öffentlich. Die 25-Jährige erklärte, sie wolle künftig als Frau mit Namen Chelsea leben. Am 17. Mai 2017 kommt sie dank einer Begnadigung von US-Präsident Barack Obama frei.Ein Bild aus dem Jahr 2010 zeigt Manning geschminkt und mit blonder Perücke. Es blieb das einzige Bild bisher, das Chelsea als Frau zeigt.
Nach der Begnadigung von Manning richtet sich das Augenmerk nun auf den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange. Der seit Jahren in Ecuadors Botschaft in London festsitzende Australier hatte sich jüngst zu einer Auslieferung an die USA bereit erklärt, sollte Manning begnadigt werden. In seiner ersten Reaktion schwieg er am Dienstagabend jedoch dazu. (c) APA/AFP/BEN STANSALL (BEN STANSALL)
Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden begrüßte die Begnadigung Mannings und schrieb auf Twitter: "Danke, Obama." Snowden hatte selbst als Whistleblower die NSA-Abhöraktionen öffentlich gemacht und muss eine hohe Strafe in den USA befürchten, falls er aus seinem Asyl in Russland dorthin zurückkehrt. (c) APA/AFP/FREDERICK FLORIN (FREDERICK FLORIN)
Chelsea Manning im Porträt: Heldin oder Verräterin?
Mannings Anwälte Nancy Hollander und Vince Ward wiesen nach der Begnadigung darauf hin, dass Manning die am längsten in Haft sitzende Whistleblowerin der US-Geschichte sei. 35 Jahre Gefängnis für die Verbreitung von Informationen im öffentlichen Interesse seien überzogen, zumal Manning den Vereinigten Staaten damit keinen Schaden zugefügt habe. Mit dem Straferlass werde "der Gerechtigkeit genüge getan".
Manning strebt Geschlechtsangleichung an
Manning lebt mittlerweile als Frau und strebt eine operative Geschlechtsangleichung an. Die 29-Jährige sitzt im US-Militärgefängnis in Fort Leavenworth (Kansas), in dem ansonsten nur Männer inhaftiert sind. Manning hatte bereits 2013 ein Gnadengesuch an Barack Obama gestellt. Sie hat in der Haft bereits zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Einen Hungerstreik gab sie nach Angaben ihres Anwalts im vergangenen September auf, nachdem ihr für die nähere Zukunft eine Operation zugesagt worden war.
Nach der Begnadigung richtet sich der Fokus nun auf Julian Assange, den Begründer der Enthüllungsplattform Wikileaks. Dieser hatte vor wenigen Tagen erklärt, er sei bereit, sich an die USA ausliefern zu lassen, falls Manning begnadigt würde. Es sei noch zu früh zu sagen, ob er sich nun wie angekündigt in die USA ausliefern lasse, sagte Assanges schwedischer Anwalt Per Samuelson am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.
Der 45-jährige Australier war vor mehr als vier Jahren in die Botschaft Ecuadors in London geflüchtet, um einer Festnahme zu entgehen. Gegen Assange liegt ein Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden vor. Er fürchtete eine Auslieferung an Schweden und von dort in die USA, wo ihm eine lange Haft droht. Assange nannte Mannings Vorgehen "heroisch".
Assange bezeichnete die Whistleblowerin in einer von seinen Anwälten verbreiteten Erklärung als "Heldin", die niemals hätte verurteilt werden dürfen und sofort auf freien Fuß gehöre. Offen blieb, ob Assange nun tatsächlich bereit ist, sich an die USA ausliefern zu lassen. In einer Twitter-Nachricht von Wikileaks hieß es nach der drastischen Strafverkürzung für Manning, Assange sei zuversichtlich, "jeden fairen Prozess in den USA gewinnen zu können". Das Justizministerium habe unter dem - am Freitag aus dem Amt scheidenden - US-Präsidenten Obama eine Verteidigung im öffentlichen Interesse und eine "faire Jury" verhindert.
Das amerikanische Justizministerium hat bisher keine Anklage gegen Assange bekanntgegeben. In den USA kann eine Anklageschrift aber versiegelt werden, damit ihr Inhalt nicht bekannt wird. Es ist unklar, ob das im Fall Assange geschehen ist.
Auch der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden begrüßte die Begnadigung Mannings und schrieb auf Twitter: "Danke, Obama." Snowden hatte selbst als Whistleblower die NSA-Abhöraktionen öffentlich gemacht und muss eine hohe Strafe in den USA befürchten, falls er aus seinem Asyl in Russland dorthin zurückkehrt.
"Skandalöse" Entscheidung
Scharfe Kritik an Obamas Schritt übte dagegen der republikanische Präsident des Repräsentantenhauses, Paul Ryan. Die Entscheidung sei "skandalös", weil Manning mit ihrem "Verrat (...) amerikanische Leben aufs Spiel gesetzt hat". Der scheidende Präsident habe den "gefährlichen Präzedenzfall gesetzt, dass diejenigen, die unsere nationale Sicherheit in Mitleidenschaft ziehen, nicht für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden", kritisierte Ryan, der dabei die letztlich siebenjährige Haftstrafe für Manning unter den Tisch fallen ließ.
Für die US-Regierung waren die Enthüllungen desaströs. Die Veröffentlichung der Papiere unter anderem über die Kriege im Irak und in Afghanistan sorgten weltweit für Wirbel. Die Preisgabe von Diplomaten-Depeschen blamierte US-Botschafter und Politiker in aller Welt. Darunter waren auch Aufnahmen aus Bagdad, die den tödlichen Beschuss irakischer Zivilisten und Journalisten aus einem US-Kampfhubschrauber zeigen.
Der abtretende Präsident ordnet an, dass Datendiebin Chelsea Manning vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Damit will Obama der Enttäuschung über seine harte Linie entgegenwirken.
Der abtretende Präsident ordnet an, dass Datendiebin Chelsea Manning vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Damit will Obama der Enttäuschung über seine harte Linie entgegenwirken.
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