Keine deutsche Partei verschleißt ihr Führungspersonal so stark wie die Sozialdemokraten. Paradoxerweise kehrte erst unter Sigmar Gabriel Ruhe ein.
Wien/Berlin. Die SPD, ihre Parteichefs und die K-Frage: Das ist eine komplizierte Geschichte, und ohne Turbulenzen lief die Kür des Kanzlerkandidaten seit dem Ende der Ära Brandt nur selten ab. Das hat damit zu tun, dass sich die Sozialdemokraten viel auf ihre Debatten- und Streitkultur zugutehalten – und dass sich die Parteiflügel auf die Kunst der Intrige verstehen. Keine deutsche Partei verschleißt ihr Führungspersonal so stark wie die SPD, was angesichts der Konstanz bei den Christdemokraten noch schwerer ins Gewicht fällt.
Unter Willy Brandt waren die Aufgaben der Führungstroika lang klar festgelegt: Brandt führte die Partei auch nach seiner Demission als Kanzler, Helmut Schmidt die Regierung und Herbert Wehner die Fraktion. Ohne Rivalitäten blieb die Teilung nicht, doch nach Brandts Rücktritt als SPD-Chef 1987 brach der Machtkampf unter den „Brandt-Enkeln“ mit Verzögerung, dafür aber mit voller Wucht aus.
Die 1990er-Jahre waren geprägt von Animositäten zwischen Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Rudolf Scharping. Lafontaine, der „Napoleon aus dem Saarland“, war 1990 – im Jahr der Wiedervereinigung – bei der Bundestagswahl an Helmut Kohl grandios gescheitert. Die Parteiführung lehnte er allerdings ab. In einer Urwahl votierten die SPD-Mitglieder 1993 für Rudolf Scharping, den Ministerpräsidenten aus Rheinland-Pfalz. Doch Lafontaine putschte mit dem linken Flügel 1995 beim Mannheimer Parteitag gegen Scharping. Über Nacht wurde er Parteichef und legte den Keim für künftige Konflikte.
Spaltung durch Lafontaine
Als es 1998 um die Frage des Spitzenkandidaten ging, schlug Schröder – der populäre Ministerpräsident aus Niedersachsen – Lafontaine aus dem Feld. Schröder berief Lafontaine nach der Abwahl Kohls als Finanzminister in seine Regierung. Ihn hielt es jedoch nicht einmal ein halbes Jahr im Amt: Im Streit um die Finanzpolitik der rot-grünen Koalition schmiss er alles hin, zog sich ins saarländische Exil zurück, um sich im Streit um die Agenda 2010 in der Sozialpolitik als linker Volkstribun an die Spitze der Protestbewegung zu setzen. Darin wurzelt die Abspaltung eines Teils des linken Flügels, die in der Fusion mit der postkommunistischen PDS um Gregor Gysi mündete. Es kostete Schröder 2005 die Wiederwahl und beschleunigte den Abstieg der SPD als Volkspartei. Die friktionsfreie Arbeitsteilung zwischen Regierungschef Schröder und Parteichef Franz Müntefering konnte dies nicht verhindern.
Als Parteichef blieb der gesundheitlich angeschlagene Hoffnungsträger Matthias Platzeck ein Intermezzo. Kurt Beck übernahm als mächtiger rheinland-pfälzischer Landesfürst 2006 das Kommando in der SPÖ. Überfordert vom Spagat zwischen Mainz und Berlin und verhöhnt als Provinzpolitiker blieb er in der Bundespolitik ein Fremdkörper. Nach einem Putsch der Machtclique um Ex-Vizekanzler Müntefering, die 2008 Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Spitzenkandidaten kürte, kehrte paradoxerweise erst unter Sigmar Gabriel Ruhe in der Partei ein. Die Kanzlerkandidatur traute sich Gabriel indessen weder 2013 noch heuer zu. Vor vier Jahren hatte er Ex-Finanzminister Peer Steinbrück in die Arena geschickt.
Angela Merkel hat nicht nur ihre CDU-Konkurrenten zermürbt, sondern mehr noch die der SPD.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2017)