Wie Trumps Vize Europa beruhigen wollte

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Löst sich die Weltordnung auf? Dankt der Westen ab? Verlieren die USA unter Trump die Führungsrolle? Die Münchner Sicherheitskonferenz steht im Zeichen einer globalen Krise. Doch US-Vizepräsident Mike Pence kalmiert.

Die Haltung aufrecht, das Haar weiß und penibel gescheitelt, das Lächeln gnädig-souverän: Der Mann aus Indiana sieht aus wie ein Präsident, und er spricht wie ein Präsident. Mike Pence, das stellvertretende Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten, improvisiert nicht wie sein irrlichternder Chef, er liest seine solide Rede mit Stimme vom Teleprompter. Und die Botschaft, die er den im Bayerischen Hof versammelten Präsidenten, Regierungschefs, Ministern und Journalisten im Namen Donald Trumps überbringt, ist wohlüberlegt: „Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen fest zur Nato und werden unerschütterlich ihre Verpflichtungen erfüllen.“

Der US-Vizepräsident will vor allem eines bei seinem Aufritt in München: beruhigen. Und dafür greift er tief in den Setzkasten transatlantischer Beschwörungsformeln. Das ist bitter notwendig, denn sein Vorgesetzter hat die europäischen Verbündeten nachhaltig verstört, seit er die Verteidigungsallianz als überholt bezeichnet hatte. Und so zieht Mike Pence alle rhetorischen und pathetischen Register, erinnert an die amerikanischen Opfer im Ersten und Zweiten Weltkrieg, an den gemeinsamen Sieg über den Kommunismus, an die europäische Solidarität nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001, an die berührende „Blumenmauer“ vor der US-Botschaft in Berlin, die er damals gesehen und sich in sein Gedächtnis eingegraben habe.

„Das Versprechen von Präsident Trump lautet: Wir werden an der Seite von Europa stehen, heute und jeden Tag, weil wir verbunden sind durch dieselben hohen Ideale Freiheit, Demokratie, Recht und Rechtsstaatlichkeit“, ruft er in den prall gefüllten Konferenzsaal des Luxushotels. Da könnte sich theoretisch der eine oder andere Widerspruch regen angesichts so mancher umstrittener Äußerungen und Erlässe Trumps. Doch keiner will das Hochamt transatlantischer Eintracht heute stören.

Alles wieder gut also? Nicht ganz. Denn Pence hat da noch eine andere Nachricht seines Vorgesetzten zu übermitteln, und die ist weniger erfreulich: Der Präsident erwarte, dass die europäischen Alliierten ihr Wort halten und ihre Verteidigungsetats erhöhen. Zu lang sei das Verspechen, die Lasten fair zu verteilen, unerfüllt geblieben. Das untergrabe das Fundament des Bündnisses.

Später wird der Gastgeber der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, dem Generalsekretär der Nato, Jens Stoltenberg, auf dem Podium eine naheliegende Frage stellen: Welche Konsequenzen drohen die Amerikaner denn eigentlich an, wenn die europäischen Partner ihre Verteidigungsausgaben entgegen ihrem Beschluss beim Nato-Gipfel in Wales 2014 nicht auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen? Der Norweger bleibt die Antwort schuldig, und Pence stellt sich zunächst keinen Nachfragen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beteuert in ihrer Rede zwar, dass sich Deutschland dem Zweiprozentziel verpflichtet fühle, warnt zugleich aber kryptisch vor kleinlichen Diskussionen über Militärausgaben. Ihre Regierung könne nicht, wie 2016, das Verteidigungsbudget jedes Jahr um acht Prozent aufstocken. Ihr sozialdemokratischer Vizekanzler wird deutlicher: Sigmar Gabriel stellt kaum verhohlen infrage, ob Deutschland bis 2024 Jahr für Jahr tatsächlich 25 Milliarden Euro zusätzlich ausgibt, um seine Militärausgaben von derzeit 1,2 auf zwei Prozent des BIPs aufzustocken. Man solle Maß und Mitte halten und nicht in Glückseligkeit über eine neue Aufrüstungsspirale verfallen, empfiehlt der neue deutsche Außenminister.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel.(c) APA/AFP/MICHAELA REHLE

Drei Schlüsselfiguren seines Kabinetts hat Trump nach München entsandt: Vizepräsident Mike Pence, Verteidigungsminister James Mattis und Heimatschutzminister John Kelly. Es ist ein höfliches, bisweilen umschmeichelndes, aber dennoch auffallend selbstbewusstes Europa, das sie in München kennenlernen. Die EU sei viel stärker, als sie bei all dem Krisengerede wahrhaben wolle, erklärt Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der Union: der größte Binnenmarkt, die zweitgrößte Wirtschaft der Welt, die größte humanitäre Macht, ein globaler Akteur.

Doch bei allem wirklichen oder vorgetäuschten Selbstbewusstsein: Fast jedem im Auditorium ist klar, dass Europa mehr tun muss in Sachen Verteidigung. Und Frankreich und Deutschland sollen vorangehen, das verspricht Merkel, das versichert Gabriel, und das kündigt auch der französischen Außenminister, Jean-Marc Ayrault, an.

Ein mulmiges Gefühl der Ungewissheit, der globalen Zerbrechlichkeit wabert wie eine Nebelfront durch den Konferenzsaal. Die Weltordnung verflüssigt sich, und keiner weiß, wie sie in festem Zustand aussehen wird. Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt fällt Trumps Amerika womöglich als globale Führungsmacht aus? Eine Diskussionsrunde debattiert tatsächlich über das Ende des Westens. Der republikanische Senator John McCain, ein scharfer Kritiker Trumps, rafft sich dabei zu einem leidenschaftlichen Appell auf. „Wir dürfen uns selbst und einander nicht aufgeben, sonst wäre das Dekadenz, und das führt zum Scheitern von Weltordnungen“, warnt der 80-Jährige.

Russlands Außenminister, Sergej Lawrow, sieht bereits triumphierend eine postwestliche Weltordnung heraufdämmern. Die Globalisierung habe dazu geführt, dass ein Elitenklub die Erde regiere. Doch diese Ära neige sich nun dem Ende zu. Den USA bietet er ebenso wie der EU enge Beziehungen an – „mit gegenseitigem Respekt für nationale Interessen“. Doch leider, bedauert er, finde die EU nicht die Stärke zu einer unabhängigen Haltung gegenüber Russland.

Im Laufe des Tages wird Lawrow in München auch den österreichischen Außenminister treffen. Sebastian Kurz ist hauptsächlich als OSZE-Vorsitzender unterwegs. Sein Leibthema, die Flüchtlingskrise, bespricht er mit Italiens Außenminister, Angelino Alfano. Doch er trifft auch einen schillernden Unterstützter Trumps: Peter Thiel, den milliardenschweren Gründer von Paypal. Kurz will sich mit beiden Großmächten gut stellen, mit Russland und Amerika, egal, wer dort regiert.

Die russophile Anfangseuphorie der Ära Trump scheint mittlerweile verflogen. Das mag mit den Enthüllungen über die Kreml-Kontakte des mittlerweile gefeuerten Sicherheitsberaters Michael Flynn zusammenhängen. Jedenfalls bleibt Mike Pence in München den Russen gegenüber kühl. Die USA würden Russland weiterhin zur Rechenschaft ziehen, insbesondere im Hinblick auf die Ukraine, und auf die Einhaltung des Minsk-Abkommens drängen. Gleichwohl hält Pence im Nachsatz die Hand ausgestreckt: Präsident Trump suche nach neuen Gemeinsamkeiten mit Russland.

Da bietet sich der Kampf gegen den islamistischen Terror an. Gegen den IS sind alle. Und Merkel sagt, ohne die USA könne Europa gegen die Jihadisten nicht gewinnen. Sie weiß: Der Anti-Terrorkampf könnte die Plattform sein, auf der sich alle treffen.

Russlands Außenminister, Sergej Lawrow
Russlands Außenminister, Sergej Lawrow(c) REUTERS (MICHAELA REHLE)

Auch Merkel wünscht sich bessere Beziehungen mit Moskau. Derzeit jedoch sei dies nicht möglich. Für sie ist es eine Frage der Prinzipien. Die Annexion der Krim ist in ihrer Welt nicht hinnehmbar. Wenn Europa den Grundsatz der territorialen Integrität aufgebe, untergrabe es seine Sicherheitsarchitektur.

Auf Konfrontationskurs ist die neue US-Regierung mit dem Iran. Das ließ auch Pence deutlich durchblicken, als er die Islamische Republik als staatlichen Hauptsponsor bezeichnete und auch noch dem Nukleardeal mit Teheran einen Seitenhieb versetzte. Dank des Abkommens stehe dem Iran nun noch mehr Geld zur Verfügung, um Terror in der Region zu finanzieren. Ist da schon Säbelrasseln zu hören? Auch hinter den Kulissen machen die Amerikaner angeblich bereits Stimmung gegen den Iran. Doch coram publico sind es zunächst nur zwei Sätze bei der Sicherheitskonferenz.


Keine Kritik an Trump. Auf offener Bühne geht es vor allem darum, das Verhältnis zwischen Trumps Amerika und Europa gerade zu richten. Mit keinem Wort übt Merkel auch nur den Hauch einer Kritik an der neuen US-Regierung. Sie konzentriert sich vor allem auf die Hausaufgaben, die Europa in dieser aus den Fugen geraten Welt zu erledigen hat.

Seit 1990 habe China sein BIP verachtundzwanzigfacht, referiert Merkel, die EU ihres lediglich verdoppelt. Europa sei nach dem Brexit in einer ausgesprochen schwierigen Phase. „Mit vielen Dingen können wir nicht zufrieden sein“, sagt die deutsche Kanzlerin. Die EU müsse lernen, sich auf wirklich wichtige Herausforderungen zu konzentrieren: auf Wettbewerbsfähigkeit, die gemeinsame Währung, auf Sicherheit, auf die Sicherung der Außengrenzen. Europa müsse vorbereitet sein auf Krisen – und überflüssige Regeln über Bord werfen. Der Aquis communitaire könne nicht das letzte Wort sein, sagt die Kanzlerin.

Islamistischer Terror, Klimawandel, Ukraine, Syrien: Das alles könne kein Nationalstaat allein meistern, nur gemeinsam mit anderen. Merkel hält ein flammendes Plädoyer für Multilateralismus und gegen Alleingänge. Das Publikum dankt es ihr mit lang anhaltendem Applaus. Auch das ist eine Botschaft an die Gäste aus den USA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2017)

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