Gauck: "Sie sind ein junger Präsident"

Van der Bellen und Gauck mit ihren First Ladies.
Van der Bellen und Gauck mit ihren First Ladies.REUTERS
  • Drucken

Bundespräsident Van der Bellen stellt sich in Berlin bei Noch-Amtsinhaber Joachim Gauck vor. Dabei treibt sie auch die Türkei-Frage um.

Ein bisschen Wehmut ist ihm anzusehen. Zum letzten Mal schreitet Joachim Gauck mit einem Staatsgast vor dem Schloss Bellevue die Ehrenformation ab. Es kommt zwar nächste Woche noch der Präsident von Botswana, aber nur zu einem Gespräch. Ohne militärische Ehren. Am 19. März ist dann Schlüsselübergabe im Schloss Bellevue. Und Frank-Walter Steinmeier übernimmt das höchste Amt im deutschen Staat.

Für den Mann neben Gauck, dem sie an diesem Vormittag den roten Teppich ausgerollt haben, ist es hingegen die Berliner Premiere als Staatsoberhaupt und die erste Auslandsreise mit „First Lady“ Doris Schmidauer an seiner Seite. „Sie sind ein junger Präsident“, scherzt Joachim Gauck, der 77-Jährige, in Richtung seines 73-jährigen Staatsgasts Alexander Van der Bellen.

Kurzes Proseminar über Populisten

Der Satz hat aber noch eine zweite, tiefere Bedeutung: Gauck und Van der Bellen würdigen sich zwar gegenseitig als überzeugte Europäer. Den Optimismus, den Van der Bellen aus seinem Wahlsieg schöpft, scheint Gauck aber verloren zu haben. Einer raschen EU-Vertiefung begegnet er mit Skepsis. Der österreichische Präsident sei „in einer anderen Phase“, sagt er. Ein bisschen klang das so: Im Amt würden sich für einen Pro-Europäer Ernüchterungen einstellen.

Und dennoch ist es ein einfaches Gastspiel für Van der Bellen. Gauck lobt ihn für seinen „Mut“, nennt ihn einen „Sympathieträger vieler Deutscher“. Wo immer Van der Bellen dieser Tage auftaucht, ob in Brüssel oder nun in Berlin, muss er zudem ein kurzes Proseminar halten, wie sich die Rechtspopulisten bezwingen lassen. Van der Bellen missfallen dabei wohl auch Österreichs jüngste Maßnahmen in der Europapolitik: „Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht überlegen, wann ist der Zeitpunkt, etwas eindeutiger dazu Stellung zu nehmen.“

Durch das Schloss Bellevue geistert an diesem Vormittag aber auch die Türkei-Frage: Erst am Vortag hatten Gaggenau und Köln die Auftritte des türkischen Justiz- und Wirtschaftsministers abgesagt, die den Wahlkampf um Erdoğans Verfassung in die Bundesrepublik tragen wollten. Ankara empörte sich. Deutschland muss hier wohl vorsichtiger sein als Österreich: Die Türkei ist ein Nato-Bündnispartner, und Kanzlerin Merkel hat ihr ganzes politisches Gewicht in den Flüchtlingsdeal mit der Türkei gelegt.

Berlin sei für Van der Bellen "altes Pflaster"

Alexander Van der Bellen besichtigt das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Alexander Van der Bellen besichtigt das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.APA/dpa/Monika Skolimowska

Gauck versteht die Aufregung in Deutschland, sagt aber auch: „Sind wir, die demokratische Mitte, so schwach, dass wir die Argumente derer, deren politische Auffassungen wir nicht teilen, so fürchten müssen, dass wir ihr öffentliches Wort verhindern müssen?“ Van der Bellen formuliert deutlich schärfer. Der türkische Justizminister bewege sich auf sehr „glattem Grund“, wenn er behaupte, die Absage seines Auftritts in Gaggenau sei eine Verletzung der Grund- und Freiheitsrechte. In Deutschland lebten ja nicht nur Auslandstürken sondern auch 220.000 Auslandsösterreicher: "Und wir sind nicht auf die Idee gekommen, in Deutschland Wahlkampf zu machen", sagt Van der Bellen.

Staatsbesuche sind bisweilen inhaltsarm, aber sie stecken voller Symbolik. Van der Bellen legt einen Kranz am Holocaust-Mahnmal nieder. Für einen Moment ist der Präsident ganz für sich, durchwandert das Meer aus Betonstelen, das an die Ermordung von rund sechs Millionen Juden erinnert. Und am Ende steht er vor der Mauer, die einst die Stadt zerschnitt. Berlin, sagt Van der Bellen, sei für ihn ein „altes Pflaster“. Er habe in den 1970er-Jahren in der Stadt gearbeitet, sei einmal am Checkpoint Charlie an der Ausreise aus der DDR gehindert worden und natürlich schlägt er die Brücke: zum Europa der offenen Grenzen.

Privates Treffen: Steinmeier und Van der Bellen
Privates Treffen: Steinmeier und Van der BellenAPA/BUNDESHEER/PETER LECHNER

Gaucks Nachfolger, Frank-Walter Steinmeier, traf er in Berlin übrigens auch – „privat“ in der österreichischen Botschaft.

("Die Presse"-Printausgabe, 4.3.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.